Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Sorry, aber diese biblische Plattitüde musste sein, denn Marcello De Nardo hat sie gleich zu Beginn des Gesprächs förmlich aufgelegt. Der Grund des Zusammentreffens mit dem in Basel sozialisierten Schauspieler, den die Wiener*innen längst mit so viel Liebe überschüttet haben, dass er als eingemeindet gelten darf, ist sein erstmaliges Antreten als Autor. „Antonio 1. Teil“ heißt der druckfrische Roman, der gemeinsam mit zwei weiteren Bänden eine Trilogie ergibt, die sich nah an seines Schöpfers realem Dasein orientiert. Ein opulentes Werk, das trotz existenzieller Thematik erstaunlich leichtfüßig daherkommt und den Lesenden jovial in seinen Bann zieht.

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„Ich hatte nie vor, einen Roman zu schreiben“, so Marcello De Nardo auf die Frage, warum er genau das getan hat. „Er ist mir mehr oder weniger im Halbschlaf zugeflogen. Halb wach, halb schlafend, habe ich eine Sequenz von zwei Figuren geträumt und bin mit einem Ziehen in der Brust aufgewacht, als wäre ich gerade sitzen gelassen worden. Ich habe Rotz und Wasser geheult und das soeben Geträumte in ein Notizbüchlein geschrieben, ohne zu wissen, ob und was daraus werden sollte.“

Zu der Zeit gerade am Volkstheater engagiert, wollte er nach sieben Jahren kräfteraubender En-suite-Arbeit eigentlich fünf Monate Pause machen. „In der Nacht bevor ich wegfliegen sollte, wusste ich plötzlich, wie der Roman anfängt. Ich habe mich hingesetzt und 25 Seiten geschrieben.“ Am nächsten Tag ging es in sein Haus nach Italien, wo er das Begonnene „in einem Rauschzustand“ fortsetzte. Insgesamt zehn Jahre dauerte das Unterfangen von jenem Traum bis zur Finalisierung. Essenzielle Kapitel entstanden in Los Angeles, wo er eine Zeit lang lebte, um die ABC-Serie „The Quest“ zu drehen.

„Es ist ein Roman über das Leben und die Liebe, für die manche Menschen bereit sind zu töten, weshalb es auch ein Krimi ist. Ausgehend von den 1960er-Jahren erstreckt sich die Handlung über drei Jahrzehnte. Eigentlich bin ich von 200 Seiten ausgegangen, aber die Figuren haben einfach nicht aufgehört zu reden, zu fühlen, zu denken und zu handeln, sodass es am Ende 1.200 Seiten in drei Teilen geworden sind. Auch wenn es keine Autobiografie ist, hat es doch autobiografische Züge. Man könnte auch sagen, es ist eine italienische Oper.“

Was natürlich auch daran liegt, dass Marcello De Nardo als italienisches Gastarbeiterkind in der Schweiz aufwuchs und die Geschichte seines Vaters beziehungsweise jene von Vater und Sohn großen Anteil am Buch hat.

2. Die Dreigroschenoper. Torsten Fischers Erfolgsinszenierung wanderte von den Kammerspielen auf die große Bühne. Alexander Strömer

Fotos: Erich Reismann, Moritz Schell, Roland Ferrigato

Entwurzelter Patriarch

Marcello De Nardo verlor seine Mutter bei einem verheerenden Autounfall, als er vier war, und wuchs in der Folge bei seinem alleinerziehenden Vater auf. Dieser hatte Italien für ein besseres Leben verlassen, um sich als Gastarbeiter in Basel ein Quartier mit mehreren Landsleuten zu teilen und regelmäßig Geld an die Daheimgebliebenen zu schicken.

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„Er musste sich in einer Welt zurechtfinden, deren Herausforderungen – von der Computerisierung bis zu Aids – für ihn unerhört waren. Erst sollte ich Automechaniker werden, wobei ich schon froh war, dass ich wusste, was ein Zündschlüssel ist, schließlich habe ich eine Lehre zum Herrenausstatter gemacht, weil diese nur zwei Jahre gedauert hat. Dann bin ich nach Wien abgehauen und habe eine Schauspielausbildung begonnen. Dass ich auf die Bühne wollte, wusste ich schon als Kind.“

Obwohl er bereits mit seinem ersten Engagement im Musical „Cats“ große Erfolge feierte, konnte sein Vater den Beruf nicht goutieren. „Er hat ihn nicht verstanden, konnte mit meinem Lifestyle und meinen Freunden nichts anfangen und ist mit meinem Coming-out nicht fertiggeworden.“ Letzteres fand noch in Basel statt und führte dazu, dass Marcello De Nardo nicht mehr bei Tisch essen durfte. „Irgendwann sind mir seine homophoben Ansichten zu viel geworden, ich musste den Stecker ziehen und hatte zehn Jahre lang – bis zum Tod meiner Großmutter – keinen Kontakt mit ihm.“

Obwohl das Verhältnis zwischen den beiden nie wieder richtig heil wurde, hat Marcello De Nardo heute Mitgefühl für den in vielerlei Hinsicht ungerechten Vater, dessen zweite große Liebe ihn schließlich verließ und der 71-jährig in seiner Heimat Italien alzheimerkrank verstarb.

