Ein Blick dorthin, wo es weniger glitzert, aber mehr menschelt
Unser Besuch bei den Proben zu den „Lustigen Weibern von Windsor“ hat uns eine Premiere beschert: das erste Interview mit einer stillenden Mutter – und die Erkenntnis, dass man seine eigene Stimme nur findet, wenn man zuhört und sich eingesteht, dass man nicht immer recht hat.
Probebühnen haben so etwas Normales. Sie glitzern nicht. Sie leuchten nicht. Während die Stars sonst weit weg im Scheinwerferlicht stehen, sind sie hier ganz nah. Kulissen, die später Gebäude oder Landschaften erzählen, sind – in frühen Phasen der Proben – wackelige Gestelle, schnell zusammengezimmert. Türen, die später zugeschlagen werden, fallen hier um, wenn man das mit Bühnenkraft tun würde. Die Anstrengung der Sänger*innen ist nicht von Schminke kaschiert. Hier wird geschwitzt. Hier leuchten die Gesichter rot vor Anstrengung. Hier werden Babys gestillt.
Talk zwischen Pupsen und Grugru
Lou ist zwei Monate alt. Sie hat diesen Blick von Neugeborenen, der noch nicht fokussiert. Sie gurrt und gluckst und – ja – sie pupst, und sie hat das perfekte Timing.
Der letzte Takt ist geprobt. Sopranistin Anett Fritsch und Altistin Stephanie Maitland, die Frauen Reich und Fluth der Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“, wischen sich den Schweiß von der Stirn und sind glücklich. „Es läuft gut“, sagt Anett Fritsch und zieht sich ihre Sneakers an. Mehrere Stunden Probenarbeit liegen hinter ihr und Stephanie Maitland. „So perfekt würde ich gerne einmal nach dem Aufstehen ausschauen“, sagt Fotograf Lukas Gansterer und meint es genau so.
„Grugru“, macht Baby Lou.
„Ich hoffe, es stört euch nicht, aber Lou ist hungrig. Ich muss gleich stillen“, sagt Nina Spijkers, die Regisseurin. Sie trägt Latzhose, eine türkise Blumenbluse und rosa Turnschuhe. Bis zum Ende des „Gleich“ ist noch Zeit, eine der Kulissen der Neuproduktion für das Fotoshooting zu zweckentfremden.
Frauen verändern ohne Gewalt –und das ist die Zukunft.
Nina Spijkers, Regie
Nutzen wir die Zeit, während die drei Frauen beschäftigt sind, für eine kurze Werkeinführung. Die komisch-fantastische Oper (ja, es ist keine Operette, auch wenn es so klingt) beruht auf einem Stück von Shakespeare. Die verheirateten Frauen Fluth und Reich entdecken, dass sie beide vom verarmten Adeligen Falstaff Liebesbriefe erhalten. Sie beschließen, ihm eine Lektion zu erteilen. Irgendwann werden auch die Ehemänner in den Streich eingeweiht. Parallel dazu soll Anna, Reichs Tochter, verkuppelt werden. Dass sie einen anderen Mann liebt, als ihre Eltern wollen, ist klar. Am Ende eskaliert alles bei Mondaufgang im Wald von Windsor – und alle bekommen, was sie verdienen.
Zur Person: Das Stück in 30 Sekunden
Die verheirateten Frauen Fluth und Reich entdecken, dass sie beide vom verarmten Adeligen Falstaff Liebesbriefe erhalten. Sie beschließen, ihm eine Lektion zu erteilen. Irgendwann werden auch die Ehemänner in den Streich eingeweiht. Parallel dazu soll Anna, Reichs Tochter, verkuppelt werden. Dass sie einen anderen Mann liebt als ihre Eltern wollen, ist klar. Am Ende eskaliert alles bei Mondaufgang im Wald von Windsor – und alle bekommen, was sie verdienen.
Ein Weltstar als Fallschirm
Nina Spijkers hat die Handlung aus dem Jahr 1849 ins Jahr 1918 verlegt. Falstaff ist damit nicht nur ohne Geld, sondern auch ohne Adelstitel – nach unten geht also immer noch ein bisserl mehr. Publikumsliebling Martin Winkler wird ihn singen „und sehr, sehr charmant interpretieren“, wie Spijkers sagt.
Die Fotos sind gemacht. Die zuvorkommende Bühnentechnik der Volksoper räumt die Kulissen wieder weg. Die Pressspanplattentür ist niemandem auf den Kopf gefallen. Langsam leert sich der Probesaal. Nur Baby Lou, Nina Spijkers und wir sind noch da.
Spijkers ist in den Niederlanden geboren. Ihr Vater ist Jaap Spijkers, ein beliebter Film- und Theaterschauspieler. Sie ist vor und hinter den Bühnen aufgewachsen. „Ich habe als Kind ‚Hamlet‘ gesehen und wusste: Das will ich machen!“ Bis neunzehn ist es ihr Wunsch, auf der Bühne zu stehen, dann switcht sie in Richtung Regie. Wir kürzen ab: 2021 bringt sie „Kasimir und Karoline“ als atemberaubend-witzige Revue auf die Bühne. Ein Star ist geboren, und da die Theater- und vor allem Opernszene in den Niederlanden überschaubar ist, ruft irgendwann später Lotte de Beer an. „Und jetzt bin ich das erste Mal in meinem Leben in Wien“, sagt Spijkers, lächelt und stillt weiter.
