„Ich spüre, wie meine Hände nass werden, ein innerer Krampf mich erfasst. Und plötzlich weiß ich, dass alle Bemühungen zwecklos sind, dass ich husten werde“, beschrieb Heinrich Böll sein eigenes Dilemma 1952 in seinem Text „Husten im Konzert“.

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Was steckt dahinter? Sind während eines Konzerts alle so nervös, dass psychosomatische Symptome im gesamten Saal spontan auftreten? Sind kulturaffine Menschen überdurchschnittlich oft krank? Oder steckt womöglich sogar heimtückischer Vorsatz dahinter?

These 1: Die Spannung lässt nach

„Das erste Indiz, dass irgendwas nicht stimmt, ist, wenn die Menschen zu husten anfangen“, beschreibt Schauspielerin Maresi Riegner ihren Eindruck auf der Bühne. Wenn die Spannung nachlässt, komme der erste Huster. „Das löst eine Welle aus, da steigen dann viele ein. In der Josefstadt packen sie dann anschließend Zuckerl aus“, sagt die Schauspielerin, die Ensemblemitglied am Burgtheater ist. Manchmal hilft spontane Notwehr, sagt sie und lacht: „Einmal hat eine Kollegin zurück gehustet.“

Es gibt sehr prominente Beispiele, die das Lautgeben aus dem Publikum mit weniger Humor bekämpft haben: Keith Jarrett beschimpfte Hustende von der Bühne herab. Dirigent Michael Tilson Thomas verließ 2013 bei einer Aufführung von Mahlers Neunter mit dem Chicago Symphony Orchestra nach dem ersten Satz die Bühne, um Hustenbonbons im Publikum zu verteilen. Auch bei Alfred Brendel hat das kollektive Bellen während seiner Darbietungen Spuren hinterlassen. Der große Pianist hoffte anlässlich seines Karriereendes nur noch, dass „niemand mehr im Konzert hustet“.

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These 2: Vorsatz

Es gibt ja durchaus Situationen, in denen es Menschen schaffen, einen Hustenreiz lange zu unterdrücken, etwa als Bombenentschärfer oder Hirnchirurgen. „Husten im Konzert … ist kein zufälliger physiologischer Reflex, sollte aber zu einem großen Teil als vorsätzliche, gewählte Handlung angesehen werden“, lautet das Ergebnis einer Studie von Andreas Wagener, Professor an der Leibniz Universität Hannover. Laut dem Wissenschaftler reinigen Menschen durchschnittlich 16 Mal am Tag explosionsartig ihre Bronchien. Bei Konzertgehern sind es laut seinen Berechnungen 36 Huster am Tag.

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These 3: Reine Nervensache

Gerade in den nach Corona unter verschärften Sicherheitsbedingungen wiedereröffneten Häusern wurden Hustende kritisch beäugt. Das steigerte den Druck beim ersten Kratzen im Hals massiv. Unterdrücken verschlimmert die Situation jedoch verlässlich. Auch Tricks bleiben im Regelfall wirkungslos und handeln einem eventuell noch misstrauischere Blicke ein. Dazu gehört, die Zunge gegen den Gaumen oder den Daumen gegen den Kehlkopf drücken.

Richtig wirkungsvoll und weniger störend ist nur ein beherztes Räuspern an einer lauten Stelle und nicht unbedingt in einer Generalpause. Kenntnis der Partitur ist hier von Vorteil. Im äußersten Notfall hilft ein Schal oder ein Stofftaschentuch als Schalldämpfer. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann sich in der Pause an einem unbeobachteten Ort ordentlich abhusten.

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These 4: Intonation

Kulturjournalist Alex Hacke stellte in der „Süddeutschen“ eine andere Theorie auf:  Es sei unser „menschlich-soziales Urbedürfnis, einzustimmen, mitzusingen“. Überall darf man mitgrölen, nur in der Klassik muss man immer ruhig bleiben.

Böll beschrieb diese Dynamik im eingangs erwähnten „Husten im Konzert“ ähnlich: „Es fängt an als mildes, fast freundliches Räuspern, das dem Stimmen eines Instruments nicht unähnlich ist, steigert sich langsam und wird mit einer aufreibenden Folgerichtigkeit zum explosiven Gebell.“ Seinem Vetter Bertram, der ihm wohl als Inspiration für den Text diente, attestierte er: „Seiner Sensibilität entsprechend, hustet Bertram laut, wenn die Musik leise, und milder, wenn sie laut wird. Er bildet gleichsam mit seinem unerfreulichen Organ einen disharmonischen Kontrapunkt.“