‚I can and I will. End of story.‘ Das ist mein Leitspruch.

Marcello De Nardo, Schauspieler

Multiple Karriere

Auch wenn ihn Wikipedia als Schauspieler, Sänger und Tänzer ausweist, liegt Marcello De Nardos Priorität eindeutig bei Erstgenanntem. Die anderen Anteile hätten allerdings „immer ihren Platz gefunden, etwas abgerundet, hinzugefügt“.

Er spielte Theater in Berlin, Zürich, Basel, Essen, Venedig oder München und drehte in der Schweiz mehrere Sitcoms. Künstlerisch erlebte er am Wiener Volkstheater unter der Intendanz von Michael Schottenberg eine Hochblüte, sodass die Antwort auf die Frage, welche Figur der Theaterliteratur ihm besonders nahestünde, wenig überrascht.

„Es gibt zwei. Der eine ist Puntila in Bertolt Brechts ‚Herr Puntila und sein Knecht Matti‘, der andere ist der Conférencier in ‚Cabaret‘. Beiden ist zu eigen, dass sie auf dem Vulkan tanzen. Puntila wird zum Menschen, wenn er säuft, der Conférencier sieht im Rausch seines Auftretens klar und erkennt, wohin sich die Dinge entwickeln, die ihn schließlich ins KZ bringen. So, wie ich die beiden Rollen gestaltet habe, haben sie miteinander korreliert. Das waren unglaublich spannende Momente in meinem Leben.“

Die Rolle des Puntila brachte ihm 2011 eine Nestroy-Nominierung als bester Schauspieler ein.

Marcello De Nardo
Arbeitsplatz Bühne. Marcello De Nardo, links auf dem Kulissentisch des Henrik-Ibsen-Dramas „Die Stützen der Gesellschaft“, in dem er Dr. Schneider spielt, und backstage pur im schwarzen Anzug.

Foto: Andreas Jakwerth

Verhängnisvolle Maria Bill

„Ich wollte zum Theater, um reich, berühmt und geliebt zu werden, und nicht, weil ich ein unstillbares Kunstbedürfnis gehabt hätte. Das wäre wirklich gelogen.“ Marcello De Nardo lacht hochinfektiös. „Doch dann kam Maria Bill mit ‚Piaf‘ auf Tournee in die Kleine Komödie in Basel – und da hat es mich auf den Hintern gesetzt, weil sie die Reinkarnation von Edith Piaf war. Etwas so Tolles hatte ich bis dahin nicht gesehen, und bei mir ist der Groschen gefallen, dass es definitiv um mehr gehen muss als meine ursprüngliche Motivation. So kam die Kunst dazu, blöderweise, denn plötzlich ging es ans Eingemachte“, amüsiert er sich noch heute. Wenige Wochen später meldete er sich für das Vorsprechen am Reinhardt-Seminar an.

Mit Maria Bill sollte er immer wieder arbeiten. Sie war Sally in „Cabaret“, die Trafikantin in „Geschichten aus dem Wienerwald“, wo er Alfred spielte, und steht nun im Theater in der Josefstadt mit ihm gemeinsam in der „Dreigroschenoper“ auf der Bühne. „Daraus hat sich eine echte Freundschaft entwickelt. Außerdem kann ich mit ihr Schwyzerdütsch sprechen …“

Wunsch an die Zukunft

Der Josefstadt gehört er seit Ende 2021 als Ensemblemitglied an. Als die Pandemie mit ihren Lockdowns Auftritte verhinderte, sah sich Marcello De Nardo gezwungen, in einer Schweizer Fabrik am Fließband zu arbeiten. „Ich musste Geld verdienen und hatte keine andere Wahl“, meint er unsentimental. Irgendwann habe er dann Herbert Föttinger angerufen und um einen Job gebeten. Als er das erzählt, kommen ihm die Tränen.

Aktuell spielt er u. a. in David Böschs Inszenierung von Ibsens „Die Stützen der Gesellschaft“ und wird im November in der Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“ zu erleben sein.

Davor, am 22. Oktober, bittet Marcello De Nardo zur Buchpräsentation nebst Lesung in die Sträußelsäle der Josefstadt. Alle drei „Antonio“-Bände werden als Book-on-Demand vertrieben, was heißt, dass man sie sowohl online als auch im heimischen Buchhandel bestellen kann.

Welchen Wunsch hat er an sein weiteres Theaterleben? „Kontinuität. Aber nicht mehr diesen Stress, den man sich als Jüngerer macht, weil man glaubt, man muss jede Rolle – und sie kann gar nicht groß genug sein – spielen. Mein Ideal wäre es, eine große, eine mittlere und eine kleine Rolle pro Spielzeit zu übernehmen. Na gut, vielleicht zwei große und eine kleine (lacht). Manchmal, wenn ich mir junge Kolleg*innen und ihre Ambitionen anschaue, bin ich froh, dass ich nicht mehr so muss. Ich freue mich, wenn ich zwischendurch ein paar Tage freihabe, was ohnehin selten genug der Fall ist. ‚I can and I will. End of story.‘ Das ist mein Leitspruch.“