Der Krieg der Knöpfe: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
„Der Krieg der Knöpfe“ ist seit über 100 Jahren in Frankreich Kult. Jetzt kommt es als französisches Wohlfühlstück mit Tiefgang und viel Musik in der Volksoper auf die Bühne. Regie führt dort erstmals Publikumsliebling Johanna Arrouas.
In der Kürze ... Mitunter werden Regisseur*innen recht wortkarg, wenn es darum geht, Fragen zu ihren Inszenierungen zu beantworten oder dazu, wie das Bühnenbild wird. Man will schon was preisgeben, um neugierig zu machen, aber dann doch nicht zu viel, um nicht dem Publikum den Überraschungsmoment zu nehmen, wenn es das erste Mal nach Heben des Vorhangs in die Welt des Stücks eintaucht. Ganz selten sind die Fälle, bei denen die Regisseurin sichtlich Freude daran hat, nur bruchstückweise Dinge preiszugeben und den Fragenden liebevoll auflaufen zulassen. Das kann dann im Fall von Johanna Arrouas und uns so klingen:
Wo ist das Stück angesiedelt?
Wir spielen in einem französischem Dorf.
Es gibt dort auch einen Platz?
Es gibt einen Platz.
Es gibt einen Baum?
Es gibt einen Baum, es gibt einen Wald.
Es gibt ein Wirtshaus?
Es gibt ein Wirtshaus ...
... wir spielen gerade so etwas wie Samuel Beckett für Arme.
Ja, großartig! (Johanna Arrouas beginnt schallend zu lachen.) Hier die Antworten auf Ihre Fragen: Grundlage sind das Buch und der Film aus dem vorigen Jahrhundert. Wir spielen in einem französischen Dorf. Alles ist in Sepia gehalten. Alle werden auf der Bühne sein. Die, die ein Musikinstrument in der Hand haben, werden Musik machen. Die, die kein Instrument in der Hand haben, werden reden und singen. Wir sind alle Teil dieses Dorfes.
Wo Wien ein bisserl Paris ist
Die Strudlhofstiege im neunten Wiener Bezirk: Hier schaut Wien irgendwie ein bisschen aus wie Paris am Montmartre. Zumindest wenn man es sich sehr wünscht und sehr wohlwollend auf den Rest des neunten Bezirks blickt. Hier treffen wir Volksopern-Liebling Johanna Arrouas und Helmut Stippich, Sänger, Akkordeonist, Pianist, Arrangeur und Komponist. Johanna Arrouas, diese Saison in vier Volksoper-Produktionen als Sängerin zu sehen, feiert mit „Der Krieg der Knöpfe“ ihr Regiedebüt an ebendiesem Haus. Stippich wird die Musik dazu komponieren und französische Hit-Chansons bearbeiten, die Arrouas – sie ist Halbfranzösin – teilweise mit neuen deutschen Texten versehen hat.
Der Blockbuster aus Frankreich
Das Stück „Der Krieg der Knöpfe“ hat alle Ingredienzien, um ein Wohlfühl-Hit zu werden. In Frankreich ist „Der Krieg der Knöpfe“ Kulturgut, das jedes Kind kennt, hierzulande arbeitet nun die Volksoper am späten Ruhm. Louis Pergaud hat das Buch 1912 geschrieben: „La guerre des boutons. Roman de ma douzième année“ („Der Krieg der Knöpfe. Ein Roman aus meinem 12. Lebensjahr“). Die in Pergauds Heimatprovinz spielende Handlung schildert mit viel vordergründigem Witz und hintergründigem Ernst den grotesk-makabren „Krieg“ der Buben zweier benachbarter Dörfer, die den jeweils Besiegten zu deren Demütigung und zur eigenen Bereicherung die Knöpfe abschneiden
„La guerre des boutons“ thematisiert vor allem die menschliche Neigung zu Krieg und Gewalt, oder?
(Johanna Arrouas neigt leicht den Kopf.)
Die Werte, die mich interessiert haben und die sich auch durch das Stück ziehen, sind die französischen Revolutionswerte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das ist das moralische Grundgerüst des Ganzen. Aus dem Anspruch der Gleichheit entsteht die Frage: Wie kommen die Mädchen in die gleiche Position wie die Buben? Nach und nach verstehen die Buben im Stück, dass sie die Mädchen brauchen. Eben nicht nur, um Knöpfe anzunähen, sondern auch, um sie zu unterstützen.
Der Film aus dem Jahr 1962 hat im Gegensatz zum Buch ein sehr versöhnliches Ende.
Das stimmt. An dem haben wir uns auch orientiert. Versöhnung ist ein so großes Thema, ein großer Begriff, weil er sehr viel mit Entscheidung zu tun hat – der Entscheidung, nicht zu kämpfen. Dazu muss man immer wieder animiert werden – und vielleicht kann das Theater dazu ein bisschen anstupsen.
Das Allerschönste ist, wenn ein Text von mir multidimensional wird und zu leben beginnt.
Johanna Arrouas, Regisseurin
In welcher Zeit lassen Sie das Stück spielen?
