Ein Kind, das alles tut, was von einem verlangt wird? Das nicht flucht und dazu noch gescheit ist? Fast schon gruselig. In Christine Nöstlingers „Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse“ erweckt Österreichs bedeutendste Kinder- und Jugendbuchautorin genau diesen Eltern(alb?)traum zum Leben.

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Der Inhalt der Geschichte ist schnell erzählt: Eine Firma stellt perfekte Kinder her, verpackt sie in Konservendosen und verschickt sie – alles picobello. Beworben wird das Produkt dabei effektiv: „Liebe Eltern, hiermit ist Ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen. Wir, die Erzeuger, wünschen Ihnen viel Glück und viel Vergnügen mit Ihrem Nachwuchs. Möge er Ihnen stets zur Freude gereichen und die Erwartungen erfüllen, die Sie in ihn und unsere Firma gesetzt haben.“

Angekommen ist das Paket jedoch bei der falschen Adresse, nämlich bei Frau Bartolotti. Die ist in den Fünfzigern, einsam und vor allem sehr chaotisch, Kaufsucht inklusive. Mutterfigur? Fehlanzeige. Konrad wächst ihr dennoch ans Herz, die Fabrik will den Irrtum rückgängig machen, zum Schluss kommt es aber zum Happy End.

Bei Konrad fehlt mir die Schmerzgrenze des Kindseins.

Yüksel Yolcu, Regisseur

Politikum Muttersein

Bei der Geschichte allein bleibt es nicht, denn das Buch selbst behandelt viele Themen. „Es geht um Erziehung, um Gesellschaft und das Muttersein als politisches Instrument“, so der Regisseur Yüksel Yolcu, der ab Mai Nöstlinger auf die Bühne des Renaissancetheaters bringt.

Vor einem Jahr hat der Regisseur das Go für das Stück bekommen. Wie lange er insgesamt an der letzten Inszenierung der Saison arbeitet, kann Yolcu aber nicht genau sagen. „Ich würde sagen, sechs oder sieben Monate haben wir uns intensiv damit beschäftigt. Ich habe ja keine Zeit, wo ich sage: ‚Jetzt arbeite ich daran.‘ Je nachdem, wie viel Zeit ich finde.“ Die Arbeit als Film- und Theaterschauspieler hat ihm dabei geholfen, sich beim Proben in die Schauspieler*innen hineinzuversetzen. Kein Rezept, nach dem man leben kann. Ein bisschen Verzweiflung brauche jedes Theater, findet Yolcu. „Geschichten, wo alle glücklich sind, funktionieren nicht. Aber letztendlich hat der Mensch viel mehr Gutes in sich. Das suche ich und weiß, dass das stärker ist.“ Für ein junges Publikum ist es außerdem wichtig, Hoffnung darzustellen. Anders als bei Erwachsenen.

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Ein Thema, das den Regisseuren oft begegnet, ist Familie. „Das kommt immer wieder vor. Am Ende interessieren uns die Menschen am meisten. Also ihr Seelenzustand, ihr geistiger Zustand, ihre Biografie, ihre Brüche im Leben. Und das fasziniert uns, weil wir nicht wissen, wie das Leben funktioniert. Es gibt kein Rezept, wie man leben soll.“

Moby Dick Theater der Jugend

Als die Wale kämpfen lernten

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Der Stoff des Lebens

Was er Konrad sagen könnte, wenn er ihn treffen würde? „Ich würde zu ihm sagen: ‚Überrasch mich!‘“, kommt es prompt von Yolcu. „Was ich an diesem Stück eigentlich vermisse, ist, dass Konrad diese Schmerzzonen des Kindseins nicht leben kann.“ Kinder machen viele Veränderungen durch, körperliche, emotionale und zwischenmenschliche. Das ist für Eltern natürlich schwer auszuhalten. „Man kann ein Kind nicht vor Enttäuschungen schützen, das ist der Stoff des Lebens.“ Als Eltern sei es da wichtig, Zeugen dieser Gefühle zu sein. „Aber es geht nicht darum, die Kinder vor diesen Schmerzen zu schützen. So ist das Leben nicht.“

Die Frage nach dem Weg

„Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen.“ Diesen Satz von Maria Montessori greift Yolcu kurz auf. „Das ist, glaub ich, ein starkes Element: Sie sind erst einmal eine riesige Kopiermaschine. Durch das Verhalten der Erwachsenen schauen sie sich ab, wie das Leben funktioniert. Und sie haben eine angeborene Neugierde – das ist das, was die ‚Maschinerie‘ des Kindseins aufrechterhält.“ Auch umgekehrt können sich Erwachsene von Kindern eine Scheibe abschneiden: „Besonders das Vergeben. Nicht nachtragend zu sein. Eine große Verbundenheit, Loyalität, Spontaneität – das kann man von den Kindern lernen“, betont Yolcu, der selbst Vater von drei Kindern ist. Während Erwachsene sehr nachtragend sind, kommt es bei Kindern schneller zu Akzeptanz. „Wir Erwachsene trauern dem nach, aber Kinder fügen sich ganz schnell in Veränderungen. Das ist eine unglaubliche Überlebensstrategie, finde ich.“

Diese brauchen sie auch, denn Kinder können bekanntlich ähnlich erbarmungslos sein – indem sie ihre Mitmenschen schikanieren zum Beispiel. Im Stück gibt es Stellen, in denen Konrad von seinen Klassenkamerad*innen gemobbt wird, die der Regisseur unbedingt drinnen lassen wollte. „Das ist mir wichtig, weil ich zeigen wollte, dass Gewalt oft im Spiel ist“, fügt er hinzu.

Konrad Theater der Jugend
Die Grande Dame der Kinder- und Jugendliteratur.Neben Konrad prägen die Figuren von Christine Nöstlinger

Foto: Peter Rigaud

Christine Nöstlinger, die Humanistin

Am Ende noch kurz zu Christine Nöstlinger. Yüksel Yolcu zeigt sich begeistert von der Schriftstellerin. „Was ich an ihr so toll finde, ist, dass sie eine unglaubliche Humanistin war. Sie trat für das Menschsein ein und war dabei selbstbewusst und so nahbar.“ Die Schriftstellerin brach bekanntlich Klischees auf und legte mit ihren Werken den Finger in die Wunde. „Sie ist ein wirklich toller Geist, so uneitel und sehr menschlich. Das gefällt mir sehr an ihr.“

Also, wer ein bisschen Nöstlinger-Luft schnuppern möchte – ab ins Theater der Jugend!

Konrad Theater der Jugend

Foto: Jörg Metzner

Zur Person: Yüksel Yolcu

Yüksel Yolcu wurde in der Türkei geboren und kam im Kindesalter nach Deutschland. Nach seiner Schauspielausbildung folgten ­Erfahrungen als Schauspieler im Theater- und Filmbereich sowie ­Studien der Regie und der Maskenarbeit in Paris. 2003 erhielt er den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin. Am Theater der Jugend ­inszenierte Yolcu schon „Ronja Räubertochter“ und „An der Arche um Acht“. Ab Mai 2023 bringt er mit „Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse“ eine der bekanntesten Nöstlinger-Figuren auf die Bühne des Renaissancetheaters.