Immer in die Vollen
Der Theaterzauberer Herbert Fritsch inszeniert Ferdinand Raimunds völlig durchgedrehtes Stück „Die gefesselte Phantasie“: bunt, hysterisch und voller Poesie. Wir haben bei der ersten Leseprobe vorbeigeschaut und verraten einige Details.
Hereinspaziert, hereinspaziert. Lassen wir doch einfach einmal alle unserer Phantasie freien Lauf. Vergessen wir den Alltag und das Sein in einer Welt voller Krisen und steigender Kosten. Stellen wir uns doch vor, wir sind alle auf einer Blumeninsel, auf der nur Poet*innen leben.
Plädoyer von: Herbert Fritsch
FÜR, also nicht gegen. Für! Für was bin ich? Dazu soll ich mich äußern, also nach außen bringen, was in mir so tobt oder treibt. Was ist mein Begehr, wonach gelüstet mich? Ja, die Lust nach etwas, auf etwas, ein möglicherweise heikles Thema. Auf was hab ich Appetit, was erregt mich? Verdammt. Diese Frage an mich auf einmal. Weiterlesen...
Ja, auch Sie und ich und der Schuster – wir alle sind Dichter und sagen Sätze wie „Sein kühner Geist ist mit Apoll verwandt, ist seine Leier gleich mit Schustergarn bespannt“. Na, wäre das nicht schön?
Im Februar wird der große Theatermagier Herbert Fritsch genau so eine Insel in das Burgtheater zaubern. Ferdinand Raimunds „Gefesselte Phantasie“ steht auf dem Programm. Ein Werk, wie geschaffen für den Farbenmaler Fritsch, der zuletzt im September 2021 mit seinem „Barbiere di Siviglia“ in der Wiener Staatsoper für Furore sorgte. Sein Humor, der aus tiefster Ernsthaftigkeit entspringt und das Publikum eint und spaltet, ist es, der einen echten Hit verspricht.
Zur Person: Elisa Plüss
wurde in der Schweiz geboren, absolvierte das Mozarteum. Sie spielte am Residenztheater, bei den Salzburger Festspielen und war im Ensemble am Schauspielhaus Zürich, wo sie dreimal mit Herbert Fritsch gearbeitet hat. Sie war kurz Gast an der Volksbühne Berlin und ist seit 2021 im Ensemble des Wiener Burgtheaters.
Mysterium Humor
Wie sagte er bei einem Gespräch mit der BÜHNE einmal so schön: „Humor ist ein Mysterium. Natürlich kann man hochmathematisch irgendwelchen Slapstick zusammenbauen, aber es würde vermutlich nicht funktionieren. Wesentlich ist: Nicht ich bin der Spezialist, sondern die, die spielen, sind die Spezialisten. Ich kann bei den Proben nur sagen: Bringt mich zum Lachen oder bringt mich zum Weinen. Vielleicht habe ich den Ruf eines Humorspezialisten, weil ich kein dröges Zeug mag. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein junger Mensch und gehen in so ein fad inszeniertes Stück rein, dann sind Sie für Ihr Leben geschädigt.“
Es ist ein verregneter Montagnachmittag. Der Regisseur verlässt das Areal des Arsenals. Gerade eben war die erste Leseprobe des Stücks. Wir begrüßen uns kurz, er klopft mir auf die Schulter und sagt. „Sabrina ist da, lass uns später einmal reden.“ Ja, warum auch nicht.
Entscheidung für Farben
Sabrina Zwach, Dramaturgin und Autorin, arbeitet seit 18 Jahren mit Herbert Fritsch zusammen – sie wird uns durch seine Ideenwelt führen. Gleich rechts nach dem Eingang steht ein erstes Modell der Bühne. Eine klassische Gassenbühne – also eine Bühne , die von hintereinander angeordneten bemalten Seitenkulissen gebildet wird. Sie ist sehr bunt. Abstrakt. Leer.
Auch das kennt man von Herbert Fritsch: „Farben erfordern eine Entscheidung. Wenn du ein Zimmer, sagen wir, blau machst, ist das eine Entscheidung, da lebt man dann drinnen, und die Farbe macht etwas mit einem. Als ich begonnen habe zu inszenieren, wollte ich alles umkehren und dann auch wieder voll in der Tradition zurück.“
Zur Person: Herbert Fritsch, 72
ist einer der präzisesten und zugleich offensten Regisseure der Jetztzeit, der für seine komischen Arbeiten vom Feuilleton gerne abschätzig behandelt wird. Fritsch war Schauspielstar bei Frank Castorf und ist erfolgreich als Filmemacher, Regisseur, Bühnenbildner, Fotograf, Performer und Medienkünstler. Fritsch hat im September 2021 Rossinis „Barbiere di Siviglia“ erfolgreich neu inszeniert.
