Es ist ein Albtraum. Aus dem allerdings niemand erwacht, sondern der sich vor Gericht fortsetzt. Katharina Schlüter, erfolgreiche TV-Moderatorin, bezichtigt ihren ehemaligen Geliebten Christian Thiede, Vorstandsvorsitzender eines multinationalen Konzerns, der Vergewaltigung. Beide haben bereits viel verloren, leben in Scheidung von ihren betrogenen Ehepartnern, sind beruflich ramponiert und gesellschaftlich diskreditiert. Hass und Wut im Netz bekommt vor allem Katharina Schlüter, das mutmaßliche Opfer, ab. Ihre Telefonnummer wird online geleakt, anonyme User schicken ihr Dick-Pics.

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Sie kämpft vor Gericht auch um die Wiedererlangung ihres Selbstvertrauens. Er streitet die Tat ab. Das Publikum wohnt – wie schon bei Schirachs Stücken „Terror“ und „Gott“ – der Verhandlung bei.

Anders als bei diesen beiden stimmen die Zuschauer hier aber nicht über den Aus- gang des Verfahrens ab. Vielmehr erleben sie hautnah, wie Richter, Sachverständige, Rechtsmediziner, Zeugen und Anwälte in einem solchen Fall handeln.

#MeToo auf der Bühne

„Es geht nicht nur um den konkreten Fall, sondern das Stück erzählt auch viel darüber, wie schwierig es ist, Recht zu sprechen, wie leicht wir geneigt sind, schnell zu urteilen, wie diffizil es ist, Gerechtigkeit zu judizieren.“

Das sei, so Regisseurin Sandra Cervik, ebenso lehrreich wie spannend. „Der Autor will uns dabei nichts abnehmen, vielmehr versetzt er uns in die Rolle des Richters. Und ein solcher muss nun einmal – gerade in einem solchen Fall, wo es keine tragende Beweislast gibt – nach eigenem Ermessen ein Urteil fällen. Schirach sagt, dass die Art, wie wir uns einen Fall anschauen, welche Position wir einnehmen, immer auch darauf hinweist, wer wir selbst sind.“

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Silvia Meisterle verkörpert Katharina Schlüter und musste bereits zu Beginn der Probenarbeit eine Entscheidung treffen.

„Für mich hat diese Vergewaltigung ganz klar stattgefunden. Sonst könnte ich die Rolle nicht spielen.“

Zur Person: Silvia Meisterle

war u. a. am Schauspielhaus Graz und bei den Salzburger Festspielen engagiert, ehe sie 2008 in Brechts „Die Judith von Shimoda“ ihr Debüt im Theater in der Josefstadt gab. Es folgten u. a. Rollen in „Heldenplatz“, „Die drei Schwestern“, „Terror“, „Der ideale Mann“, „Die Stützen der Gesellschaft“, „Bis nächsten Freitag“ und „Sommergäste“ sowie die Titelrolle in „Anna Karenina“. 2024/25 wird sie auch in „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ und in Marius von Mayenburgs „Nachtland“ zu sehen sein.

Digitaler und analoger Backlash

Warum werden Frauen, die sexuelle Übergriffe anzeigen, nicht nur häufig in den Gerichtssälen diskriminiert, sondern auch in der Öffentlichkeit derart vehement angegriffen? Sandra Cervik ringt um eine Antwort. „Die genauen Gründe dafür sind kaum zu erfassen. Aber es ist sicherlich schwer, sich aus männlich dominierten Strukturen zu befreien und eine andere Perspektive einzunehmen. Das führt dazu, dass Frauen, die sich zur Wehr setzen, als Lügnerinnen abqualifiziert werden. Die #MeToo-Bewegung kam plötzlich und war dermaßen stark, dass sich Männer regelrecht an die Wand gedrückt gefühlt haben. Ihre Unfähigkeit zur Thematisierung führt dazu, dass nun eine Art Backlash stattfindet.“ Das gelte natürlich nicht für alle Männer, zeige aber eine deutliche Tendenz.

