Kosmos Theater: Mit Literatur die Innenwelt ausleuchten
Das Kosmos Theater bringt Annie Ernaux auf die Bühne: In „Der junge Mann“ wird die Geschichte einer Frau geschildert, die eine Affäre mit einem jüngeren Mann beginnt, in der sie sich selbst begegnet. Wir haben mit Regisseurin Elisabeth Gabriel, den Schauspielerinnen Johanna Orsini und Lili Winderlich sowie der Sängerin Teresa Rotschopf über die neue Produktion gesprochen.

Foto: Bettina Frenzel
Radikal persönlich. Die Schriftstellerin Annie Ernaux, die 2022 mit dem Literaturnobelpreis geadelt wurde, ist bekannt für ihre autobiographische Literatur. So erzählt sie in „Der junge Mann“ schonungslos ehrlich ihre Geschichte.
„Die Erzählung dreht sich um die Affäre mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann, die die Autorin mit Mitte fünfzig erlebte“, fasst Regisseurin Elisabeth Gabriel zusammen.
„Der junge Mann stammt aus ähnlich prekären Verhältnissen wie sie, er studiert in derselben Provinzstadt wie sie dreißig Jahre zuvor.“ Im Zusammentreffen findet die Protagonistin eine Form der Aufarbeitung, die ihr in der Jugend verwehrt geblieben ist.
„Durch die Beziehung zu dem prekären Studenten wie auch durch Wiederbegegnung mit verschiedenen Orten der Stadt taucht sie in Erinnerungen ein: an ihre prekäre Jugend, ihren Aufstiegswillen, aber auch an die traumatische Erfahrung ihrer illegalen Abtreibung oder an ihren ersten Sex, der eigentlich ein Übergriff war.“

Foto: Bettina Frenzel
Die Erzählung selbst ist eine kurze; die deutsche Fassung misst nur knapp vierzig Seiten. In der Theaterfassung hat die Regisseurin weitere Ernaux-Texte aus „Die Scham“, „Das Ereignis“, „Die Jahre“ und „Erinnerung eines Mädchens“ eingearbeitet. Ausgegangen ist sie dabei von der titelgebenden Geschichte.
„In „Der junge Mann“ werden diese während der Beziehung ausgelösten Erinnerungen meist nur gestreift. Ich wollte die Tiefe dieser emotionalen Flashbacks und den Abstand zu dem heutigen Ich fühlbar machen und habe daher Texte aus anderen Werken ergänzt, wo Annie Ernaux tiefer in diese Erfahrungen eintaucht, ja, diese oft das Thema eines ganzen Romans sind.“ Die Zusammensetzung der Texte ergab sich für Gabriel meist assoziativ, fast schon organisch.
Besonders mit Johanna Orsini verbindet die Regisseurin eine jahrelange Zusammenarbeit. „Ich wollte diese Arbeit unbedingt mit ihr machen. Sie hat sowohl die analytische als auch die emotionale Intelligenz, die für Annie Ernaux‘ Texte nötig ist und – ganz wichtig – Humor!“ so Elisabeth Gabriel.

Foto: Bettina Frenzel
Durchlässige Literatur
Die Titelfigur selbst, der junge Mann, ist nicht im Stück zu sehen. Wieso?
„Das war ziemlich schnell klar, denn im Grunde ist das auch in der Erzählung so“, erzählt Elisabeth Gabriel. „Der junge Mann, der nur „A.“ genannt wird, entwickelt in der Geschichte kaum Konturen; die Beobachtungen und Erfahrungen der Ich-Erzählerin mit ihm führen sie alle zu sich selbst zurück, sie begegnet eigentlich permanent ihrem jüngeren Selbst. Also war es nur logisch, der Hauptfigur ein jüngeres Alter Ego gegenüberzustellen.“ Dieses junge Ich wird von Lili Winderlich verkörpert.
Neben Themen wie Klasse und Geschlecht werden im Stück auch Aspekte wie Abtreibung oder sexueller Missbrauch behandelt. Wie man darauf schauspielerisch zugeht, fragen wir Lili Winderlich. „Was ich in der Arbeit mit diesen Texten, die für sich stehen, wichtig fand, war, dass man nicht in Betroffenheit gerät. Annie Ernaux beobachtet scharf, klinisch und teilt es“, sagt sie.

Foto: Bettina Frenzel
Johanna Orsini meint: „Ich war beim Lesen überrascht über diese Direktheit und wieviel ich über sie, aber auch über mich erfahren habe.“
Beim Spielen hat die Schauspielerin versucht, auf die Art und Weise, wie Annie Ernaux schreibt, zu arbeiten. „Sie beschreibt alles mit einer analytischen Sprache, aber gleichzeitig ist man drinnen im Gefühlsleben. Diese Ambivalenz in ihren Texten – damit wollte ich arbeiten“, betont Orsini, die die Protagonistin verkörpert. „Was mich ebenfalls interessiert, ist, dass man im Text etwas beobachten kann, aber sich trotzdem auch berühren lässt. Also diese Durchlässigkeit.“
Genau diese Direktheit, findet Orsini, mache Annie Ernaux so speziell. „Ich finde, Annie Ernaux wertet nicht, auch nicht über sich selbst oder über andere. Sie beobachtet und lässt uns autobiographisch an ihren Gedanken teilnehmen. Gleichzeitig bleibt sie doch sehr poetisch und sie schafft es, die Erzählung in eine Form zu bringen.“

Foto: Bettina Frenzel
Lili Winderlich nickt. „Ich finde es berührend, dass sie sich in ihren Texten auf sterile Art und in manchmal auch brutaler Weise selbst offenlegt. Sie beschreibt sich als eine Ethnologin ihrer selbst und ich empfinde ihre Selbstbefragung und Reise in die eigene Vergangenheit als ein Geschenk an uns Leser*innen, so die Schauspielerin.
„Eine mutige Frau“, fügt Orsini hinzu.
Mit Live-Musik persönlich werden
Musikalisch begleitet Teresa Rotschopf, Ex-Mitglied der Band „Bunny Lake“, das Stück durch den Abend. Filmmusik hat sie bereits für Filme wie den ORF-Landkrimi „Das Mädchen aus dem Bergsee“ geschrieben. „Der junge Mann“ ist Rotschopfs erste Theaterarbeit.
Wie man Musik für Theater komponiert? „Ich habe mir davor schon Gedanken darüber gemacht, welches Set ich rein technisch nutzen möchte. Dann habe ich mich dazu entschlossen, nichts im Studio vorzuproduzieren, sondern im Stück alles selbst mit Instrumenten live einzuspielen. Einfach, weil es mir im Sinne der Theatermusik logischer vorkam, flexibel zu sein“, fasst die Musikerin zusammen.

Foto: Bettina Frenzel
Genauso wie ihre Kolleginnen betont auch Teresa Rotschopf die reduzierte Sprache der Schriftstellerin, die sie fasziniert hat. „Das ist das Schöne an den Texten von Annie Ernaux. Sie wirken auf den ersten Blick sehr reduziert und kühl. Beim genauen Hinschauen aber sieht man die hohe emotionale Verbindung, die sie zu den Figuren, über die sie schreibt, oder zu sich selbst hat. Für mich war es schon eine Herausforderung, eine kühle Zurückhaltung zu bewahren, und gleichzeitig diese Gefühlsebene durch die Musik zu transportieren“, so Rotschopf.
Wer also Lust auf einen bewegenden Abend hat: „Der junge Mann“ läuft noch bis zum 28. März 2025 im Kosmos Theater.