Matthias Liener: Der Popstar im „Weißen Rössl“
Vom Sängerknaben zum Bandleader, vom Operettensänger zum Filmschauspieler, vom Akkordeonisten zum A-cappella-Sozius von Pizzera & Jaus. Matthias Liener kann viel und will mehr. Aktuell zu erleben als Oberkellner Leopold in Zürich.
Waltraut Haas & Peter Alexander. Mit diesen beiden Granden der österreichischen Unterhaltungsindustrie ist Ralph Benatzkys schillernde Revue-Operette „Im weißen Rössl“ wohl für ewig untrennbar verbunden. 1930 in Berlin uraufgeführt und bald wegen seiner jüdischen Mitautoren von den Nazis verboten, wurde die Verfilmung 30 Jahre später mit den beiden Obengenannten in den Hauptrollen zum Kinoerfolg. Ein „long runner“, der noch heute im TV für überraschend stabile Quoten sorgt.
Ralph Benatzkys mit eigenen und fremden Hits reich gesegnetes Stück wird allerdings immer wieder auch neu inszeniert – und das nicht nur im deutschsprachigen Raum, gibt es doch auch eine französische und eine englische Version davon. Und, nur so nebenbei, einen dänischen Film mit dem Titel „Sommer i Tyrol“ aus dem Jahr 1964.
Die aktuellste Bühnenadaptierung entstammt der Schweiz, wo die Shake Company „Im weißen Rössl“ am 29. Oktober 2023 im Bernhard Theater auf die Bühne brachte. Die Rolle des Oberkellners Leopold übernahm Matthias Liener, der sich in seinem ersten langfristigen Auslandsengagement darstellerisch und vokalistisch positiv zu entfalten wusste und über den das Magazin „Der Opernfreund“ nach der Premiere euphorisch berichtete: „Fantastisch gesungen!“
Es muss was Wunderbares sein
„Ich habe ganz klassisch an einer Audition teilgenommen“, erklärt Matthias Liener via Facetime aus Zürich, „mir liegt die Rolle, denn ich bin ein hoher Bariton.“ Dass er tatsächlich ausgewählt wurde, liegt wohl auch daran, dass man einen unkonventionellen Typen dafür gesucht hat. „Ich spiele, wie ich bin, ohne Perücke, was beim ‚Rössl‘ eher eine Seltenheit ist“, zeigt er sich amüsiert, „also habe ich den Leopold auch nah‘ an mir angelegt.“
Die Musik dieser Operette sei Handwerk par excellence. „Mir geht es vorwiegend darum, ob etwas greifbar und schlüssig ist, denn eigentlich gibt es nur gute und schlechte Musik.“ Damit erläutert Matthias Liener, warum er in so vielen unterschiedlichen Genres zuhause ist. Ihm sind Berührungsängste fremd, solange die Qualität hoch ist.
„Ohne klugscheißen zu wollen, aber Benatzky und viele Zeitgenossen des frühen 20. Jahrhunderts haben unfassbar stringent, farblich schön, interessant, abwechslungsreich und mit großartigen Leitmotiven gearbeitet. Am Ende des Tages dockt Musik bei uns emotional an, denn sie ist ja kein intellektuelles Konstrukt.“ Nachsatz: „Wenn ich ‚Im weißen Rössl‘ spiele, sehen die Leute das angenehmerweise als Beruf, wenn ich Popmusik mache, fragen sie mich meist, was ich eigentlich arbeite.“
Out of Poysdorf
Matthias Liener war schon als Kind ein Star. Mit acht Jahren kam der in Mistelbach geborene und in Poysdorf aufgewachsene Weinviertler zu den Wiener Sängerknaben. Eine frühe Landflucht? „Der Ansatz gefällt mir. 1998 haben die Wiener Sängerknaben in Schloss Schönbrunn ihr 500-Jahre-Jubiläum gefeiert und zu einem Tag der offenen Tür geladen. Mir hat das imponiert, ich habe dort vorgesungen und bin aufgrund dessen zu einem Einzelvorsingen in das Palais Augarten gebeten worden.“
Er konnte knabensopranistisch überzeugen und wurde aufgenommen. „Obwohl ich mich in Poysdorf nicht unwohl gefühlt habe, hat es mir gut gefallen, ab der dritten Klasse die Schule zu wechseln, nach Wien zu fahren und dieser Institution anzugehören.“ Ein neues Dasein, zu dem Auftritte in den namhaftesten Konzertsälen der Welt und internationale Tourneen zählten. „Wenn man einmal bei den Wiener Sängerknaben war, hechtet man danach ein Leben lang diesen Erfolgen hinterher“, meint er ironisch reflektiert, „denn ich werde so schnell kein Solo mehr in der Carnegie Hall singen.“
Mit 14 war damit jedoch Schluss. Er besuchte anschließend die HTL, gründete verschiedene Bands, entdeckte sein eigenes kreatives Potenzial. „Ich habe mich auch in mehrstimmigen Chorformationen ausprobiert, zwei Semester Musikwissenschaft und später an der mdw Musikerziehung studiert, ehe ich zum Gesangsstudium gewechselt bin.“ Klavier, Gitarre und Akkordeon zählen zu den von ihm beherrschten Instrumenten, was ihm in der Produktion eigener Songs sehr hilfreich ist. „Dafür spiele ich kein einziges Blasinstrument.“ Ausgenommen Trompete zu besonderen Anlässen – und dann ausschließlich zum Gaudium des Neffen.
