Gemischte Gefühle
Absurd, komisch, bitter und dann wieder tieftraurig – Jonathan Safran Foers Roman „Alles ist erleuchtet“ ist all das gleichzeitig. Und noch sehr viel mehr. „Dieser Text ist wie das Leben selbst“, sagt Regisseurin Mina Salehpour.

Foto: Andreas Schlager
Wer sich gemeinsam mit Mina Salehpour auf einen Roadtrip durch ihre Gedankenwelt begeben möchte, sollte gut ausgeschlafen sein. Selbst an Tagen, an denen sie, wie sie sagt, „supermüde“ ist, schaltet sie auch in engen gedanklichen Wendungen höchstens einen Gang runter. Und dann sofort wieder zwei rauf. Mit ihrer schnellen, präzisen und unglaublich klaren Art fährt die Regisseurin im Theaterbetrieb derzeit ziemlich gut – ihre Arbeiten sind nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Skandinavien zu sehen. Wir sitzen in der Kantine des Akademietheaters, wo vor zwei Tagen die Wiener Premiere ihrer Inszenierung „Das große Heft / Der Beweis / Die dritte Lüge“ stattgefunden hat.
Um einen Roadtrip geht es auch in ihrer kommenden Produktion. Im Akademietheater bringt Mina Salehpour Jonathan Safran Foers hochgelobten Debütroman „Alles ist erleuchtet“ auf die Bühne. „Dieses Buch ist für mich wie ein warmes Bad“, bringt sie ihre Begeisterung für den 2002 erschienenen Roman auf den Punkt. Sie setzt nach: „Es ist so reichhaltig und fantasievoll – so bitter und gleichzeitig so süß. Manchmal kommt man aus dem Lachen kaum raus, dann weint man wieder. Leid und Komik überlagern einander. Dieser Roman ist wie das Leben selbst.“

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Erzählen, um vorwärtszukommen
Die Klarheit, mit der Salehpour ihre Sätze abfeuert, steht der Gleichzeitigkeit, die sie an Foers Text so sehr schätzt, diametral gegenüber. Der Roman ist ein Plädoyer für die Schönheit gemischter Gefühle – dafür, dass das Leben voller Situationen ist, die einen mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurücklassen. Auch darüber hinaus mischt sich in Foers Roman so einiges: Erinnerung mit Fiktion, Reisebericht mit Rückblenden.
Der Inhalt in aller Kürze: Ein junger amerikanischer Autor namens Jonathan reist durch die Ukraine. Er ist auf der Suche nach jener Frau, die seinem jüdischen Großvater im Zweiten Weltkrieg das Leben rettete. Als Reiseleiter fungieren ein alter Ukrainer und sein Enkel Alex, dessen eigene Geschichte sich nach und nach vor ihm entfaltet.
Darüber hinaus liest Alex immer wieder einzelne Passagen aus Jonathans Romanprojekt und fragt ihn an einer Stelle, ob er die Geschichte nicht so schreiben könne, dass sie besser ist als das Leben. „Darin schwingt einerseits eine gewisse Verzweiflung darüber mit, was er im Laufe der Reise über seine eigene Familiengeschichte erfährt, andererseits könnte man es auch so lesen, dass sich die Geschichte auf keinen Fall wiederholen darf. Womit wir wieder mitten in der Gegenwart sind“, so Salehpour.
Die Regisseurin hat bereits Erfahrung damit, Roadtrips auf Theaterbühnen zu inszenieren. Sie hat unter anderem Herrndorfs „Tschick“ und Steinbecks „Früchte des Zorns“ auf die Bühne gebracht. Die Suche nach dem magisch anmutenden Ort Trachimbrod möchte sie schnell und flirrend erzählen, sagt sie. Bewegung entsteht aber auch durch das Erzählen selbst – auch die Fortschreibung ist eine Form von Fortbewegung. „Man erzählt, um vorwärtszukommen, um etwas voranzutreiben – um zu überleben“, bringt es die Regisseurin auf den Punkt. Auch sich selbst bezeichnet sie als Geschichtenerzählerin.
Darüber hinaus spiele der teils absurde Humor, der sich durch den gesamten Roman zieht, als Überlebensstrategie eine wichtige Rolle, fügt sie hinzu. „Als gebürtige Iranerin ist mir diese Art des Humors sehr nahe. Auch im größten Schlamassel wird noch ein blöder Witz gemacht.“
Über die Besetzung freue sie sich sehr, so Salehpour freudestrahlend. Außerdem wird es eine Verbindung zur Produktion „Das große Heft / Der Beweis / Die dritte Lüge“ geben: „Aus den Trümmern der zu Beginn umgestoßenen Mauer entsteht das Bühnenbild für ‚Alles ist erleuchtet‘. Man muss das nicht wissen, aber vielleicht macht es etwas mit den Zuschauer*innen, wenn sie es wissen“, verrät die Regisseurin.
„Alles ist erleuchtet“ ist für sie vor allem eine Erzählung über einen Landstrich und die Gewalt, die dieser Landstrich in den letzten hundert Jahren erlebt hat. „Es ist eine Geschichte über all die verschiedenen Armeen und Ideologien, die dieses Land durchpflügt haben – und dabei alles dem Erdboden gleichgemacht haben. Ich stelle mir vor, dass die Erde an diesem Ort – wenn man sie in die Hand nimmt – mit Spuren dieser Gewalt durchzogen ist.“
Kommunikation ist alles
Mit ihren Inszenierungen sei sie dann zufrieden, wenn ein gerader Ton getroffen wird, sagt Mina Salehpour. „Ich bin glücklich, wenn man nicht mehr spürt, dass die Leute spielen – wenn sie so durchtränkt sind von einem Gedanken, dass dieser Gedanke die Figur fast durchscheinend macht. Im besten Fall gibt es dann auch fast keine Energiebarriere zwischen Bühne und Publikum mehr.“
In der Arbeit mit dem Ensemble versucht sie eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, „in der alle das Äußerste geben möchten“. Und sie niemanden irgendwohin schubsen muss. Trotzdem braucht es eine Person, die die Verantwortung übernimmt, so Salehpour. „With great power comes great responsibility“, zitiert sie Spider Man. Neulich sei sie gefragt worden, wie das ist, wenn man als so kleine Frau Regie führt. „Diese Frage hat mich doch sehr verwundert, weil Regie meiner Meinung nach nichts mit Autorität zu tun hat, sondern mit Kommunikation. Das bedeutet auch, dass ich nach jedem Probentag völlig fertig bin, weil jede Meinung und jeder Gedanke durch meinen Körper geht. Ich verstehe den Job aber genau so.“
Nachdem wir Mina Salehpour durch all die kurvigen Straßen ihrer Gedankenwelt gefolgt sind, glauben wir ihr das sofort. Ob es sonst noch etwas gibt, was man über sie wissen muss? Ihr Hund heißt nicht Sammy Davis Jr. Jr. (wie im Roman), sondern Polly – nach Polly Jean Harvey, ihrer Lieblingsmusikerin.