Es ist erst ihre zweite Operninszenierung, und Lotte de Beer hat – ganz Mutter der Kompagnie – Spijkers einen echten Superstar in Sachen Bühnenbild an die Seite gestellt: die Tony- und Olivier-prämierte Engländerin Rae Smith, die mit „War Horse“ weltweit ein Millionenpublikum begeisterte. Bei BÜHNE-Leser*innen wird es jetzt vielleicht klingeln: Der Regisseur von „War Horse“, Tom Morris, inszenierte vergangene Saison den umjubelten „L’Orfeo“ an der Wiener Staatsoper.
„Schreib ruhig, dass dieses Interview während des Stillens entstanden ist“, sagt Nina Sijkers. Passt. Lou nuckelt, und wir starten das Interview, begleitet von den glückseligen Geräuschen eines satt werdenden Kindes.
Sie sind im Theater aufgewachsen. Was war für Sie das Schwierigste am Regisseurin-Werden?
Meine eigene Stimme zu finden. Ich habe am Anfang immer versucht, alles richtig zu machen. Ich wollte immer das Beste aus einem Stück machen. Aber das ist etwas anderes, als eine eigene Stimme zu haben. Erst als ich die gefunden hatte, wurde ich zur Regisseurin.
Wie haben Sie diese Stimme gefunden?
Durchs Zuhören und durch die Erkenntnis, dass ich auch falschliegen kann. Ich erkannte die Kraft, die darin liegt.
Ich habe durch Zuhören und die Erkenntnis, manchmal falschzuliegen, meine eigene Stimme entdeckt.
Nina Spijkers, Regie
Kann Theater die Welt verändern?
Ja. Ich weiß nicht, ob ich es kann, aber Kunst kann es.
Wie sind die Proben heute gelaufen?
Wir hatten sehr viel Spaß, wir haben einige Slapstick-Szenen geprobt, und Anett und Stephanie waren fantastisch. Wir haben sehr viel gelacht.
Was darf das Publikum von dem Stück erwarten?
Fantastische Musik, sehr viel Spaß. Es gibt diese Slapstick-Momente, viel Textwitz und sehr viel physische Comedy. Das Publikum wird eine gute Zeit haben. Für mich ist es sehr wichtig, dass das Publikum gut unterhalten wird, denn dann kann ich einige sehr ernste Botschaften unter das Lachen mischen.
Was ist an den Frauen von Windsor so lustig?
Sie sind einfach sehr intelligente und witzige Frauen. Sie erteilen den Männern eine Lektion, aber sie tun es spielerisch – durch die reine Vorstellungskraft. Diese Oper ist eine Ode an die weibliche Kraft. Frauen verändern ohne Gewalt, und das ist die Zukunft. Dieses Stück ist etwas Besonderes, weil es den weiblichen Charakteren so viel Handlungsspielraum einräumt, mehr als in anderen.
Der Anfang war ein Zettel unter der Tür
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… und alle Männer sind Idioten.
Nein. Weibliche Kraft ist kein exklusives Vorrecht von Frauen – auch Männer haben diese weibliche Kraft in sich, sie wird aber von ihnen weniger oft eingesetzt. (Lacht.) Das ist auch die Botschaft des Stückes: Man kann den Menschen durchaus etwas beibringen, ohne dass jemand verletzt oder unterdrückt wird, und man kann es mit sehr viel Humor machen.
Ist Falstaff ein Schwachkopf?
Er wird oft so dargestellt. Er hat Charme, er ist schlau. Aber er hat – weil wir es ja auch 1918 spielen – seine Position im Leben verloren.
Warum verlieben sich dann aber Frauen in ihn?
Weil sie sein Leiden sehen, weil er lustig ist, weil er die personifizierte Tragödie ist und den Wunsch in Frauen weckt, dass sie ihn retten könnten.
Warum überschätzen sich Männer so gerne?
Ach, das ist keine exklusive Charaktereigenschaft von Männern. Das tun doch alle … (Lacht.) Vielleicht machen es Männer öfter, weil sie mehr Druck haben, zu performen. Aber so schaue ich nicht auf Menschen.
Wie schauen Sie denn auf Menschen?
Ich bin immer sehr optimistisch, vielleicht sogar naiv. Ich gebe alles, um immer das Beste in den Menschen zu sehen. Vielleicht bin eine Romantikerin.
Das Werk ist doch recht verstaubt.
Kommt auf die Sichtweise an. Ich liebe alte Stoffe. Wenn man sie mit dem Heute mischt, dann werden die Kanten und Ecken schärfer.
Haben Sie viel Neues dazugeschrieben?
Es ist nur eine Szene neu. Der Rest wurde gekürzt und bearbeitet. Es ist sehr nah am Original. Aber für das Ende haben unser Dramaturg Peter und ich beschlossen, dass man da etwas ein wenig anders machen muss. Aber das verrate ich jetzt nicht.
Können Sie uns schon etwas über das Bühnenbild erzählen?
Das Stück gibt es vor. Die Frauen inszenieren ja ein Theaterstück, und daher werden wir für das Publikum ein Theater im Theater machen. Man wird auf die Hinterbühne sehen. Man wird ein paar Theatertricks sehen, und es wird viele Türen geben – dieses Auf und Zu, das allein garantiert schon, dass es lustig wird.