KaiserRequiem: Nur der Tod hat überlebt
Musikalische Wahlverwandtschaft. Omer Meir Wellber verschränkt Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ mit Mozarts Requiem d-Moll. Andreas Heise erweitert um den Faktor Tanz: „KaiserRequiem“ – eine künstlerische Fusion, die zeigt, dass Visionen unbedingt in die Oper gehören.
Mut haben. Groß denken. Wer Omer Meir Wellber kennt, weiß, dass ihm die künstlerische Eigenständigkeit, basierend auf einem Fundament musikalischer Präzision, über alles geht. Wohl kein anderer Dirigent käme auf die Idee, zwei so unterschiedliche Werke wie Viktor Ullmanns Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ und Wolfgang Amadeus Mozarts im Angesicht des nahen eigenen Todes geschriebenes, aber nicht mehr vollendetes Requiem d-Moll miteinander zu verschmelzen. Dazu bedarf es eines kreativen Freigeists. Das „KaiserRequiem“ getaufte Konglomerat wurde 2022 in Palermo uraufgeführt und kommt nun –modifiziert und erweitert um ein durchgängiges Ballett – in einer szenischen Fassung an die Volksoper, wo Omer Meir Wellber zuletzt mit Ella Milch-Sheriffs Oper „Alma“ einen Triumph feiern durfte.
„Mir war wichtig, ein Stück daraus zu machen, was nicht schwer war, weil es zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Werken viele Verbindungen gibt. Der Tod zieht sich als fast schon paradoxes Thema durch. Mozart konnte sein Requiem nur bis zum ‚Lacrimosa‘ komponieren, dann ist er gestorben. Und der einzige Darsteller aus Viktor Ullmanns ‚Der Kaiser von Atlantis‘, der das Konzentrationslager überlebt hat, war jener, der den Tod gesungen hat.
Auch bei uns überlebt der Tod sozusagen, weil derselbe Bass auch in Mozarts Requiem – unter anderem ‚Tuba mirum‘ – singt. Man kann bei Mozart zudem moderne Klänge finden, die mit Ullmann zu tun haben. Bei ‚Rex tremendae‘ reicht es etwa schon, die gesangliche Intonation leicht zu verändern, sodass die Zeilen an Trommeln erinnern. Und ein Trommler ist wiederum eine der Hauptfiguren in Ullmanns Oper.“
Gitarre, Saxofon und Banjo
Natürlich sei es notwendig gewesen, flüssige Übergänge zu komponieren und die textliche Aneinanderreihung logisch zu gestalten. Omer Meir Wellber bezeichnet die großteils sinfonisch ausgerichtete Aufführungsserie in Palermo als „Laborexperiment“, dem nun in Wien ein erweiterter Ansatz folgen wird: das Ballett.
„Martin Schläpfer, der Direktor des Wiener Staatsballetts, war von der Idee, durch Tanz eine neue Übersetzungsebene einzuführen, begeistert und hat sofort Andreas Heise als Choreografen und Regisseur dafür vorgeschlagen. Für mich persönlich ist Tanz die wahrscheinlich heiligste Kunst, und ich denke, dass er die humanistische Seite unseres Anliegens noch einmal stark betonen kann.“
Diese mitmenschliche Geisteshaltung zieht sich nicht nur durch Viktor Ullmanns Werk selbst, sondern war dem Komponisten in Theresienstadt auch ein existenzielles Anliegen. „Er wollte so vielen Menschen wie möglich helfen“, erklärt Omer Meir Wellber, „und ein Instrument zu spielen, bedeutete, während der Proben von den Nazis vielleicht noch ein paar Tage länger am Leben gelassen zu werden. Deshalb gibt es zum Beispiel eine Gitarre, ein Saxofon und sogar ein Banjo im Stück. Das ist vielleicht ungewöhnlich, aber auch sehr empathisch.“
„Der Kaiser von Atlantis“ wurde nach der Generalprobe abgesetzt. Seine Protagonisten wurden nach Auschwitz deportiert und ermordet. Erst 1975 gelangte das Werk in Amsterdam zur Uraufführung.
Für mich persönlich ist Tanz die wahrscheinlich heiligste Kunst.
