Während Benjamin Vanyek, Thomas Kolle und Michaela Bilgeri darüber diskutieren, welche Konsequenzen es hätte, würde sich jemand als Wal identifizieren, rollt Kirstin Schwab – Kopf voran auf einem Gmynastikball liegend – von einem Ende der Probebühne zum anderen. Die Schauspielerin Tamara Stern beobachtet die Szene aus der rechten hinteren Ecke. Kurz darauf setzt Live-Musik ein und die Spieler*innen beginnen sich einer Choreografie folgend über die Bühne zu bewegen. „Text, Körper und Musik greifen beim aktionstheater ensemble immer ineinander“, bringt es Kirstin Schwab beim Interview, das direkt im Anschluss an die Probe stattfindet, auf den Punkt. Genau eine Woche ist zum Zeitpunkt unseres Gespräches noch Zeit, das Schiff – die aktuelle aktionstheater-Produktion mit dem Titel „Morbus Hysteria“ – in Richtung Premiere zu steuern. 

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Kopf und Bauch in permanentem Austausch

Seit der Uraufführung von Gert Jonkes „Platzen Plötzlich“ im Jahr 2008 ist Kirstin Schwab der Theatergruppe rund um Gründer und Regisseur Martin Gruber eng verbunden. „Ich wollte immer etwas machen, das mich sowohl kognitiv als auch körperlich herausfordert. In dieser Form der Theaterarbeit habe ich genau das gefunden“, erklärt die Schauspielerin und nimmt einen Schluck von dem Wasserglas, das vor ihr auf dem Tisch steht. Bauch und Kopf würden sich bei ihr permanent miteinander unterhalten, fügt sie hinzu. „Ich habe schon das Gefühl, dass ich körperlich spüre, ob etwas stimmt oder nicht – dass es etwas gibt, das hinter der rein intellektuellen Ebene liegt, das versteht, ob etwas funktioniert oder eben nicht.“

Kirstin Schwab spricht mit solchem Enthusiasmus von ihrer Arbeit, dass man ihr all die kognitiven und körperlichen Anstrengungen, die bereits in diesen Probentag geflossen sind, kaum anmerkt. Im Stück selbst käme passenderweise die Zeile „Mit Hirn und Herz und Bauch und Po“ vor, ergänzt sie lachend. „Auch beim Zuschauen finde ich es schön, wenn Denkprozesse in Gang gebracht werden, man gleichzeitig aber auch den Schweiß spürt.“

Morbus Hysteria
Das Ensemble von „Morbus Hysteria“. Ab 30. Mai im Werk X.

Foto: Apollonia Theresa Bitzan

„Wir alle scheitern permanent“

Was sie an der Arbeit mit dem aktionstheater ensemble ebenfalls sehr schätzt, ist, dass immer die Möglichkeit besteht, aus dem Moment zu schöpfen, um Neues entstehen zu lassen. „Es gibt diesen Mut, auf den Moment einzugehen. Einerseits in der Reaktion auf aktuelle gesellschaftspolitische Themen, andererseits auch im Sinne dessen, dass unsere Stücke zu genau diesen Stücken werden, weil wir nun einmal genau diese Menschen sind, die zu genau diesem Zeitpunkt zusammenkommen“, so Schwab. Nicht zu wissen, was am Ende der Reise dabei herauskommt, sei für sie ebenfalls ein großer Reiz an der Arbeit mit der 1989 gegründeten Theaterkompagnie.

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Wir nehmen zwar unsere eigenen Erfahrungen in die Probenarbeit mit, letztendlich geht es aber immer um eine Verdichtung und eine künstlerische Überhöhung.

Kirstin Schwab, Schauspielerin

Wie bei allen Stückentwicklungen des aktionstheater ensembles gab es auch bei „Morbus Hysteria“ einen thematischen Ausgangspunkt, der innerhalb des Ensembles viele Fragen aufwarf. „Dann gibt es in der Regel eine Phase, in der wir am Tisch sitzen, über das Thema sprechen und eigene Geschichten und Erinnerungen einbringen. Die Gespräche werden aufgezeichnet und es entsteht ein Transkript, das wir mehrmals lesen, um zu schauen, was wir daraus verwenden möchten. Dann wird gestrichen und die Dramaturgie des Stückes gebaut. Es entsteht zu Beginn also viel am Tisch“, erzählt die Schauspielerin. Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Am Ende steht ein festgeschriebener Text. Es mag hin und wieder vielleicht so wirken, aber es ist keinesfalls so, dass wir die ganze Zeit über gnadenlos improvisieren.“

Stets auch persönliche Erfahrungen in die Stücke einfließen zu lassen, ist einer jener Aspekte, die Martin Grubers Kompagnie kennzeichnen. Kirstin Schwab ergänzt: „Wir nehmen zwar unsere eigenen Erfahrungen in die Probenarbeit mit, letztendlich geht es aber immer um eine Verdichtung und eine künstlerische Überhöhung. Außerdem spielt Selbstironie eine wichtige Rolle.“ Darüber hinaus steckt in den Stückentwicklungen des aktionstheater ensembles stets auch der Wunsch, aufzuzeigen, dass niemand unfehlbar ist. „Wir alle scheitern permanent – auch an uns selbst. Und wir alle meinen es oft wahnsinnig gut, graben aber an der falschen Stelle oder stülpen anderen Menschen unsere Lebensrealitäten über. Auch darum geht es in ‚Morbus Hysteria‘“, hält Kirstin Schwab fest.

