Anna Stiepani ist in Plauderlaune. Der erste große Probenblock für ihre Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Liebelei“ ist vorbei, die zweite finale Probenphase geht einen Tag nach unserem Interview los. Vom Landestheater Linz ist das Ensemble nun ans Stadttheater Gmunden übersiedelt. „Ein guter Tag für ein Gespräch“, sagt die in Passau geborene Regisseurin und lacht. Zwei Sommerflirts, aus denen sich durchaus so etwas wie Liebe entwickelt hat, gehen ihrer erneuten Auseinandersetzung mit dem berühmten Autor und Dramatiker bereits voraus: Vor zwei Jahren hat Stiepani die szenische Lesung des Dreiakters „Freiwild“ eingerichtet, wie auch jene von Thomas Arzts Schnitzler-Überschreibung „Else – ohne Fräulein“.

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Die fast schon magnetische Anziehung, die auch heute noch von seinen Stücken und Prosatexten ausgeht, sieht Anna Stiepani unter anderem darin begründet, dass Schnitzler in seinen Arbeiten eine Gefühlswelt offenlegt, die unglaublich universell und dadurch sehr heutig ist. „Die gesellschaftlichen Strukturen haben sich natürlich verändert, aber die großen Gefühle und Mächte, die er beschreibt, wie etwa Leben, Liebe und Tod, sind uns auch heute noch sehr nahe“, so die Regisseurin.

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Viele gesellschaftlichen Mechanismen und Strukturen, die Arthur Schnitzler genau beobachtet und dann in seinen Texten festgehalten hat, haben also auch heute noch etwas mit uns zu tun, ist Stiepani überzeugt. „Zum Beispiel habe ich mir erst vor kurzem gedacht, dass ich erst vor einiger Zeit Männer auf ähnliche Weise über Frauen sprechen gehört habe wie es die Figuren bei Schnitzler teilweise tun. Darüber hinaus glaube ich, dass wir viele Dinge, die wir heute erleben, besser herleiten können, wenn wir einen Blick auf diese Zeit werfen“, fügt sie hinzu.

Dann käme allerdings irgendwann der Punkt, wo man sich auf der Bühne dazu verhalten muss bzw. darf, setzt sie ihre Ausführungen fort. „Für uns bedeutete das unter anderem, dass Christine am Ende dahinterkommt, dass ihr Weg keinesfalls damit enden muss, dass sie sich aus dem Fenster schmeißt. Stattdessen entscheidet sie sich dazu, sich erst einmal um sich selbst zu kümmern. Diese positive Wendung zu schaffen, war uns wichtig.“ Mit den Frauen im Ensemble über ihre Rollen zu sprechen und gemeinsam mit ihnen auszuloten, in welchen Bereichen sie schon sehr modern agieren und wo man deutlich mehr Widerstände zeichnen könnte, sei ein wichtiger Teil der Arbeit gewesen, sagt Stiepani, die in der Zusammenarbeit mit Schauspieler*innen sehr für Offenheit und Respekt plädiert.

Bühnenzauber und Utopien

Zu Beginn der Probenarbeit hätten sie zudem viel gelesen und die Sprache genau unter die Lupe genommen, erinnert sich die Regisseurin. „Schnitzler schreibt sehr filmisch – alles ist sehr genau beobachtet. Für die Spieler*innen ist es eine unfassbare Arbeit, das zuerst in den Mund und dann in den Körper zu kriegen. Wenn es aber einmal läuft, hat das einen wahninnigen Sog.“

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Seine Sprache sei aber auch insofern spannend, als durch das viele Reden eine gesellschaftliche Oberfläche entsteht, hinter der es jedoch ganz anders aussieht und mitunter richtig brodelt. „Ich denke, dass das etwas ist, das man in Österreich und im süddeutschen Raum, aus dem ich ja komme, gut kennt“, fügt sie lachend hinzu.