Omer Meir Wellber, Dirigent
Hoffnungsträger Ambivalenz
Welche Botschaften konnte Omer Meir Wellber in Ullmanns Werk entdecken? „Wir wissen, dass er es in Theresienstadt komponiert hat, aber ich habe im Laufe der Arbeit gemerkt, dass es nicht nur um biografische Bezüge geht, sondern dass dieses Stück sehr viel zu tun hat mit unserer Realität. Damit, was gestern, heute, morgen auf der Welt passiert. Wir sehen diese Oper achtzig Jahre nach ihrer Entstehung aus einer ähnlichen Perspektive. Natürlich ohne Hitler und die Nazis, aber gegen einen bestimmten Geist gerichtet, der noch immer da ist. Das ist für mich der aktuelle Bezug.“ Eine, wie er es nennt, „Black-and-White-Mentalität“ helfe uns heute nicht weiter, sondern befördere vielmehr den grassierenden Hass.
„Volksoperndirektorin Lotte de Beer und ich wollten, dass ‚Alma‘ und ‚Kaiser- Requiem‘ in derselben Spielzeit gebracht werden. Nicht nur wegen der unterschiedlichen Aspekte jüdischer Historie, sondern weil beide auch Geschichten von Ambivalenz erzählen. Alle fragen sich, wie Alma Antisemitin und dabei mit zwei jüdischen Männern verheiratet sein konnte. Sie hat Franz Werfel sogar überredet, ins Exil zu gehen, und ihm so das Leben gerettet. Ich kann nur sagen: Das Leben ist kompliziert. Natürlich ist es verwerflich, Antisemit zu sein, aber man sollte seine eigene Ambivalenz in vielen Lebensbereichen umarmen, nicht verteufeln. Denn wenn man seine komplexesten Gefühle akzeptiert, sinkt die Aggressionsbereitschaft.“
Richtungweisendes Potenzial
Andreas Heises Motivation, der Anfrage zuzustimmen, ist einfach erklärt. „Zum einen wollte ich schon immer das Mozart-Requiem d-Moll szenisch und choreografisch gestalten – und zwar in Verbindung mit einem zeitgenössischen Werk –, weil mich der Kontrast interessierte. Zum anderen fühle ich mich in der Arbeit mit Musiker*innen, Sänger*innen und Tänzer*innen zu Hause und sage zu Projekten, bei denen ich diese drei Elemente verbinden kann, grundsätzlich Ja. ‚Der Kaiser von Atlantis‘ kannte ich kaum, habe aber in der Recherche erfahren, was für ein wunderbares Werk es musikalisch ist und wie offensichtlich die Parallelen zu unserer Zeit sind.“
Ein Glücksfall also. „Auch wenn es natürlich ein interdisziplinäres Projekt ist, trägt es das Label einer Ballettproduktion, und somit ist es auch meine Aufgabe, die Bewegung als Hauptkommunikationsmittel und Bindeglied zwischen den Werken und Sparten zu nutzen.“
Er sei auf jeden Fall kein radikaler politischer Choreograf, sondern nutze den Tanz dazu, die Zwischentöne auf einer Metaebene, die weder textlich noch musikalisch sofort ersichtlich sei, zu treffen. „Egal, welches Stück ich realisiere, der Ausgangspunkt ist immer das Menschsein an sich, um die individuellen Reisen der einzelnen Charaktere erlebbar zu machen.“
Ihm sei auch wichtig, sich im Wagnis zwischen Allegorie und Symbolhaftigkeit, die den ‚Kaiser von Atlantis‘ einerseits und Mozarts Requiem andererseits auszeichneten, eine gewisse Offenheit zu lassen. „Mich interessiert die Botschaft, dass Menschen für ihre Taten Konsequenzen tragen müssen und dass sie fähig sind, Reue zu zeigen. Ich möchte einen Hoffnungsschimmer in die Dystopie setzen und zeigen, dass wir alle das Potenzial haben, uns für eine Richtung zu entscheiden.“
Unser Kulturwille war unserem Lebenswillen adäquat.
