Kling, Glöckchen, klingelingeling? Nicht, wenn es nach Ebenita Scrooge geht. Im Büro der Chefin eines Warenhauses für Bekleidungsartikel klingelt selbst am 24. Dezember höchstens das Telefon. Das bedeutet: Vom üblichen Weihnachts-Soundtrack fehlt jede Spur. Und statt ordentlich auf den Putz wird hier nur in die alten, abgegriffenen Schreibmaschinentasten gehaut.

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Findige Leser*innen werden es bereits herausgefunden haben: Der prototypische „Weihnachtsmuffel“, von dem hier die Rede ist, ist so etwas wie die weibliche Version von Ebenezer Scrooge, der berühmten Hauptfigur aus „A Christmas Carol“ von Charles Dickens. Regisseur Werner Sobotka bringt die wohl berühmteste Weihnachtsgeschichte der Weltliteratur in den Kammerspielen auf die Bühne – mit einer Frau in der Hauptrolle. Außerdem lässt er sein Weihnachtsmärchen nicht im 19. Jahrhundert, sondern im England der 1960er-Jahre spielen.

Man mag sie, man mag sie nicht ...

Wir treffen Werner Sobotka auf der Probebühne der Kammerspiele. Kaum haben wir uns an den langen Tisch gesetzt, an dem normalerweise gelesen und über das Stück diskutiert wird, legt der multibegabte Theatermacher druckreif los: „Herbert Föttinger hat mich angesprochen und gefragt, ob ich ‚A Christmas Carol‘ machen möchte. Ich habe geantwortet, dass ich es gerne inszenieren würde, die Geschichte jedoch in einer anderen Zeit spielen lassen möchte. Darauf ist er gleich angesprungen. Weil wir auch nicht zu viel Digitalität im Stück haben wollten, haben wir uns für das Jahr 1965 entschieden. Die Idee, eine weibliche Figur ins Zentrum zu rücken, kam von Niklas Doddo, mit dem ich die Fassung geschrieben habe. Er war es auch, der den Bezug zu Miranda Priestly, der Hauptfigur aus dem Film ‚Der Teufel trägt Prada‘, hergestellt hat.“

Es sei sein großer Wunsch, eine Figur entstehen zu lassen, bei der man sich als Zuschauer*in nie ganz sicher ist, ob man sie nun mag oder nicht, sagt Werner Sobotka. Dabei helfe ihm sehr, dass er Publikumsliebling Maria Köstlinger für die Rolle der Ebenita Scrooge gewinnen konnte, fügt er sichtlich erfreut hinzu.

„Maria bringt nicht nur eine unglaubliche Energie, sondern auch einen großen Sympathiebonus mit. Im besten Fall führt das dazu, dass die Menschen im Publikum die offenkundig boshafte Miss Scrooge sofort vermissen, wenn sie einmal nicht auf der Bühne ist.“

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In diesem Moment kommt ihm ein Spruch seines Vaters, des Schauspielers und langjährigen Josefstadt-Ensemblemitglieds Kurt Sobotka, in den Sinn, der ebenjenes Gefühl einmal folgender- maßen auf den Punkt brachte: „So ein Arschloch, hoffentlich kommt er bald wieder!“

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„Die Zuschauer*innen können der Figur, die zu Beginn wirklich ein kleines Monster ist, dabei zusehen, wie sie sich entwickelt, eine Läuterung erlebt und ein guter Mensch wird. Das ist etwas, was wir uns ja alle zu jeder Zeit wünschen – dass das Gute gewinnt und das Böse besiegt wird“, ergänzt Maria Köstlinger, die sich im Interview außerdem zu einer Liebeserklärung an Schauspielerin Meryl Streep hinreißen lässt. „In Sachen Schauspielkunst ist sie für mich die Allergrößte. Deshalb ist es umso wichtiger für mich, meinen eigenen Weg und meine eigene Form für diese Rolle zu finden.“

