Così fan tutte: Das miese Liebes-Experiment
„Così fan tutte“ ist die Legitimationsoper der Untreuen – es machen ja eh alle. Stimmt nicht, sagt Regisseur Barrie Kosky. Es ist ein toxisches Experiment eines alten, zynischen Mannes. Ein Stück der großen Melodien, mit Witz, aber ohne Happy End.
Du bist reich. Dir ist fad. Du bist mies. Und weil du das alles bist und auch nicht an die Liebe glaubst, wettest du mit zwei unbedarften, leicht überheblichen Typen, dass ihre Freundinnen, die sie bald heiraten werden und die ihnen nie einen Grund für Eifersucht gegeben haben, nicht treu sein können.
Klingt eigentlich gar nicht lustig. Mozart hat mit Da Ponte daraus einen Hit der Oper komponiert: „Così fan tutte“ – alle machen es.
Ein paar hundert Jahre später wird Amy Holden Jones das „Così“-Thema als Grundlage für ihr Drehbuch zum Film „Ein unmoralisches Angebot“ nehmen und damit einen Super-Blockbuster landen. Man sieht: Das Thema bewegt bis heute in Variationen. Barrie Kosky wird damit an der Wiener Staatsoper den Mozart-Da-Ponte-Zyklus beenden.
Ein unmoralisches Angebot
Wir treffen Kosky am Ende der ersten Probenwoche. „Wir haben ‚Così fan tutte‘ ganz bewusst ans Ende gestellt, weil es nicht nur das komplizierteste, sondern auch das schönste Opernstück ist. Die Handlung ist schnell erzählt, aber was wirklich passiert, ist ungeheuer komplex. Denn das Stück ist ein Experiment von Don Alfonso. Das, was er mit und gemeinsam mit den beiden Männern macht, ist mies. Das ist emotionale Manipulation. Das darf man nicht platt zeigen, das muss man vielschichtig anlegen.“
Klingt verzopft. Barrie Kosky schüttelt den Kopf: „Nein. Das Stück wird vor allem im zweiten Akt sehr abstrakt. Das Narrativ ist eigentlich vorbei, und man sieht das Experiment und die verschiedenen Versionen davon. Es braucht Zeit und vor allem gute Darsteller*innen, um das gut zu machen. Und noch mehr als ‚Don Giovanni‘ oder ‚Figaro‘ lebt ‚Così‘ von der Besetzung. Man hat sechs Menschen auf der Bühne, mit denen man ein Kammerspiel aufführen muss.“
Viele Menschen halten das Stück für eine Komödie.
Der Anfang von „Così“ ist Commedia dell’arte. Am Ende ist es keine Comedy. Das Lachen bleibt einem im Hals stecken.
Es gibt ein paar komische Momente, aber was mit den vier jungen Männern und Frauen passiert, ist schmerzhaft – und der Sadomasochismus von Don Alfonso ist nicht komisch. Vor ein paar hundert Jahren hatte das Libretto den Ruf, dass es schwach sei, aber das stimmt nicht. Das Stück ist ambivalent, es wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt.
Ist Don Alfonso ein toxisches Arschloch?
Er ist frauenfeindlich, misanthrop. Er hat eine Freude an dem Spiel. Er ist arrogant, glaubt, er sei im Recht. Er hat keine Ahnung, was er damit auslöst, und am Ende ist er dann schockiert.
Was ich nie verstanden habe: Warum machen die Jungen mit? Sie könnten ja auf dieses blöde Spiel pfeifen – sie haben ja eh alles.
Sie machen es aus unterschiedlichen Gründen. Zuerst muss ich erklären, dass das Stück für mich nur dann funktioniert, wenn wir annehmen, dass die zwei Paare in etwa 18 Jahre alt sind. Ein Alter, in dem wir alle diese unglaublichen Erfahrungen mit Liebes-Emotionen machen – mit all den obsessiven Komponenten, dem Drama. In diesem Alter sind wir alle auch noch sehr leicht zu manipulieren. Dazu kommt die männliche Überheblichkeit: Für diese Hetero-Alphamännchen ist das Experiment in Ordnung. Sie machen es für Geld, und sie sind noch schneller bei dem Experiment mit dabei.
Nach so einem Experiment ist es undenkbar, dass sie Hand in Hand in den Sonnenuntergang gehen.
Barrie Kosky, Regisseur
Bei den Frauen wird es im zweiten Akt etwas absurd. Ich habe nie geglaubt, dass man seinen verkleideten Freund so lange nicht erkennen kann.
Das ist richtig. Es gibt bei dem Stück immer das Problem, wie man darstellt, dass die Frauen nicht wissen, wer die verkleideten Männer sind. Bei uns werden die Frauen viel früher draufkommen und schockiert sein. Aber ich kann nicht alles verraten, oder doch … (Lacht.)
Doch. In welchem Setting wird Ihre Inszenierung spielen?
Unsere „Così“ spielt in einem kleinen, alten Theater. Don Alfonso ist Regisseur und Intendant. Despina ist Inspizientin. Vier Menschen proben eine Oper. Und Don Alfonso – der Regisseur – macht daraus eine Mischung aus Proben, Theaterspiel und echtem Leben. Zuerst nehmen die vier Jungen alles nicht wirklich ernst, bis sie die erste Forderung der Realität einholt. Nämlich: Wir müssen in den Krieg ziehen.
… und dann passiert was?
Das muss dann sehr echt sein. Ich komme gerade von den Proben und habe meinem Tenor und meinem Bariton gesagt: Ihr dürft das nicht verblödeln. Stellt euch vor, Don Alfonso schickt euch in den Ukrainekrieg. Jetzt!
Das Theater-Setting macht dann auch die Verkleide-Szenen leichter verständlich, richtig?
(Lacht.) Ja. Es geht ja nicht nur um Kostümierung, sondern auch um eine emotionale Verkleidung. Da hilft die Idee, dass wir in einem Theater spielen: Es ist somit nichts anderes als eine Probe, die schiefgeht. Das ist ein Rahmen, den man braucht, weil er allen Figuren eine klare Position zuweist. Ich habe viele „Cosìs“ gesehen, in denen man nicht wusste, wer Don Alfonso ist. Bei unserer Anordnung ist es klar.
Zur Person: Barrie Kosky
ist einer der wichtigsten Opernregisseure der Jetztzeit. Er hat für die Staatsoper bereits „Figaro“ und „Don Giovanni“ inszeniert. „Così fan tutte“ (Premiere) schließt den Da-Ponte-Zyklus ab. Alle drei Opern werden im Herbst wieder gezeigt. Barrie Kosky bleibt der Wiener Staatsoper als Regisseur erhalten – inszeniert aber erst wieder 2025/26.
Und am Ende: Alle glücklich, alle verzeihen sich alles?
Nach so einem furchtbaren Experiment ist es unmöglich, dass sie Hand in Hand in den Sonnenuntergang gehen. Vielleicht überlebt ein Paar, vielleicht alle zwei. Ich weiß es noch nicht. (Lacht.)