Viktor Ullmann, Komponist, im Aufsatz „Goethe und Ghetto“
Ullmanns Werk sei keine KZ-Oper, auch wenn man es nicht losgelöst vom Kontext seiner Entstehung und den damit zusammenhängenden schrecklichen Umständen begreifen könne. „Aber man
täte ihm unrecht, es darauf zu reduzieren. Es ist auch Oratorium, Singspiel, Kabarett. Es zitiert mittelalterliche Totentänze und repräsentiert diese auch in den Figuren wie Trommler, Harlekin, Mädchen oder Tod. Das Ganze ist auch eine dunkle Satire, man kann die Ironie, die im Text und in der Musik steckt, beinahe greifen.“
Letzter Tanz in Wien
Am Norwegischen Nationalballett, an das Andreas Heise 2003 kam, gab es für das Ensemble die Möglichkeit, sich auch im Bereich Choreografie auszuprobieren. „Und da habe ich mich 2006 mit ‚Isoldes Liebestod‘ gleich sehr weit hinausgelehnt und nach einer gescheiterten Beziehung therapeutisch ein Solo für mich eingebaut“, meint er rückblickend lachend. Doch die Arbeit kam an.
Es folgten weitere Aufträge, und bald war auch klar, dass Gesang und Tanz bei ihm zwei einander befruchtende Säulen sein sollten. „Ich bin der Sohn eines Sängers und einer Tänzerin, habe selbst früher Gesangsstunden genommen und war auch schon als Tänzer am meisten inspiriert von Vokalmusik.“ Das, was er seine Spezialität nennt, kann er mit dem „KaiserRequiem“ nun zur Meisterschaft bringen.
Er sei langsam in die Rolle des Choreografen und Regisseurs hineingewachsen. „Ich hatte das große Glück, in Oslo einen vertrag zu haben, der mir diese Tätigkeiten auch erlaubt hat. Und man geht als Tänzer in Norwegen mit 41 Jahren offiziell in Pension. Meine letzte Vorstellung hatte ich übrigens im Theater an der Wien. Das wusste damals niemand, nur ich. Es war ein Gastspiel, Ibsens ‚Gespenster‘, eine der Hauptrollen war extra für mich kreiert worden. Da dachte ich, das wäre doch ein schöner Zeitpunkt.“ Abschied und Anfang.
Man kann die Ironie, die im Text und in der Musik steckt, beinahe greifen.
Andreas Heise, Choreograf & Regisseur
Was macht für ihn als Choreografen eine gute Tänzerin oder einen guten Tänzer aus? Auch diese Antwort überrascht. „Mein Prinzip lautet: Egal wer vor mir steht, mit dem arbeite ich. Mich interessiert auch hier in erster Linie der Mensch und nicht eine bestimmte Technik. Was muss ich tun, um aus einer Person, die vielleicht nicht offensichtlich für etwas Bestimmtes prädestiniert ist, das Optimum herauszubekommen? Es ist mir immer wichtig, den Mikrokosmos meiner Produktionen so humanistisch zu gestalten, dass sich das auf die Kunst und damit nach außen überträgt.
Oder anders gesagt: Das, was für mich in diesem Stück Relevanz hat, ist mir auch in der Art und Weise, wie ich arbeite, von großer Bedeutung. Werte wie Empathie, Respekt, Gleichberechtigung, transparente Kommunikation, Wertschätzung. Diese Dinge lebe ich privat und im Ballettsaal.“
Bis(s) zum Premierenabend...
... bleibt bei Regisseurin Claudia Bauer alles im Fluss. Das betreffe teilweise auch die Bühne und die Kostüme, erzählen Patricia Talacko und Andreas Auerbach. Elfriede Jelineks Vampirstück „Krankheit oder moderne Frauen“ ist ihre dritte gemeinsame Arbeit in Wien. Weiterlesen...
Am Ende des Tages sollten alle Beteiligten das Gefühl haben, dass es das wert war. „Das heißt nicht, dass stets alles nur schön ist und sich rosa Einhörner im im Raum befinden, aber wenn es einmal zu Spannungen kommt, muss jeder die Sicherheit haben, das besprechen und lösen zu können.“
Kein Wunder also, dass Andreas Heise sich auch in ambitionierten Community-Projekten mit Laien engagiert. „Tanz ist Leben“, meint er. „Wir bewegen uns täglich, und Bewegung hat immer eine Aussage, weil unsere Urkommunikationsform die Körpersprache ist. Deshalb wissen wir auch oft, wie es jemandem geht, noch ehe ein Wort gesprochen wurde.“ Und weil er Körper in einem Raum für spannend genug hält, beschränkt sich, wie meistens bei ihm, die Requisite auch in „KaiserRequiem“ auf exakt ein Stück.