Marcel Heuperman: Lebe lieber unberechenbar
Steht der Name Marcel Heuperman auf der Besetzungsliste, ist mit totaler Verausgabung bei gleichzeitiger Verletzlichkeit zu rechnen. Ansonsten gilt: Unberechenbarkeit ist der Schlüssel zur Freiheit. Und: Theater ist herrlich, wenn es provoziert und unterhält.
Marcel Heuperman hat einen Plan. Und der lautet: Burgtheater-Kantine. „Der Körper lügt nicht“, wird er später im Interview in einem ganz anderen Zusammenhang sagen. In diesem Moment teilt ihm sein eigener, fast zwei Meter großer Körper auf unmissverständliche Weise mit, dass nach einem langen Probentag es nun endlich Zeit für Schinkenfleckerl mit grünem Salat ist. Auch wenn für den Moment alles gut durchgeplant zu sein scheint, traut man sich nicht zu sagen, welche weiteren Wendungen der Abend noch nehmen könnte.
Mit jedem „herrlich“, das der gebürtige Berliner abfeuert, und hie und da eingestreuten Sätzen wie „Ich liebe das Leben“ scheinen überall im Raum Türen aufzugehen, durch die man gehen oder zumindest kurz einmal blicken könnte – um zu schauen, was dahinter so los ist. Denn für Marcel Heuperman gilt: Hauptsache, es ist was los. Davon, dass das für seine Theaterarbeit in besonderem Maße zutrifft, konnte man sich unter anderem in den beiden Frank-Castorf-Produktionen „Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen!“ und „Zdeněk Adamec“ überzeugen. Steht sein Name auf der Besetzungsliste, ist damit zu rechnen, dass jeder Versuch, auszurechnen, in welche Richtung der Abend steuert, zum Scheitern verurteilt ist. Der Schauspieler liebt nämlich nicht nur das Leben, sondern auch die Unberechenbarkeit. Wobei sich diese beiden Leidenschaften auf der Theaterbühne ganz gut miteinander verbinden lassen.
Provozieren und unterhalten
Auch damit, dass der groß gewachsene Schauspieler mit der heiteren Stimme nach dieser Saison das Burgtheater verlassen wird, haben wohl die wenigsten gerechnet. „Ich habe lange darüber nachgedacht“, so Heuperman. „Ich tue das nicht, weil ich das Haus oder die Stadt nicht mag, sondern weil ich das Gefühl habe, dass die Dinge, die mich interessieren, Stefan Bachmann nicht so sehr interessieren. Wie beim Spielen habe ich auch hier auf meinen Bauch gehört. Ich finde es wichtig, mich als Künstlerpersönlichkeit nicht in eine Abhängigkeit zu begeben. Für mich lebt dieser Beruf von einer totalen Unabhängigkeit. Ich muss das Gefühl haben, dass ich an einem Haus bin, weil ich ich bin. So ein Intendantenwechsel ist ein guter Moment, um sich zu fragen, wofür man steht oder was man eigentlich will.“
„Zwischendurch hasse ich diesen Text und schmeiße ihn gegen die Wand.“
Marcel Heuperman, Schauspieler
Nach einer kurzen Pause setzt er lachend nach: „Man sagt ja immer, dass es zwei Fehler gibt, die man als Schauspieler machen kann. Der eine ist, ans Burgtheater zu gehen, der andere ist, das Burgtheater zu verlassen. Ich habe damit beides erledigt.“ Außerdem findet er es schade, dass der Weg, den das Burgtheater unter Martin Kušej eingeschlagen hat, nach fünf Jahren schon wieder endet. „So ein großes Theater ist wie ein riesiges Containerschiff. Wenn man es in eine Richtung lenkt, dauert es ewig, bis alle in dieser Richtung angekommen sind.“ In Wien möchte er trotzdem bleiben – weil er die Stadt „herrlich“ findet.
Ebenso euphorisch wird Marcel Heuperman, wenn er über Daniel Kramer spricht, jenen Regisseur, mit dem er gerade Peter Handkes Stück „Kaspar“ probt. Am Akademietheater waren bereits „Pelléas und Mélisande“ und „Engel in Amerika“ in dessen Regie zu sehen. „In ihm steckt ein klassischer Musiktheaterregisseur, wie auch der große Wunsch, rebellisch zu sein und nach Extremen zu suchen. Er schafft es, Themen anzuregen und provokant zu sein, gleichzeitig möchte er das Publikum unterhalten“, bringt es Heuperman auf den Punkt. Das ist genau nach dem Geschmack des Schauspielers, der davon überzeugt ist, dass das Theater davon lebt, widersprüchlich, überraschend und unbequem zu sein, es dabei aber auch unterhalten sollte.
Wilde Mischung
Das Stück gilt als einer der wichtigsten Texte zum Thema Sprachkritik und bezieht sich auf Kaspar Hauser. Die Sprache des Stückes zu durchdringen sei jedoch eine große Herausforderung. „Zwischendurch hasse ich diesen Text und schmeiße ihn gegen die Wand“, fügt er lachend hinzu. Worin er die Relevanz des 1967 uraufgeführten Textes sieht? Heuperman antwortet: „Die Zeit, in der wir leben, in der man andauernd auf unterschiedlichen Kanälen mit Nachrichten bombardiert wird, verlangt uns eine ständige Positionierung ab. Man muss zu allem sofort eine Meinung haben. Auf Fragen keine Antwort zu haben ist kaum noch möglich. Daraus kann eine große Sprachlosigkeit entstehen. Oder das Gefühl, in eine gewisse Richtung gezerrt worden zu sein. In diesem Themenkomplex bewegen wir uns.“
Auf durchaus körperliche Weise – was dem sich gerne auf der Bühne verausgabenden Marcel Heuperman sehr entgegenkommt. „Der Körper lügt nie. Wenn er erschöpft ist, ist er erschöpft. Ich kann alles Mögliche spielen, aber nicht, wie mein Körper reagiert. In diesen Momenten wird das Spiel zur Realität. Danach suche ich.“ Eine Aussage, die klar den Stempel Frank Castorfs trägt, bei dem Heuperman seine Lehrjahre absolvierte und in dessen „Heldenplatz“-Inszenierung er ab Februar 2024 am Burgtheater zu sehen sein wird.
„‚Kaspar‘ wird ja gerne als Sprechfolterung bezeichnet“, merkt er an. „Ich würde es eher Sprechoper nennen. Bei uns ist es weniger ein Theaterstück im herkömmlichen Sinn als vielmehr ein Event – eine Mischung aus Stomp-Trommelshow, ‚Cats‘ und Burgtheater. Was man damit machen kann, ist grenzenlos. Das ist Fluch und Segen zugleich.“ Heuperman lacht sein hellwaches, offenes Lachen. Die Lust ist groß, ihn zu fragen, wo er sich in fünf Jahren sieht. Mit dem Satz „Ehrgeiz ist unsexy“ nimmt er dem Vorhaben den Wind aus den Segeln. „Ich glaube, dass die Dinge auf einen zukommen.“ Es gilt: Unberechenbarkeit statt Erfolgsformel. Und schon wieder gehen fünf Türen auf.