Raimunds Screwball-Comedy
Das Stück selbst ist völlig irrwitzig, die Handlung wie aus einer rasanten Screwball-Comedy der 30er-, 40er-Jahre: Alles ist paletti auf der Blumeninsel, bis zwei böse Schwestern (Sarah Viktoria Fritsch und Elisa Plüss) auf die Insel kommen und für Unfrieden sorgen.
Verschwinden werden sie nur, wenn die Königin der Insel einen ihr würdigen Partner heiratet. Hermione will aber nicht den Typen, der ihr vorgeschlagen wird, heiraten, sondern den Hirten Amphio (der ein getarnter Königssohn ist – gespielt von Bless Amada), und sie versucht daher, sich mit den Schwestern gütlich zu einigen. Denen knallen aber die Sicherungen völlig durch, und sie verwüsten die Insel. Hermione ruft einen Wettbewerb ins Leben: Wer ihr das schönste Gedicht schreibt, den heiratet sie. Die Zauberschwestern nehmen daraufhin die Phantasie (Tim Werths) gefangen, und – schwupps – niemand kann mehr dichten. Damit aber nicht genug: Die Schwestern suchen sich in einem Wiener Vorstadtwirtshaus den untalentiertesten Harfenisten, zaubern ihn auf die Insel und wollen ihn den Wettbewerb gewinnen lassen.
Zur Person: Tim Werths
ist in Aachen geboren und absolvierte sein Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Er spielte bereits während des Studiums am Schauspiel Frankfurt, war Ensemblemitglied am Residenztheater in München. Seit der Saison 2019/20 ist Werths fixes Ensemblemitglied am Burgtheater. In Wien musste er erst einmal lernen, nicht jeden schiefen Blick persönlich zu nehmen.
ist in Aachen geboren, er absolvierte sein Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Er spielte bereits während des Studiums am Schauspiel Frankfurt, war Ensemblemitglied am Residenztheater in München. Seit der Saison 2019/20 ist Werths fixes Ensemblemitglied am Burgtheater.
Bevor Sie jetzt diesem Text nicht mehr folgen wollen, kürze ich ab: Die Phantasie wird von Jupiter (ja, der spielt auch mit) befreit. Amphio (der Königssohn und Hirte, Sie erinnern sich) gewinnt den Wettbewerb – und das Herz der Königin. Die Schwestern (die freilich vorher noch das Paar killen wollen) werden verbannt, die Insel wird wieder zum Blumengarten. Aus.
Wenn Sie der Inhalt an Shakespeare’sche Komödien erinnert, dann liegen Sie richtig: Der ewig an sich zweifelnde Ferdinand Raimund hatte das Stück geschrieben, um seinen Kritikern, die ihm mangelnde Bildung und Kunstfertigkeit beim Schreiben seiner Stücke vorgeworfen haben, das Gegenteil zu beweisen. Das Zweifelnde und die Hypochondrie sind zwei Dinge, die Raimund mit Fritsch teilt. Oder, wie Sabrina Zwach trocken anmerkt: „Am Ende sterben Hypochonder dann auch.“
Von unerfüllten Erwartungen
Schauspieler Tim Werths wird gerade von Stylist Simon Winkelmüller fotofertig gemacht, und wir setzen uns mit der Dramaturgin an jenen riesigen Tisch, an dem bis vor wenigen Minuten noch die Leseprobe stattgefunden hat.
Die Erwartungshaltungen sind hoch – immerhin geht es ja um einen Säulenheiligen der heimischen Bühnenkunst. Und ein Vorwurf steht (wie bei jedem Deutschen) wie ein Elefant im Raum: Wie bloß kann man sich als Deutscher erdreisten, an Raimund und so weiter und so fort …
Wir werden es so machen wie immer Wir werden die Erwartungen nicht erfüllen.
Sabrina Zwach, Dramaturgin
Sabrina Zwach ist in Sachen Schlagfertigkeit und Schmäh wienerischer als so mancher Wiener: „Wir werden es so machen wie immer“, sagt Zwach, macht eine kleine Kunstpause und setzt lächelnd nach: „Wir werden die Erwartungshaltungen nicht erfüllen.“ Pause. „Diese Zauberposse spielt Herbert in die Karten, weil er nicht nur sein bester Bühnenbildner ist, sondern er auch Spaß an großen Verwandlungen hat. Er liebt diese kleinen Verzauberungen und Fluggeschirre, und irgendwo brennen dann auch die Hände. Das ist alles drinnen. Es ist ein Ensemble-Stück, dazu die große Virtuosität – das alles ist Herbert.“
Wie wird die Inszenierung? Was haben Sie neu geschrieben?
