„Theater funktioniert nur im Miteinander“
Saliha Shagasi und Anna Manzano „wurden verkuppelt“ und leiten nun gemeinsam die Community-Sparte des Burgtheaters. Warum Theater so empowernd wirken kann und weshalb sie mit ihrer Arbeit nicht als „Satellit“ wahrgenommen werden möchten? Wir haben die beiden Theatermacherinnen zum Interview getroffen.
BÜHNE: Was bedeutet der Begriff „Community“, so wie ihr und das Burgtheater ihn versteht?
SH: Der Begriff ist tatsächlich gar nicht so einfach zu übersetzen. Genau deshalb sind wir beim englischen Wort geblieben. Community ist eine Gemeinschaft. Jeden Abend, wenn Menschen ein Theater betreten, bilden sie eine Gemeinschaft. Eine, die die Liebe zum Theater teilt. Meist als zuschauende, konsumierende Personen. Das ist wunderbar und soll natürlich weiterhin so bleiben. Aber Theater ist in sich ein Konstrukt, das nur im Miteinander funktionieren kann. Deswegen möchten wir nach und nach eine Community aufbauen, die auch die Lust am Spielen eint. Die mit möglichst unterschiedlichen Lebenserfahrungen hierher kommt, sich trifft und austauscht. Wo jede einzelne Person etwas zu erzählen hat und man einander zuhört. Wo außergewöhnliche Geschichten Platz finden. Ich finde auch die folgende Bedeutung des Wortes spannend – dass etwas, das „common“ ist, allen gehört. Denn das sollte aus meiner Perspektive so sein. Das ist auch schon lange keine neue Frage mehr und dennoch immer noch eine aktuelle Frage im Theater: Wem gehört das Theater und sollte das Bundestheater nicht uns allen gehören?
AM: Ich habe in England „Community Drama“ studiert und zurück in Österreich gemerkt, dass dieser Begriff eigentlich un-übersetzbar ist. Community klingt für mich nach Verbundenheit, nach „Ich traf jemanden zufällig und blieb kurz stehen für ein Plauscherl“ – nach Gemeinschaftsgefühl und nach Vertrauen in eine gute Welt. All das kann im Theater entstehen.
Saliha, du bist aus Köln nach Wien gekommen. Anna, du arbeitest ja schon länger am Burgtheater. Kanntet ihr einander?
SH: Nein, wir kannten einander vorher nicht und es war tatsächlich ein schöner Einfall der Künstlerischen Leitung, uns beide miteinander zu „verkuppeln“, wie Anna unsere Liebesgeschichte immer erzählt.
AM: Genau, wir wurden verkuppelt. In unserem ersten Gespräch haben wir gesagt: Wenn wir jetzt gemeinsam etwas aufbauen wollen, dann ist es wirklich wichtig, dass wir einander mögen und vertrauen. Lass‘ uns mal für den Anfang so tun, als wäre das so. Schwer war das nicht.
Wie seid ihr in die Planung der neuen Abteilung und des Spielplans hineingestartet? Was stand ganz am Anfang?
SH: Ganz am Anfang stand tatsächlich das, worüber wir zu Beginn des Interviews gesprochen haben: Wen wollen wir erreichen? Die Communities. Und wer sind die Communities? Das sind nicht nur vermeintlich migrantisch markierte Gruppen, sondern auch Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, es kann aber auch ein Clown-Club oder eine sonstige Community sein, die sich über irgendetwas, das sie miteinander teilt, definiert. Zudem haben wir darüber nachgedacht, ob wir, wie es an fast allen Theatern üblich ist, als „Satellit“ wahrgenommen werden wollen. Das bedeutet: Es gibt das große Burgtheater und dann gibt es noch die Theaterpädagogik und die steht für sich und macht Sachen alleine. So sehen wir Community- und Bildungsarbeit aber nicht. Wir arbeiten alle miteinander und unsere Inhalte sind verwoben mit jenen des „großen“ Spielplans.
AM: Obwohl wir uns nicht kannten, war es sehr einfach, eine grobe Struktur für unsere Arbeit zu finden. Wir haben vielleicht eine Stunde gebraucht, um zu wissen, was wir wollen: Dass sich an der Burg Menschen aus ganz unterschiedlichen Ecken des Lebens offen begegnen und begeistert Theater machen können. Viel mehr Arbeit ist es natürlich, diese Vision jetzt umzusetzen.
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Worauf habt ihr bei der Auswahl der Stücke besonders geachtet?
SH: Wir sind natürlich nach den Interessen der Regisseurinnen gegangen. Ebru Tartıcı Borchers hat gleich gesagt, dass sie großes Interesse an „Kabale und Liebe“ von Schiller hat. Und in meinem Kopf war direkt „Wuaaaah, neiiiin, bitte nicht der“. Traumata aus der Schulzeit waren innerhalb von Bruchteilsekunden geweckt. Aber dann sagte sie gleich hinterher: „Ich habe Lust, mit Jugendlichen zu untersuchen, was das mit mir zu tun hat und wie sich das aufs Heute übertragen lässt.“ Und da war ich direkt dabei. Denn diese Frage, die stellt sich doch wirklich jede Person in der Schule bei all den Schinken, die wir da lesen mussten. Anna wusste auch gleich, was sie machen wollte. Und ich eigentlich auch, weil die Themen rund um Schönheit bzw. Hässlichkeit einfach jeden Menschen auf die ein oder andere Weise berühren.
