Am Tag der Premiere von „Schäfchen im Trockenen“ pfeift ein eisiger Wind durch die Stadt, verwirbelt Stirnfransen, die unter Hauben herausschauen, und zwingt Radfahrer*innen dazu, ihre Definition von Gegenwind sprachlich zuzuspitzen. Den Wirbel der letzten Probenwochen merkt man Regisseurin Isabella Sedlak kaum an. Dick eingepackt und gut gelaunt sperrt sie die Tür zum Theater Drachengasse auf. So ein Premierentag fühle sich immer ein bisschen wie ein Abschied an, sagt sie. „Mein Teil der Arbeit ist eigentlich getan. Schon in den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass die Spielerinnen das nun zu ihrem Ding gemacht haben.“ Sie lacht. Nervös werde sie erst, wenn am Abend das Licht ausgeht, fügt sie hinzu.

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Um Abschiede geht es auch in „Schäfchen im Trockenen“, einem Roman von Anke Stelling, den Isabella Sedlak gemeinsam mit der Dramatikerin Anna Gschnitzer für die Theaterbühne adaptiert hat. Denn auch Resi, Autorin und Hauptfigur des Romans, muss sich verabschieden. Sie ist aus der großen Altbauwohnung rausgeflogen, in der sie mit ihren Kindern und ihrem Partner, der Maler ist, zur Untermiete gelebt hat. Damit ist sie auch raus aus der hippen, linken Freund*innengruppe – die Fassade bröckelt nicht nur, sie wird löchrig. Weil sich zudem am Horizont keinerlei Erbmasse abzeichnet, die langsam, aber stetig, auf sie zurollt, findet sich Aufsteigerin Resi plötzlich als Außenseiterin wieder. Wo zuvor noch Selbstverwirklichungsromantik war, ist nun die Frage: Ist das noch Bohème oder schon Unterschicht? Der Satz stammt im Übrigen von der Musikerin Christiane Rösinger, erzählt Isabella Sedlak. Während der Arbeit an der Inszenierung hätte sie immer wieder daran gedacht – und auch eine Coverversion davon ins Stück eingebaut.

Schäfchen im Trockenen
Barča Baxant und Edwarda Gurrola in „Schäfchen im Trockenen“.

Foto: Isabella Simon

Resi packt die Wut

Ihre neue Lebenssituation führt dazu, dass Resi die Wut packt. Sie richtet ihren Zorn unter anderem gegen die Generation ihrer Eltern, die es ihrer Meinung nach verpasst hat, sie darüber aufzuklären, was es bedeutet, Kinder zu bekommen. Wütend entscheidet sie sich dazu, mit ihrer Tochter über die Grenzen von Selbstermächtigung und Selbstverwirklichung zu sprechen. „Ich habe in der Vorbereitungszeit mit vielen Menschen aus meinem Freund*innen- und Bekanntenkreis gesprochen. Eine Freundin von mir meinte, dass jetzt, wo sie ein Kind hat, plötzlich das Patriarchat mit ihr am Frühstückstisch sitzt, weil sie, obwohl sie immer in feministischen Kontexten unterwegs war, auf einmal in Strukturen aus den Fünfzigern gefangen ist und nicht weiß, wie sie da wieder rauskommt“, erzählt Isabella Sedlak.

Der Roman von Anke Stelling sei ihr von einer Freundin empfohlen worden, kehrt die Regisseurin an den Beginn ihrer Auseinandersetzung zurück. „Ich hatte beim Lesen sofort einen Haufen Ideen im Kopf. Die große Aufgabe bestand dann darin, all die Erinnerungsblitze, die im Buch vorkommen, miteinander zu verbinden“, fügt sie hinzu. Eine dieser Erinnerungsblasen fällt ihr sofort ein: „Anke Stelling beschreibt zum Beispiel eine Szene, die in einer WG in den Neunzigern spielt. Alle sind supercool und links und sagen, dass sie das Geld ihrer Großeltern, die Nazis waren, nie annehmen würden. Dann gibt es einen Switch und man sieht dieselben Menschen 20 Jahre später, wie sie in Bauprojekten wohnen, die sie von genau diesem Erbe finanziert haben.“

Es gibt vier Resis, weil wir darauf hinweisen wollten, dass es um keine individuelle Problematik geht.