Wenn Lachen und Weinen dadurch oft unglaublich nah aneinanderrücken, sei das genau eine der Quintessenzen dieser besonderen Form der Theaterarbeit. „Letzten Endes macht ja auch genau das das Leben aus“, fügt die Schauspielerin hinzu und lehnt sich dabei lachend nach vorne. In den von Martin Gruber und dem Ensemble erdachten Stücken drückt sich das unter anderem in einer großen Lebendigkeit aus, die, so Schwab, auch daher rührt, dass die Dinge nie von außen kommen, sondern in den Spieler*innen entstehen.

Leichter aufblasbar als ein Gymnastikball

Nach unserem Versuch die Arbeitsweise des aktionstheater ensembles so gut es geht einzukreisen, kommen wir wieder zu den Bubbles zurück, die für die neue Stückentwicklung „Morbus Hysteria“ zentral sind und die sich deutlich leichter aufblasen lassen als ein in die Jahre gekommener Gymnastikball. „Im Grunde geht es darum, dass einem die eigene Blase wichtiger ist als die Empathie – als das wirkliche Zuhören. Dass viele dieser Haarspaltereien, die uns gerade ständig begegnen, nicht dem Diskurs, sondern stattdessen dem Aufpolieren des eigenen Egos dienen. Man neigt dazu, zu vergessen, dass man immer vom eigenen Hintergrund, den eigenen Annahmen und den eigenen Überheblichkeiten ausgeht“, fasst Kirstin Schwab zusammen.

Ihre Figur sei eher eine, die nicht sofort urteilt, die die Dinge eher stehen lässt und damit einen poetischen Raum schafft, in dem nicht alles einer sofortigen Bewertung unterzogen werden muss. „Wichtig für unsere Arbeit ist auch, dass wir niemals den Anspruch haben, Lehrstücke auf die Bühne zu bringen“, hält sie daran anknüpfend fest. „Auch in ‚Morbus Hysteria‘ möchten wir auf eine sinnliche Art zeigen, womit wir kämpfen und woran wir scheitern. Und zwar alle.“

Morbus Hysteria
Kirstin Schwab wurde in Graz geboren, studierte Schauspiel und arbeitet als freie Schauspielerin, Dichterin und Theaterpädagogin.

Foto: Thomas Steineder

Bevor sich unsere Wege wieder trennen, möchten wir noch von Kirstin Schwab wissen, wie sie eigentlich zur Schauspielerei gekommen ist. Es dauert nicht lange, schon sprudeln die Erinnerungen aus ihr heraus. „Schon als Kind habe ich im Wohnzimmer für die ganze Familie Aufführungen veranstaltet“, erzählt sie lachend. Irgendwann dachte sie sich, dass sie das gerne professionell machen würde. „Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, aber meine Mutter hat mir erzählt, dass ich einmal von einer Sommertheater-Vorstellung nach Hause gekommen bin und verkündet habe, dass ich jetzt weiß, was ich werden möchte – nämlich Schauspielerin.“

Es folgten ein Schauspielstudium in Graz und erste Stadttheater-Engagements in Deutschland. Letztere hätte sie eher als desillusionierend empfunden, so Schwab. „Ich hatte das Gefühl, dass es eher darum geht, zu glänzen und nicht so sehr um den Inhalt oder das Miteinander. Für mich was es absurd, dass man vorne Brecht spielt und hinten die Hospitantin fertigmacht.“ Sie kehrte nach Wien zurück und kam erstmals mit den aktionstheater ensemble in Berührung.

„Alles davon hat mit mir zu tun“

„Ich mag die Kunst eigentlich dann am liebsten, wenn sie etwas hat, worüber man sich mit der Welt, den Menschen und sich selbst verbinden kann“, merkt sie nach einer kurzen Pause an. All das findet sie in der Arbeit mit Martin Grubers Ensemble, aber auch in der Malerei, ihrer schriftstellerischen Tätigkeit und in der Theaterpädagogik. Erst vor kurzem hat sie ihr erstes Kinderbuch und den Lyrikband „Wir teilen unser Ungleichgewicht“ veröffentlicht. „Ich habe lange damit gerungen, so viele verschiedene Dinge zu machen, weil ich immer das Gefühl hatte, dass es darauf hinausläuft, nichts richtig zu können, nie in einer Sache diese Leiter hochzuklettern, von der alle sprechen. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das annehmen konnte – bis ich verstanden habe, dass alles davon etwas mit mir zu tun hat.“

Zu den Spielterminen von „Morbus Hysteria“ im Werk X und im Theater Kosmos in Bregenz