AM: Die Idee für „Kabale und Liebe“ kam also von ihr. Wir haben sie nicht ausgewählt. Der Stoff für die zweite, meine Produktion ist die Geschichte eines außergewöhnlichen jungen Mannes, mit dem ich schon lange Theater mache. Das war klar: Hier ist eine Geschichte, die ich unbedingt erzählen will. Wir alle sollen sie hören, davon bin ich überzeugt. Ich habe sie nicht ausgewählt. Sie war einfach da.
Saliha, du bringst unter anderem deine Erfahrungen mit dem Import Export Kollektiv mit – was davon findet sich in dem wieder, was ihr am Burgtheater vorhabt?
SH: Naja, ich habe das Kollektiv ja tatsächlich gar nicht aufgebaut, es war schon da, als ich ans Haus kam. Aber mein bzw. unser Ziel wären schon ein paar Elemente aus der Arbeit mit dem Kollektiv mitzubringen – wie eine einigermaßen faire Bezahlung für die Menschen, die da das Haus voll machen und ihre eigenen Peer-Groups mitbringen, die wir uns als Theater so wünschen. Und das geht meiner Meinung vor allem durch Repräsentation (auf der Bühne als auch der Geschichten auf der Bühne). Dann natürlich dieses Gefühl von: Wir haben hier eine Stimme. Über das Involvieren dieser tollen, jungen engagierten Menschen auch außerhalb von Produktionen hat das geklappt – bei Aktionen in der Stadt, beim Theaterfest, bei Ausstellungseröffnungen etc. Der Kern war trotzdem immer das Theater bzw. die Lust am Spielen. Aber sie wollten eben auch einfach miteinander abhängen, Zeit miteinander verbringen und das am liebsten an dem Ort, an dem sie das Gefühl hatten, gesehen zu werden. Und der noch dazu total gemütlich war, denn der Carlsgarten am Schauspiel Köln, das war bzw. ist zum Glück immer noch eine Oase. Und dieses Gefühl von Verbundenheit und Miteinander – das wäre einfach so schön, wenn wir das auch hier schaffen würden. Das wird nicht so einfach sein, ehrlich gesagt, auch weil die Lage dazu führen wird, dass Menschen sich immer – zumindest ein bisschen – auf eine Reise begeben müssen, auch wenn es eigentlich gar nicht zentraler geht.
AM: Viele Dinge, die das Kollektiv in Köln macht, sind für die Burg erstmal undenkbar. Da ist es toll, wenn wir sagen können: „Für das Burgtheater ist das vielleicht unvorstellbar, aber … in Köln hat das funktioniert.“
Empowerment ist ein großes Thema – auf welche Weise kann Theater empowernd wirken?
SH: Ha, das passt ja genau zu dem, was ich oben sagte. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass mit Sprache umzugehen und zu spielen, enormes Selbstbewusstsein schenkt. Der Austausch mit den anderen, das Gefühl – oh krass, hier bin ich erst einmal okay und alle Menschen haben irgendetwas Besonderes und wer ich in der Schule oder auf der Arbeit bin, das spielt hier keine Rolle. Das Hineinschlüpfen in Rollen, die, wenn ich das möchte, ganz weit weg von mir sind, was gibt es Schöneres? Und dann vielleicht sogar zu entdecken – Moment mal, ich bin sonst total schüchtern, aber ich kann ja voll wütend sein. Das ist vielleicht doch mehr Teil von mir, als ich gedacht hätte. Oder als Nicht-Muttersprachler*in sein Deutsch immer weiter zu verbessern, eben weil man ständig mit Sprache hantiert. Oder als Person, die gar keinen Bezug zu ihrem Körper hat, zu erfahren: Boah, mein Körper kann so viele Dinge. Wow. Ich könnte ewig weitermachen.
AM: Welche Geschichten werden an der Burg von wem erzählt? Und wer schaut zu? Darin liegt eine große Macht. Sich diese Macht zu nehmen, sie neu zu verteilen – das ist empowernd.
Inwiefern wird Mehrsprachigkeit ein Thema sein?
SH: Ich arbeite eigentlich immer so, dass ich schaue, wer ist da, welche Sprachen sind da, passt es inhaltlich zum Stück. Wir haben das nicht fix im Programm, wobei einer unserer Clubs und eines unserer Theater-Labore explizit auf Englisch und Deutsch stattfinden wird.
AM: Mir ist es unangenehm, Mehrsprachigkeit als Thema herauszustellen. Sie ist ganz normaler Alltag für so viele Menschen. Insofern kommt unser Theater nicht ohne Mehrsprachigkeit aus.