Theater ist, wenn es draußen heiß ist und es drinnen schneit. Und auf den Schneefall sofort der Herbststurm inklusive Laubregen folgt. Draußen glüht die Neubaugasse im siebten Wiener Bezirk, und Thomas Birkmeir, Direktor des Theaters der Jugend, und Gerald Maria Bauer, sein Chefdramaturg, werden wechselweise eingeschneit oder fast weggeblasen. Hinter den beiden Theatermachern stehen noch die Kulissen von „Die Schöne und das Biest“. Autor und Regisseur Henry Mason hat damit zum Saison­abschluss vor dem Sommer einen beachtenswerten Hit hingelegt. Nahezu jede Vorstellung war ausverkauft.

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Sieben Wünsche (ab 20. Mai, Renaissancetheater)

Wegen des großen Erfolges, aber nicht nur, schreibt Henry Mason bereits an den „Sieben Wünschen“, seinem nächsten Stück für das TdJ. Im Mai 2025 (Premiere am 20. Mai) wird es kommen und sich durch die Grimm’sche Märchenwelt arbeiten. „Henry ist ein derart überbordender Mensch, er hat so viel Fantasie und Kreativität, und es wird sicher etwas für das Auge und für den Kopf. Aber derzeit feilt er noch daran“, sagt Thomas Birkmeir und schüttelt die künstlichen Schneeflocken aus seinem Haar. Wir sind hier, um mehr über das neue Programm der kommenden Monate zu erfahren.

Emil und die Detektive (ab 8. Oktober, Renaissancetheater)

Erich Kästners Kultroman endlich wieder auf einer Theaterbühne. Emil wird im Zug nach Berlin bestohlen und findet dann mit Hilfe von anderen Kindern den Dieb. „Kästner hatte diese Gabe, große Gedanken auf einen kleinen Nenner zu bringen, sie aber dabei nicht klein werden zu lassen. Kinder haben ein sehr feines Gespür für Ungerechtigkeiten – leider geht dieses im Lauf des Lebens verloren“, sagt Gerald Maria Bauer, und Birkmeir sekundiert: „Es ist durchaus sinnvoll, durchs Leben zu gehen und zu schauen, was Kinder zu sagen haben. Man kann viel von ihnen lernen.“

„Es gibt ein Heimatgefühl. Heimat ist dort, wo man sich geborgen fühlt. ‚Heidi‘ passt genau in unsere Zeit.“

Thomas Birkmeir, Direktor Theater der Jugend

Heidi (ab 3. Dezember, Renaissancetheater)

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Thomas Birkmeir hat den Roman von Johanna Spyri bearbeitet. Die kleine Waise Heidi lebt bei ihrem einsiedlerischen Opa in den Bergen, wird später dann in Frankfurt der kranken Klara Gesellschaft leisten, wird dort selbst krank und darf zurück zu ihrem Opa in die Berge. Birkmeir: „Was ist Heimatverbundenheit? Es ist ein negativ belasteter und auch abgenutzter Begriff – aber es gibt das Heimatgefühl, das ist dort, wo man sich geborgen fühlt. Ich habe versucht, all die klischeebelasteten Dinge, die es in dem Buch gibt, umzudrehen. Es ist eine brisante Frage: Was ist das Heimatgefühl jener 30 Prozent der Österreicher, die das Gefühl haben, dass die anderen nicht hierhergehören? Heidi ist eine Heimatvertriebene. Sie kommt in die Stadt, sie funktioniert, und sie wird wegen ihres Lebens in der Diaspora krank. Außerdem finde ich, dass der Öhi eine hochinteressante Figur ist – er hat etwas sehr Künstlerisches. Zwischen ihm und Heidi gibt es eine besondere Brücke.“

Miranda im Spiegelgrund (ab 14. Februar, Renaissancetheater)

Am liebsten stünde Miranda den ganzen Tag vor dem Spiegel. Doch eines Tages hat ihr Spiegelbild die Nase voll und läuft weg. Um ihr Spiegel-Ich wiederzubekommen, muss Miranda ins Spiegelland, wo die Leute rückwärtssprechen, wo links rechts und rechts links bedeutet, wo kein Zimmer ganz zu sehen ist und man sich leicht verläuft. Alan Ayckbourn hat es geschrieben, und es ist eine Wieder­aufnahme aus der Saison 2005/06. Direktor Birkmeir: „Es ist jetzt viel aktueller als früher – es ist ein Stück über die Smartphone-Generation, die sich permanent bespiegelt.“

Theater der Jugend Wien
Versuch am Dach. Thomas Birkmeir und Gerald Maria Bauer haben für die kommende Saison ein extrem breites Programm zusammengestellt. Der Schneemaschine gefällt’s.