Im Frankreich von vor hundert Jahren. Ich versuche, das Publikum und vor allem die zuschauenden Kinder in eine andere Zeit zu versetzen, weil ich es spannend finde, aus anderen Zeiten zu lernen und aus unserer Zeit in eine Zeit davor zu schauen. Ich bin ein Fan davon, einen ganzen Theaterabend ganz woanders hinzusetzen, weil ich glaube, dass wir durch das Eintauchen in etwas anderes noch besser verstehen, wer wir jetzt sind.
Mädchen kommen im Original nur als Knöpfe-Annäherinnen vor. Später wird dann von den Buben nackt gekämpft. Was haben Sie dazuerfunden, was weggelassen? Muss der Kinderchor der Volksoper nackt auf die Bühne?
(Arrouas lacht.) Na ja, wir haben da eine Idee ... Sagen wir so: Es wird transportiert werden, dass nackt gekämpft wird. Theater kann da viel zaubern, man muss nur genug Fantasie haben. Ich wollte meine Version der Geschichte erzählen mit Rollen, die ich neu erfunden habe. Zum Beispiel Mädchen, die es im Buch von Pergaud gar nicht gibt.
Wie macht man so etwas, ohne das Original zu zerstören?
Ich habe das Buch genommen und für mich so getan, als wäre das eine Geschichte, die wirklich stattgefunden hat. Und dann habe ich imaginiert, dass ich einfach eine Kamera nicht dort hinstelle, wo sie im Film schon war, sondern einfach dort, wo ich auch einen Blick auf andere Menschen in dem Buch bzw. dem Stück werfen kann. Ich habe mir gedacht, wenn ich schon „übersetzen“ soll, dann über- setze ich nicht nur, sondern nütze das und verwende den Text so, wie ich ihn in der Handlung brauche. Beispielsweise wird das Chanson „Les Champs-Élysées“ in unserem Stück in der Schule gesungen und dort zu einem Lied über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Man wird also den berühmten Refrain hören und dazwischen andere Texte. Man muss nur ganz weit weg von den Zeilen, die man kennt. Dann geht das.
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Herr Stippich, Sie haben die Musik für viele Szenen komponiert. Was erwartet uns?
Insgesamt sind wir sechs Musiker*innen, die immer auf der Bühne sein werden. Ich spiele das Akkordeon, wir haben eine Geige, eine Klarinette, ein Schlagzeug, einen Kontrabass und eine Gitarre.
Die klassische Zaz-Besetzung ...
(Lacht.) ...genau. Es ist quasi ein französisches Schrammel-Sextett, ein Miniorchester. Wir werden aber nicht nur die Chansons spielen, sondern auch im Hintergrund zu hören sein – manchmal auch über die Dialoge drüber. Mit so einer Besetzung kann man super arbeiten. Es gibt ganz viele Farben, viele musikalische Unterschiede, die man rausarbeiten kann, und es hat den Vorteil, dass wir nicht aus dem Orchestergraben spielen müssen, sondern das Publikum direkt anspielen. Es war auch sehr hilfreich fürs Komponieren, dass Johanna mir das Stück so gut visuell dargestellt hat. Da lief sofort ein Film in meinem Kopf ab – ich hatte eine klare Klangvorstellung.
Wie viele Menschen werden wir auf der Bühne sehen?
(Arrouas übernimmt.) Wir haben in der Volksoper diesen großartigen Kinder- und Jugendchor, und die Kinder sind auch die meiste Zeit auf der Bühne – denn sie tragen das Stück. Insgesamt sind es fünfzehn Kinder und vier Erwachsene.
In vier Produktionen sind Sie, Frau Arrouas, in dieser Saison an der Volksoper zu sehen: in der „Fledermaus“, in „La rondine“, „Lass uns die Welt vergessen“ und „Hänsel und Gretel“. Aber wie kam es zur Regie?
Ich hatte das Glück, dass ich ganz zu Beginn der Direktion von Lotte de Beer angemeldet habe, dass Regie auch meine Leidenschaft ist, und da hat sie mich beauftragt, eine Kinderfassung von „La Cenerentola“ zu machen. Es ging darum, die Musik zu kürzen, eine Erzählerfigur zu erfinden, Texte zu schreiben und das dann zu verzahnen. Das hat glücklicherweise sehr gut funktioniert. Danach hatte ich die Idee mit den „Knöpfen“ – und ich habe dafür das Okay bekommen. Mir war da schon klar, das kann und will ich nur mit Helmut Stippich machen.
Abgesehen von der Sympathie, hat das ja auch den Vorteil, dass Sie ohne großes Orchester leichter agieren können.
Ja. Die musikalischen Proben sind gleichzeitig mit den anderen – alles geht immer so parallel. Den Kindern macht das großen Spaß, die gehen raus und singen die Lieder weiter. Wir haben auch so mehr Platz, weil wir jetzt den Orchestergraben hochfahren können.
Was haben Sie durchs Regieführen für sich selbst gelernt?
Dass ich kompromissbereiter bin, als ich gedacht habe. Ich habe ein sehr genaues Bild, das sich über die Monate der Vorbereitung und des Schreibens und des Nachdenkens füttert und immer detailreicher wird. Man kann auf viele dieser Bilder als Regisseurin bestehen, aber ich kann auch gut sagen: Das geht so nicht, es ist nicht so gut wie das, was mir angeboten wird. Dann lasse ich meine Ideen. Das Allerschönste freilich ist, wenn Texte von mir in den Proben multidimensional werden und vor mir zu leben beginnen.