Ich habe den Text ein wenig geputzt und beschleunigt, und es gibt mehr Chöre, die aber nur dazu beitragen sollen, dass das Publikum weiß, wo es sich gerade befindet. Die Bühne ist ja sehr abstrakt und leer – dadurch braucht man Hinweise, wo die Handlung gerade spielt. Aber Raimunds Text ist wunderbar. Es ist eine rhythmische, musikalische Fläche, alle sind total überdreht und hysterisch, und es gibt nicht einen Moment, wo man einer Person beim Sein zusieht.
Das Werk ist voller Reizworte: Poesie. Frau sucht Mann auf Augenhöhe. Wie heutig wird das Stück?
Es wird definitiv nicht heutig, das würde gegen Herberts Prinzipien gehen. Daraus ein emanzipatorisches Manifest zu machen, das wäre zu kurz gedacht. Da würde man etwas instrumentalisieren, was nicht dafür da ist.
Zur Person: Sarah Viktoria Frick
In Liechtenstein geboren. Brach mit 16 die Schule ab und arbeitete auf der Alm. Absolvierte die Hochschule für Musik und Theater in Zürich.
Sie ist seit 2009 im Ensemble des Burgtheaters und gewann bereits dreimal den NESTROY: 2010 als Bester Nachwuchs, 2011 und 2022 als Beste Schauspielerin.
Die Kraft aus dem Blödsinn
Nach dem Gespräch fällt mir wieder ein, was Fritsch mir in Sachen Schnelligkeit gesagt hat: „Sie ist das Wichtigste, weil das Publikum dann keine Zeit mehr zum Nachdenken hat – denn wenn Sie nachdenken, haben Sie keine Zeit mehr zum Lachen. Und somit darf man sich auch auf der Bühne keine Sekunde fragen, was die Zuschauer gerade denken, was man da heroben macht. Dann ist es vorbei. Nur die extreme Konzentration auf den völligen Blödsinn sorgt für die Kraft und die Energie, die sich auf das Publikum überträgt.“ Es gibt übrigens eine Rolle in der „Gefesselten Phantasie“, die dem Schauspieler auf den Leib geschrieben wäre: die des Harfenisten Nachtigall. Eine Rolle, die bereits bei der Premiere 1827 für Bravorufe sorgte. Und wird er diese oder doch eine andere …? Sabrina Zwach grinst, schweigt und sagt dann bloß: „Passendes gäbe es …“
Die Lust am Spielen
Sarah Viktoria Frick, Elisa Plüss und Tim Werths haben sich mittlerweile zu uns gesellt. Es ist – wie erwähnt – der Tag der ersten Leseprobe.
Was Fritsch wirklich mit dem Stück plant, ist noch nicht gesagt. Für alle drei Schauspieler*innen ist es übrigens eine Erstbegegnung mir Raimund. Dagegen hat Elisa Plüss bereits dreimal in Zürich mit Fritsch gearbeitet: „Fritsch hat etwas, was ich manchmal sehr vermisse: ein Vertrauen in jene Menschen, mit denen er arbeitet. Er lässt Dinge wachsen. Er hat einfach eine große Freude und Lust am Schauspiel. Wie er heute gesagt hat: immer in die Vollen, erst einmal alles ernst nehmen, aber mit der Großzügigkeit eines Kindes spielen.“
Sarah Viktoria Frick nickt und ergänzt ihre Kollegin: „Mir gefällt die Anarchie in seinen Arbeiten.“ Frick holt tief Luft und setzt nach: „Ich plädiere sowieso für eine zügellose Phantasiearbeit! Wir befinden uns ja gerade in einem anstrengenden Prozess mit sehr wichtigen Umbrüchen im Denken von Gesellschaft und Kunst, aber auch mit teilweise gefährlichen Tendenzen. Damit meine ich die Gefahr der Selbstzensur, die schlicht aus Angst geschieht. Da kann es schnell passieren, dass man die Lust verliert, weil man immer darauf bedacht ist, keine Fehler zu machen. Das Erfrischende bei dieser Produktion ist, dass sie unseren Beruf wieder zum Ursprung bringt – zum Spielen. Vielleicht ist das sogar ein ziemlich sinnvoller Beitrag zu den aktuellen Debatten.“
Und wie ist das jetzt mit der Phantasie? Tim Werths, der sie spielen wird (und der während des Interviews zum Fotoshooting gerufen wird und dann zur Vorstellung ins Burgtheater abrauschen muss), denkt kurz nach: „Phantasie ist wie das Universum. Phantasie kann alles sein – das ist zwar die platteste aller Antworten …“ Er macht eine Pause, und Sarah Viktoria Frick setzt grinsend den Satz fort: „… aber auch die einzige richtige.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.