Silvia Meisterle kann das nur unterschreiben. „Patriarchale Muster herrschen seit Jahrhunderten vor. #MeToo hat erst vor zehn Jahren zum ersten Mal ein breites Bewusstsein und eine Sensibilität für Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe geschaffen. Jetzt findet eine Gegenbewegung statt, die in den Reaktionen noch einmal schärfer und untergriffiger geworden ist.“

Während wir in Österreich noch darüber diskutierten, dass ein Nein auch tatsächlich ein Nein zu sein habe, ginge es in der spanischen Justiz bereits darum, das explizite Ja als Zustimmung zum sexuellen Akt zu verankern. „Da steckt auch unsere Rechtsprechung noch in patriarchalen Kinderschuhen.“

Der Autor will uns nichts abnehmen. Vielmehr versetzt er uns in die Rolle des Richters.

Sandra Cervik, Regisseurin

Missbrauch ist auch in der Kulturwelt ein drängendes Thema. Haben die Institutionen diesbezüglich dazugelernt?

„Diesen Eindruck habe ich schon“, so Sandra Cervik. „Das Verständnis ist viel größer geworden, und ich beobachte, dass schnell reagiert wird, wenn Missstände auftauchen. Wir müssen vor allem auch junge Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützen, ihre Grenzen und Rechte zu wahren.“

Verlässliche Gesetzgebung

Welche Wünsche hegt Silvia Meisterle für „Sie sagt. Er sagt.“? „Ich hoffe, dass dieses Thema, bei dem es eine so große Dunkelziffer an Fällen gibt, die nie zur Anzeige kommen, wieder ins Zentrum gerückt wird. Denn es ist sehr wichtig, Bewusstsein dafür zu schaffen und in der Wahrnehmung wachsam zu bleiben. Und ich wünsche mir lebhafte Diskurse, dass sich die Leute mit der Materie und mit sich selbst befassen.“

Im Epilog zum Stück heißt es: „Über die Schuld oder Unschuld eines Menschen wird in einem Rechtsstaat nicht in Zeitungen entschieden, nicht im Fernsehen, nicht in den sozialen Medien und nicht in den Foren des Internets. In einem Strafverfahren versuchen die Richter, die Wahrheit herauszufinden. Sie hören Zeugen und Sachverständige, sie sehen sich sorgfältig die vorgelegten Beweise an, sie prüfen die Argumente des Staatsanwalts, des Nebenklägers und des Verteidigers.

Aber es gibt keine Wahrheit um jeden Preis. Nur nach den Regeln der Strafprozessordnung dürfen Beweise erhoben werden. Diese Regeln sind streng, aber sie kanalisieren unsere Wut, sie ordnen unsere schwankenden Gefühle, Zorn und Rache lehnen sie als Ratgeber ab. Sie achten den Menschen, und am Ende sind nur sie es, die uns vor dem ‚voreiligen Griff nach der Wahrheit‘ schützen.“ Und auch wenn es manchmal schwerfällt, so ist es doch beruhigend.

Zur Person: Sandra Cervik

gehört dem Josefstadt-Ensemble seit 1999 an und war in den vergangenen 25 Jahren in renommierten Produktionen – von „Maria Stuart“ bis „Medea“, von „Anatol“ bis „Reigen“, von „Speed“ bis „All about Eve“ – präsent. Sie spielte Ritter in „Ritter, Dene, Voss“, Stevie in „Die Ziege oder Wer ist Sylvia?“ und die Gerichtsrätin Walter in Kleists „Der zerbrochne Krug“. 2024 führte die auch aus Film und Fernsehen bekannte Kammerschauspielerin Regie bei Yasmina Rezas Stück „James Brown trug Lockenwickler“ in den Kammerspielen.

Hier zu den Spielterminen von Sie sagt. Er sagt.!