Foto: Stefan Fürtbauer

Mythos Ragnarök (ab 28. März, Renaissancetheater)

Versprochen, dieses Stück wird Geschichte schreiben. So etwas wurde noch nie zuvor auf einer Wiener Bühne gezeigt: Die Wikingermythologie wird mit ­professionellen Wrestlern auf die Bühne gebracht. Odin, Thor, Loki und die anderen Götter fliegen durchs Theater oder werden geflogen. Ein Stück, das in England zum Hit wurde. Es ist eine meisterhafte Mischung aus Erzählung, Theater und Bühnenkampf, die vom „Telegraph“ zu einer der besten Bühnenshows gekürt wurde. Birkmeir: „Wir waren bei einem Festival in England und haben uns eigentlich einen Theaterabend erwartet, und dann geschah das Unerwartete, und es war lustig, gut und gescheit. Es ist eine schöne Apologie für das, was unterschiedliche Kräfte miteinander anstellen.“

Funken (Premiere 15.Oktober, Theater im Zentrum)

Es sind die Nerds und Außenseiter*innen, die ihren Sommer dazu nutzen, Atome zu spalten, Mozart-Partituren auswendig zu lernen oder das gesamte Raum-Zeit-Kontinuum auszuhebeln. Ein wahres Paradies für Tüftler*innen und Hochbegabte. Blöd nur, dass Malte kein Genie ist. Er freundet sich mit drei anderen Kindern an und findet heraus, dass der Betreiber des Camps eine ganz eigene Agenda hat. Karin Drechsel wird Regie führen. Birkmeir: „Es ist eine brillante Komödie über die Manipulation von Freiheit und sehr aktuell, da wir in einer Zeit leben, in der es nur mehr um das Sammeln von persönlichen Daten geht. Wenn ich mich daran erinnere, dass es früher – in der Vor-Social-Media-Zeit – Demonstrationen gab, wo geschrien wurde: ‚Meine Daten kriegt ihr nicht!‘, und heute liefern wir mit jedem Klick den großen Konzernen freiwillig unsere ganz persönlichen Vorlieben. Es thematisiert die subtile Ausbeutung unter dem Mantel der Freiheit.“

Theater der Jugend Wien
Thomas Birkmeir und Gerald Maria Bauer. Der Direktor (li.) und sein Chefdramaturg als Opfer der Schneemaschine des Renaissancetheaters.

Foto: Stefan Fürtbauer

Echtzeitalter (Premiere: 14. Jänner, Theater im Zentrum)

Es gibt viele Gründe, Tonio Schachingers Bestseller zu lieben: weil man selber seine Schulzeit unter Mitschüler*innen verbracht hat, „die sich schon mit zehn so kleiden, wie sie es ihr restliches Leben über tun werden“. Also grüne Polos für die Buben und weiße Jeans für die Mädchen. Oder weil man Lehrer hatte, die irre waren oder rauchend die Aufsicht am Sportplatz übernommen haben. Oder man liebt es, weil Schachinger Pointen unaufgeregt schleudern kann und dabei trotzdem nie an die Oberfläche ploppt. Der Wiener erzählt die Schulzeit von Till, der das Computerspiel „Age of Empires“ am besten beherrscht. Tonio Schachinger hat – zu Recht – den Deutschen Buchpreis gewonnen. Gerald Maria Bauer, Chefdramaturg des Hauses und in den vergangenen beiden Jahren mit seinen Thomas-Bernhard- und Franz-Kafka-Bearbeitungen erfolgreich, wird das Stück für die Bühne aufbereiten und auch Regie führen. „Wir haben am Tag vor der Verleihung des Buchpreises beim Verlag angefragt, am nächsten Tag waren dann alle Leitungen besetzt.“ Bauer lacht. Ein Monat vor der TdJ-Premiere wird das Stück in einer anderen Bearbeitung im Grazer Schauspielhaus aufgeführt werden. Dort will das Kollektiv F. Wiesel den Roman zu einem medienübergreifenden Spektakel machen. Bauer hingegen bleibt dort, wo es der Autor verortet hat. „Ich habe ihm ein Video von meinem ‚Bernhard‘ geschickt, und dann hat er uns die Rechte gegeben.“

Mitten im Gesicht (Premiere: 29. April, Theater im Zentrum)

Das Musical-Erfolgsduo Gerald Schuller und Peter Lund schreibt noch an einem Stück „über ein Mädchen, das sich seine Nase operieren lassen will. Ein Stück über unser Zeitalter der ‚Ich-AGs‘. Ich freue mich sehr“, sagt Direktor Birkmeir und schüttelt sich die letzten Schneeflocken aus dem Haar.