Herz, Hirn und Hundertprozentigkeit

Wer Werner Sobotkas Theaterarbeit ein wenig kennt, wird bereits erahnen können, dass all das keinesfalls mit erhobenem Zeigefinger, dafür aber mit einer großen Portion Humor passiert. „Werner ist ein großer Komödien-Experte. Er weiß, wie man Pointen setzt, wie man mithilfe von Tempowechseln einen Flow entstehen lässt, und er hat eine genaue Vorstellung davon, wie der Rhythmus sein soll. Da ich bisher eher im dramatischen Fach unterwegs war, ist dieser Fokus in den Proben für mich noch ziemlich neu“, hält Maria Köstlinger fest. Nach einer kurzen Pause fügt sie lachend hinzu: „Andererseits ist es in diesem Beruf ja so, dass man auch als 52-jährige Schauspielerin immer wieder neu anfängt. Also versuche ich, offen zu bleiben und all diese Dinge neugierig in mich aufzunehmen.“

Werner Sobotka
Werner Sobotka: Noch als Schüler gründete er gemeinsam mit Florian Scheuba, Mini Bydlinski und Wolfgang Pissecker die Kabarettgruppe „Die Hektiker“, mit der er circa 3.700-mal auftrat. Später studierte er Schauspiel, machte eine Musical-Ausbildung und begann sehr erfolgreich Regie zu führen. In den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt inszenierte er zuletzt „Monsieur Pierre geht online“ mit Wolfgang Hübsch in der Hauptrolle.

Foto: Stefan Fürtbauer

Als es darum geht, ob der Komödie nicht immer auch eine Form von Realitätsflucht innewohne, winkt Werner Sobotka ab. „Nachdem ich von der Satire und dem Kabarett komme, beschäftige ich mich nach wie vor sehr viel mit Tagespolitik. Neulich ist mir folgender Vergleich eingefallen: Ich habe Asthma und benutze daher einen Asthmaspray. Das führt zwar nicht dazu, dass mein Asthma verschwindet, verschafft mir aber Erleichterung. Ich kann wieder durchatmen. So ist das für mich auch mit der Komödie. Wer sich andauernd mit der Welt auseinandersetzt, wird es womöglich als angenehm empfinden, das eigene Hirn immer wieder durchzulüften. Es geht hier ja um eine Form von Unterhaltung, die amüsant, aber keinesfalls blöd ist.“

Neben der Liebe zur Komödie zeichnet Werner Sobotkas Arbeit auch ein klares Bekenntnis zu gut gearbeitetem Handwerk aus. „Geschmack ist Geschmack, aber ich möchte nicht, dass man mir handwerklich etwas vorwerfen kann“, hält er fest.

Im Falle des Familienstücks „Miss Scrooge“ bedeutet das auch für die technischen Gewerken der Kammerspiele, sämtliche Trickkisten zu öffnen und tief darin zu kramen. „Wenn Geister in einem Stück vorkommen, sehe ich es als meine Aufgabe, mit viel Theatermagie dafür zu sorgen, dass sich auf der Bühne wirklich etwas abspielt“, erklärt der Schauspieler und Theatermacher und unterstreicht damit einmal mehr einen Satz, den er 2022 in einem BÜHNE-Interview gesagt hat: „Ich habe sehr viel Herz und sehr viel Hundertprozentigkeit."

Gelassenheit ist für mich das Gegenteil von Wurschtigkeit. Mir ist nichts wurscht – weder im Leben noch auf der Bühne.

Werner Sobotka, Regisseur, Kabarettist, Schauspieler

Dass er mittlerweile gelassener ist als zu Beginn seiner Regiekarriere, stünde diesem Anspruch keinesfalls diametral gegenüber, so Sobotka. „Gelassenheit ist für mich das Gegenteil von Wurschtigkeit. Mir ist nichts wurscht, weder im Leben noch auf der Bühne.“

Ob am Ende des Stücks die Glöckchen doch noch läuten, lassen wir offen. Fix ist: Zwei Weihnachtslieder werden erklingen. Und: Bei Ebenita Scrooge hat es – den Geistern sei Dank – auf jeden Fall geklingelt. Und damit ist in diesem Fall nicht ihr gelbes Festnetztelefon gemeint, sondern ihre späte Erkenntnis, dass dieses Weihnachten vielleicht gar nicht so schlecht ist. Möglicherweise könnte man sogar von Begeisterung sprechen.

Hier zu den Spielterminen von Miss Scrooge – Ein Weihnachtsmärchen in den Kammerspielen!