Freibrief von Julya Rabinowich: Mauloffen zu- oder wegschaun
Die Flughöhe kann gar nicht hoch genug sein, um nicht doch allzu tiaf zu werden. Ein Freibrief über Leitkultur, dreckige Wahlkämpfe und was passiert, wenn Österreich fertig getanzt hat.
Es treibt etwas umher im Staate Österreich. Wenn Österreich eine allegorische Erscheinung wäre, würde Österreich derzeit vermutlich Salome heißen. Die mit den sieben Schleiern.
Verlockend dreht und wendet es sich, eine Hülle nach der anderen fällt, bis man mit gänzlich heruntergelassenen Hosen dasteht.
Dabei hat der sündhaft dreckige Wahlkampf noch nicht einmal die volle Flughöhe erreicht! Aber, so werden manche jetzt einwenden, aber!
Salome ist wohl eine völlig ungeeignete Vertretung des Staates Österreich, immerhin war sie sexy und gefährlich, während das Land aktuell eher die Assoziation mit einer Kabarettbühne bietet, auf der manche ihren Text und andere ihren Einsatz vergessen haben. Meistens übrigens bei diversen U-Ausschüssen. „Flooding the zone with shit“ hat das Steve Bannon genannt.
Diese Flut wird biblisch.
Vielleicht erreicht sie sogar Hokusais Ausmaß. Mit ihr mitgerissen, treiben Halb- und Unwahrheiten, einzelne unbescholtene Personen und Personen, die weniger unbescholten sind, Nachrichten aus dem Inneren und der Schnee vom letzten Jahr. Weil, wie gesagt, die Flughöhe gar nicht hoch genug sein kann, um nicht doch allzu tiaf zu werden. Hier wird unterwandert, verdreht, mit Unverknüpfbarem verknüpft, hier wird das Aufstellen eines Maibaums als die Lösung für die Zukunft angepriesen, wobei die Maibaumaufsteller zuvor nicht gefragt wurden, ob sie sich vor den Karren einer Partei spannen lassen wollten, der gerade in den Graben steuert.
Aber wir wollen es ja transparent haben, seidig und luftig, durchscheinend, zart, die Körperkontur gerade noch umspielend! Transparenz ist das neue Little Black Dress, es kleidet einfach zu jeder Gelegenheit. Das heißt: die anderen. Immer die anderen.
Wenn Österreich hosenlos dasteht.
Schon werden Gehaltslisten des öffentlichen Rundfunks durch den Empörungsfilter geschickt, freilich ohne die eigenen Gehälter dabei zu entblößen, die Regel gilt: den anderen nicht einmal das Feigenblatt, sich selbst aber eine gut gearbeitete und schön ziselierte Ritterrüstung samt verstärkter Schamkapsel zu gönnen.
Salome dreht und wendet sich und lässt die Muskeln spielen. Das Volk, begnadet für das Schöne, sieht mauloffen zu oder sicherheitshalber gleich weg, so, wie es das bei diversen anderen Skandalen schon getan hat, von COFAG über Unterwanderung durch Spionage oder immer deutlichere Abbiegelust nach rechts, genau genommen nach ganz rechts, noch genauer genommen nach extrem rechts.
Wenn Österreich nun fertig getanzt hat und vollends hosenlos dasteht und sich ebenso vollends hosenlos auf die Suche nach der verlorenen Leitkultur macht, kann man nur wieder und wieder und wieder auf die Reduktion, auf das Grundsätzlichste verweisen: Leitkultur ist die Dreifaltigkeit aus Menschenrechten, Kunstfreiheit und der Freiheit der Presse.
Hat man sie nicht mehr, gibt es auch nichts zu finden, wenn man nach der Leitkultur angelt.
Freibrief von Julya Rabinowich: Die erträgliche Unendlichkeit des Seins
Es wird nicht immer so weitergehen – weiß Schriftstellerin Julya Rabinowich. Über das (Nicht-)Sein, die Endlichkeit und das Unausweichliche. Weiterlesen...
Zur Person: Julya Rabinowich
ist eine österreichische Schriftstellerin, Dramatikerin, Kolumnistin, Malerin, Übersetzerin.