Franzobel über Lampenfieber und innere Ruhe
Ab Donnerstag ist Franzobels "Leichenverbrenner" im Wiener Akademietheater zu sehen. Der BÜHNE gewährt er persönliche Einblicke, wie er abgebrühter wurde und lernte, mit seiner Nervosität umzugehen.
Ich bin in einer Siedlung aufgewachsen unter Menschen ohne Selbstbewusstsein. Sätze wie „Auf dich wird man gerade warten“ hörte ich oft. Was zur Folge hatte, dass ich immer sehr nervös gewesen bin. Feuchte Hände schon zwei Monate vor einem Schulreferat waren keine Seltenheit, und als ich 1989 bei der Eröffnung der Wiener Festwochen als Statist mitwirkte, zitterten meine Knie so sehr, dass die seismologischen Institute ein kleines Erdbeben registrierten. Als Umbaukomparse am Lusterboden des Burgtheaters hatte ich die Sache einigermaßen im Griff, verstand aber, warum Annemarie Düringer noch bei der hundertsten Vorstellung die im Stück „Der deutsche Mittagstisch“ vorkommenden Erdbeeren penibelst kontrollierte. Übersprungshandlung, Aufgeregtheit.
Während der Lesung musste ich mich an eine Flasche Leobener Hopfenblütentee klammern, was die Medien später, in völliger Verkennung der Lage, als besondere Coolness werteten."
Beim Bachmannpreis 1995 konnte ich überhaupt nur auftreten, weil ich mein Lampenfieber zuvor mit fünf Bier bekämpft hatte. Trotzdem
musste ich mich auch während der Lesung an eine Flasche Leobener Hopfenblütentee klammern, was die Medien später, in völliger Verkennung der Lage, als besondere Coolness werteten, schließlich war ich der Erste in der Geschichte dieses Wettbewerbs, der mit Bier auftrat.
Die Nervosität wurde immer schlimmer. Ich machte Atemübungen, schluckte homöopathische Tropfen, trank Beruhigungsbiere – alles umsonst. Kaum war ich in der Nähe einer Bühne, wurde die Kehle trockener als die mauretanische Wüste, während die Haut feucht war wie ein beschlagener Badezimmerspiegel. Dazu kam die ständige Angst, jederzeit sofort aufs Klo zu müssen. Es war entsetzlich.
Und es dauerte so lange, bis ich irgendwann die Erzählung eines befreundeten Künstlers zu hören bekam, dem all das passiert war, was ich fürchtete, wirklich alles. Er erzählte das lachend und ohne die geringste Scham. Das hat mich geheilt. Vielleicht bin ich auch abgebrühter geworden, jedenfalls ist seither alles gut.
Zur Person: Franzobel
Alter: 53 Jahre
aus: Vöcklabruck (OÖ).
Der Schriftsteller heißt mit bürgerlichem Name Stefan Griebl, verfasst Prosatexte, Lyrik und Theaterstücke. Sein aktuelles Werk, „Der
Leichenverbrenner“, hat am 8. Oktober im Akademietheater Premiere.
Termine und Karten
Der Leichenverbrenner am Wiener Akademietheater, ab 8. Oktober