Beim Lesen hatte sie schnell ein Gefühl für den Raum, in dem sich die Geschichte rund um Christine und Fritz abspielt. „Das passiert bei mir auf sehr intuitive Weise“, hält sie fest und setzt nach: „Ich habe schnell zu meiner Bühnen- und Kostümbildnerin Thurid Peine gesagt, dass es etwas Rundes sein muss, weil das Ganze für mich etwas mit einem Panorama zu tun hat. Danach kamen wir rasch auf Klimt und seine Naturmalereien.“

Mit Thurid Peine hat Anna Stiepani bereits mehrfach zusammengearbeitet. „Wir haben ein ähnliches Theaterverständnis, lieben Bühnenzauber, Utopien, das Vergrößern von Gefühlen und das Zusammenbringen unterschiedlicher Genres“, bringt es die Regisseurin auf den Punkt und hat auch gleich ein Beispiel parat: „In ‚Liebelei‘ wird es beispielsweise ein Zwischenspiel geben – eine Vertonung eines Gedichts von Elfriede Jelinek. Dadurch beleuchten wir die Perspektive der Frauen im Stück noch einmal auf andere Weise.“

Liebelei Gmunden
Lorena Emmi Mayer, Ensemblemitglied am Landestheater Linz, spielt Christine.

Foto: Rudi Gigler

Das Leben tanzt mit dem Tod

Bevor wir uns wieder verabschieden und wir Anna Stiepani wieder in die Vorbereitung der Endproben entlassen, wollen wir noch von ihr wissen, ob es so etwas wie einen weiblichen Blick gibt und ob dieser womöglich mit einer bestimmten Erwartungshaltung einhergeht. Die Regisseurin antwortet auch auf diese Frage mit jener sympathischen und völlig undogmatischen Klarheit, die unser gesamtes Gespräch prägt. „Ich kenne diese Annahme, dass ich als jüngere Regisseurin automatisch mit einer feministischen Grundhaltung an ein Stück herangehe. Das liegt auch daran, dass es in den letzten Jahren eine große Welle an jungen Theaterfrauen gab, die das auf radikale Art und Weise so gemacht haben – was für die gesamte Branche wahnsinnig wichtig war und immer noch ist. Als Künstlerin teile ich viele dieser Ansätze, habe den Fokus aber sehr auf die Magie des Theaters gelegt – und darauf, Geschichten zu erzählen und sie so öffnen, dass sie auch auf einer Gefühlsebene erfahrbar werden. Mich interessiert es überhaupt nicht, etwas zu schaffen, das hermetisch abgeriegelt ist.“

Den weiblichen Blick, wie auch immer der sich nun genau definiert, könne sie natürlich nicht ausklammern, „gleichzeitig bin ich erstmal einfach ich.“ Und als Anna Stiepani sei ihr unter anderem Empathie gegenüber allen Figuren des Stücks wichtig. Wie auch: Dem Autor Vertrauen zu schenken, gleichzeitig aber zu sagen: „Herr Schnitzler, bis hierhin verstehen wir das, aber dass sich die junge Frau am Ende aus dem Fenster schmeißt, geht sich einfach nicht mehr aus.“

Anna Stiepani lacht ihr offenes Lachen und bevor wir uns nun tatsächlich verabschieden, möchte sie uns noch ein Bild zu ihrer Inszenierung mit auf den Weg geben: „Es ist eine Art Walzer – das Leben tanzt mit dem Tod, die Liebe mit der Liebelei und Christine mit Fritz. Irgendwann wird einem schwindlig oder man entscheidet sich dazu, auf dem Tanzparkett der Männer nicht mehr mitzutanzen.“

Geht es um ihre Beziehung zu Arthur Schnitzler, bleibt es für Anna Stiepani erst einmal bei einer Sommerliebe(lei). In der Spielzeit 2024/25 inszeniert sie in Zürich und Meiningen Uraufführungen der Dramatikerin Maria Milisavljevic. In Klagenfurt wendet sie sich mit Goethes Iphigenie einer anderen starken Frauenfigur zu.

Zu den Spielterminen von „Liebelei“ bei den Festwochen Gmunden und am Landestheater Linz.