Nicole Claudia Weber: Entdeckung der Langsamkeit
Ruhe – und doch unter Menschen. Zum Auftakt unserer neuen „Gehsprächs“-Reihe begleiten wir Regisseurin Nicole Claudia Weber in den Augarten. Sie lässt demnächst Amadé Mozart auf Marie Antoinette treffen, um die Fantasie zu retten.
„Früher war mir das zu langsam.“ Mit „früher“ ist die vorpandemische Epoche gemeint, und „das“ bezieht sich auf den Vorgang des Spazierengehens. Nicole Claudia Weber lacht, wenn sie erzählt, wie sie dank Corona die Entschleunigung zu schätzen gelernt hat. Weshalb sie, gefragt nach ihrem Wiener Lieblingsort, auch sofort den Augarten nennt. Weil sie hier eben herumspazieren kann, was ihr noch vor zwei Jahren ein Gräuel gewesen wäre. Da ging sie lieber rollerbladen auf die Donauinsel. Und Alltagswege legt die bewegungsaffine Wahlwienerin prinzipiell und ausschließlich per Fahrrad zurück. „Der Augarten ist mein Naherholungsort. Ich wohne in der Leopoldstadt und mag den Park, weil man viel Grün um sich hat und richtig durchatmen kann. Zugleich ist aber auch etwas los. Es gibt Lokale, alles ist sehr lebendig.“ Ruhe also – und doch unter Menschen.
Seit 28 Jahren lebt sie nun in Wien. Dabei wollte sie anfangs gleich wieder weg. „Damals war es ja noch ein wenig düster. Ich hatte einen Vierteltelefonanschluss, was, aus München kommend, wirklich skurril war – aber auch charmant. Doch dann wurde es Winter, es war bitterkalt, ich habe fast nur John Irving gelesen und sah überall seine Charaktere.“ Wie so oft, kam irgendwann die Liebe und mit ihr die rosarote Brille, die nebst- bei auch Wien in ein romantisches Licht zu rücken vermochte.
Nicole Claudia Weber schloss ihr Studium ab und gab im Messepalast ihr Bühnendebüt im umjubelten Musical „Cabaret“ – Inszenierung: Meret Barz. „Mit den Jahren haben Wien und ich uns angefreundet, also bin ich geblieben. Heute finde ich es einfach wahnsinnig schön. Man kann hier durch verschiedene Welten spazieren, wenn man will.“ Und bekanntlich will sie ja jetzt.
Zur Person: Nicole Claudia Weber
Nicole Claudia Weber, aufgewachsen in der Nähe von München, hat in Wien ihre Bühnenreifeprüfung absolviert. Sie stand für zahlreiche Produktionen auf der Bühne, bis sie schließlich 2006 mit der Uraufführung von „I will survive“ ihr Debüt als Regisseurin gab. Ihre „Fledermaus“-Inszenierung für die Operette Langenlois wurde für den österreichischen Musiktheaterpreis 2022 nominiert.
Von der Bühne vor die Bühne
Der Umstieg vom Darstellungsfach in das der Regisseurin ging schleichend vonstatten. „Ich mochte meinen Job, fand mich aber immer ein wenig zu verkrampft. Außerdem hatte ich immer Ideen, wie es meine Kolleginnen und Kollegen besser machen könnten, und wusste oft nicht, wie ich ihnen das sagen sollte, ohne übergriffig zu sein.“
Sie wechselte schließlich vom Musik zum Improtheater, „wo ich viel über
Storytelling gelernt habe“, unterrichtete Jugendliche im Fach Schauspiel und Improvisation im Rahmen eines Resozialisierungsprojekts und lernte dabei Autor Raoul Biltgen kennen.
Dessen Einpersonenstück „I will survive“ wurde 2006 am Théâtre National du Luxembourg schließlich zu ihrem Regiedebüt. Der Reiz des Berufs liegt für sie im Erzählen von Geschichten.
„Theater ist meiner Meinung nach eine der wenigen Formen, die wir noch haben, wo wir bewusst und unbewusst differenziertes Denken und Empathie schulen; und die Schulung des Mitgefühls geht nun einmal am besten über Geschichten.“
Und über das Lachen. Das ist ihr besonders am Kinder- und Jugendtheater wichtig. „Jugendliche brauchen doch vor allen Dingen Humor, denn dieser ist eine sanfte Art, sich zu verzeihen. Anfangs brachten sie sich bei Improvisationen zur Stückentwicklung entweder um, hatten Krebs oder ihre Eltern starben. Was aber klar ist, denn in diesem Alter hat man ja wenig Selbstbestimmung. Die einzige Selbstbestimmung ist der Freitod. Oder man lässt eben die Eltern sterben.“ Jetzt muss sie selber herzhaft lachen.
Sie unterscheidet in ihrer Arbeitsweise auch nicht zwischen Kinder- und Erwachsenentheater.„Niemand spürt so gut wie Kinder, ob man sie ernst nimmt vorn herum moderiert und kommentiert wird. Man braucht eine klare Erzählstruktur.“ Die eine oder andere gute Idee sei selbstredend auch nicht abträglich.
Kinder ohne Kindheit
Am Stück mit dem leicht zu merkenden Titel „Das höchst kuriose Abenteuer der hochwohlgeborenen kaiserlichen Tochter Marie Antoinette und des allseits bekannten Wunderkindes Wolfgang Amadé Mozart“, das in ihrer Inszenierung am 18.Februar im Theater der Jugend Premiere feiert, habe ihr sofort gefallen, „dass die beiden Hauptfiguren gleich auf- einander losgehen. Die beiden müssen einander halt erst kennenlernen.“
Denn auch dadurch fühlten sich Kids emotional verstanden und lernten, sich in der Welt, die eben nicht nur fair sei, zurechtzufinden. Das 2002 uraufgeführte Stück aus der Feder von Direktor Thomas Birkmeir behandelt das fiktive Zusammentreffen des Wunderkindes mit der Kaisertochter. Der eine zum Geld verdienen verdammt, die andere gefangen in einer Welt, in der es niemandem erlaubt ist, sie zu berühren.
Jugendliche brauchen doch vor allen Dingen Humor, denn dieser ist eine sanfte Art, sich zu verzeihen.
Nicole Claudia Weber, Regisseurin
Es folgen märchenhafte Abenteuer, bei dem auch die Königin der Nacht aus ihrer durch Trauer um ihre Kinder verursachten emotionalen Erstarrung befreit werden muss. Zudem gilt es, den blauen Vogel, für nichts weniger als Fantasie, zu retten...
Hier ließe sich nun der Kreis zum Augarten schließen, fand im Gartensaal des Schlosses am 26. Mai 1782 doch das erste „Morgenkonzert“ unter der musikalischen Leitung von W.A.Mozart statt. Doch ganz so bildungsbürgerlich will man sich doch nicht verabschieden. Was also macht die Regisseurin, wenn sie nicht inszeniert? „Ich koche und esse gern. Und ich versuche, Kontakt zu Menschen zu halten, die nichts mit Theater zu tun haben. Eine Freundin von mir ist Ärztin – und wenn ich bei der über irgendwelche Theaterkrisen jammere und sie mir dann erzählt, dass sie heute vier Kinder zur Welt gebracht hat, denke ich: Nicole, halt einfach die Fresse!“ Und wieder Lachen. Laut und lebhaft.
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