Andrè Schuen: Punk goes Opera
Der gefeierte Bariton aus Südtirol spielte Cello und sang in einer Punkband, ehe er sich für Oper begeisterte. Am MusikTheater an der Wien gibt er nun sein Rollendebüt in „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ und spricht im Interview über prägende Rollen, öffentliche Beurteilung, seine Liebe zum Lied und warum er sich oft googelt. Weiterlesen...
Auffälliges Schaf
Er komme aus einer sehr musikalischen Familie, sei aber der einzige professionell Praktizierende. „Ich bin auf jeden Fall das auffällige Schaf“, verfällt er erst gar nicht in Schwarz-Weiß-Denken. Das äußert sich vor allem ob seiner Band LIENER, mit der er eklektische, anspruchsvolle, irisierende Popmusik macht, von der man sich auch via Videos überzeugen kann. Songs wie „Traurig sein“ oder „Ganz Wien ist clean“ sollte man gehört oder gesehen haben – immer wieder treten LIENER auch in Underground-Clubs auf.
„Das ist mein Ventil, wo ich weiß, da ist alles erlaubt. Ich kann jederzeit einen neuen Track machen, der zu meiner momentanen Lebenssituation passt, und mich verbal und musikalisch ausprobieren.“ Seit eineinhalb Jahren steht Matthias Liener mit seiner aktuellen A-cappella-Gruppe „Das wird super“ auch regelmäßig gemeinsam mit Pizzera & Jaus auf der Live-Bühne. „Das war eigentlich nur für einen Charity-Auftritt geplant, hat allerdings so großen Anklang gefunden, dass wir beschlossen haben, weiterzumachen. Jetzt sind wir immer dabei. Es gibt wirklich Unangenehmeres, als drei Mal hintereinander in der ausverkauften Stadthalle aufzutreten.“ Die laufende Herbst-Tournee muss er „Rössl“-bedingt leider schwänzen, 2024 ist er aber wieder mit an Bord.
Hat er – das Multitalent – denn nie Angst, sich künstlerisch zu verzetteln? „Es klingt immer so, als würde man alles gleichzeitig machen, was manchmal auch stimmt. Dass ich so breit aufgestellt bin, liegt daran, dass ich immer gerne nachgefühlt habe, was mich gerade interessiert und den Dingen – wenn ich gemerkt habe, dass sie fruchten – dann auch genügend Raum gegeben habe. Was ich nicht mag, ist, an gewissen Visionen festzuhalten und beharrlich durchzubeißen, um vielleicht nach drei Jahren zu merken, dass es vergebliche Liebesmüh‘ war.“
Aktuell 40 Abende „Im weißen Rössl“ zu spielen, sei großartig. Die Vorstellung, nur noch Musiktheater in der Rolle des Ausführenden zu machen, weniger. „Denn wo bliebe da meine eigene Kreativität? Ich bin gerne auch kompositorisch tätig und liebe die Popmusik.“
Bühnensolo und Filmdebüt
2022 stand Matthias Liener im Stück „Marie“ des Theaterkollektivs Peripeteia 80 Minuten lang allein auf der Theaterbühne. Er gab den Durchschnittstypen Michael, dessen Verliebtheit in Marie schnell zur für sie lebensbedrohlichen Obsession wird. Eine Charakterrolle.
„Ich würde mir dennoch nicht anmaßen, mich als Schauspieler zu bezeichnen, vieles war auch learning by doing“, erklärt er. „Ich habe bei den Sommerspielen Melk, wo ich in ‚So What?! – Kann denn Liebe Sünde sein?‘ gespielt habe, Regisseur Lukas Wachernig kennengelernt, der mich danach für diese Sprechtheaterproduktion angefragt hat. Es hat tatsächlich funktioniert, auch weil es umgangssprachlich gefärbt war, was ich gut abrufen kann. Aber ich werde so schnell nicht im Burgtheater Shakespeare spielen.“
Dafür in einem österreichischen Arthouse-Film, der bereits abgedreht ist und sich momentan in der Postproduktion befindet. „Und seit 25. November läuft ‚Kreis der Wahrheit‘ im Kino. Das ist ein semidokumentarisches Projekt, bei dem KZ-Überlebende, im Mittelpunkt ein Schwesternpaar, über ihre Erinnerungen und Träume sprechen. Dazwischen gibt es künstlerische Einschübe, an denen neben Iris Berben, Ina Regen, Konstantin Wecker und einigen anderen auch ich mitgewirkt habe.“
Mesomorpher Typ
Sollte jemand einen Film über American Football planen: Matthias Liener wäre auch dafür der Richtige. Wie kam er zu dieser in Österreich eher selten ausgeübten Sportart, bei der hierzulande kaum jemand die Regeln durchschaut?
„Es gibt eine kleine American-Football-Szene in Österreich, die aber recht professionell aufgestellt ist. Als ich bei den Sängerknaben aufgehört habe, lernte ich einen Sportwissenschaftsstudenten kennen, der meinte, ich sei ein flotter, fitter, aber auch kräftiger Bursche, und der mich fragte, ob ich nicht Lust auf diesen Sport hätte.“ Mesomorph lautet der Fachausdruck für einen Menschen mit athletischem Körperbau.
„Wie andere zum Fußball gehen, habe ich neben der HTL zwei bis drei Mal pro Woche aktiv American Football gespielt. Hieße es beim Film, ich solle reiten, müsste ich dafür einen halben Tag lang üben, weil ich noch nie auf einem Pferd gesessen bin. Bräuchte man mich aber für einen American-Football-Spielzug, könnte ich diesen definitiv sofort abrufen.“ Die Musik zum Film könnte er ebenfalls komponieren. Auch einspielen. Und singen.