Isabella Sedlak
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„Ich wäre gern mit den anderen im Tourbus“

Rasch kristallisierte sich für Isabella Sedlak auch heraus, dass sie gerne vier Resis auf der Bühne hätte. „Es gibt vier Resis, weil wir darauf hinweisen wollten, dass es um keine individuelle Problematik geht. Und Resi viele unterschiedliche Frauen sein könnte“, begründet die Regisseurin ihre Entscheidung und setzt nach: „Gleichzeitig interessierte es mich, wie sich Situationen aus dem Buch verändern, wenn da plötzlich ein solidarisches Miteinander existiert. Wenn Resi nicht alleine ihre Wut aufschreibt, sondern diese mit einer Gruppe teilt.“

Die Auseinandersetzung mit dieser Wut findet nicht nur auf einer sprachlichen Ebene, sondern auch auf einer musikalischen statt, ergänzt Isabella Sedlak. Das bedeutet: Ihre vier Resis bilden eine Band – unterstützt von Musiker Philipp Pettauer. „Zusätzlich gibt es in dem Roman eine Stelle, in der Resi sagt: Ich möchte nicht alleine sein, ich wäre gern mit den anderen im Tourbus“, hält die Regisseurin fest. Im Laufe der Proben sei das Bandgefühl bei den vier Spielerinnen (von denen manche erst in den Proben lernten, ein Musikinstrument zu spielen) – Barča Baxant, Melina von Gagern, Edwarda Gurrola und Bettina Schwarz – immer stärker geworden, fügt sie voller Begeisterung hinzu. „Meist gibt es pro Szene eine zentrale Resi, die aber irgendwann gegen eine Wand läuft, woraufhin eine andere Resi übernimmt – sie knüpft daran an. Ich würde mir wünschen, dass sich daraus auch Anknüpfungspunkte für die Zuschauer*innen ergeben.“ Die Bühne von Karoline Bierner mit Illustrationen von Deniz Beşer bilden den Hintergrund zum Bandgeschehen.

Die Direktheit – manchmal auch Schonungslosigkeit –, mit der Anke Stelling die Themen Feminismus, Klassismus und Mutterschaft bearbeitet, hätte sie ebenfalls sehr angezogen, so Sedlak. „In der Sprache spiegelt sich, denke ich, auch die Schreibsituation wider. Wenn man immer wieder unterbrochen wird, weil man den Kindern Brote schmieren muss, dann kommt dabei kein Buch heraus, das elegant und gut gebaut ist. Ich finde es total clever, das nicht zu verstecken, sondern zu nützen. Außerdem zeigt es, was für ein Luxus es ist, ein Zimmer zum Schreiben zu haben, bei dem man einfach die Türe zumachen kann. Das ist ein Aspekt, bei dem es mir wichtig war, ihn auch auf die Bühne zu übertragen. Unter anderem durch die Musik, die eine gewisse Rohheit hat.“

Außerdem wichtig: Humor und Wut schließen einander nicht aus. „Humor kann sehr helfen, anstrengende Dinge zu ertragen. Humor entkrampft und erlaubt absurde Perspektiven einzunehmen“, sagt Isabella Sedlak, bevor sich unsere Wege wieder trennen. Bis am Abend das Licht ausgeht und die Aufregung in ihr aufzusteigen beginnt, wird sie sich noch ein paar anderen Dingen widmen, sagt sie und wir verabschieden uns Stunden vor dem eigentlichen Abschied, der für die Zuschauer*innen ein Anfang sein kann.

Zu den Spielterminen von „Schäfchen im Trockenen“ im Theater Drachengasse!