„Dippel. Diagnose CIN 3“: Echse, Eisvogel und Endometriose
„Ich frage mich nicht mehr, warum ich krank geworden bin“, sagt Echse Rea am Ende von „Dippel. Diagnose CIN 3“. Carmen Kirschners Stück schickt Echsen, Hexen, Eisvögel und ein singendes Spekulum auf eine surreale Reise durch Körperlandschaften. Noch bis 13. Oktober im Kosmos Theater.
Eine Echse verliebt sich in einen Eisvogel, eine Schokoladenzyste tritt auf, ein Spekulum singt ein Lied und Hexen sprechen über die Krankheit Vulvodynie. „Dippel. Diagnose CIN 3“ der Schauspielerin und Theatermacherin Carmen Kirschner ist ein Stück, dessen Protagonist*innen auf den ersten Blick zwar surreal erscheinen, das sich aber mit realen Themen aus dem Bereich Frauen*gesundheit befasst. „Es ist eine Art von surrealer Reise, bei der die Protagonistin, die auf der Suche nach Heilung ist, viel zu diesen Themen lernt“, bringt es Kirschner auf den Punkt.
„Dippel. Diagnose CIN 3“ knüpft an ihr Diplomstück zum Abschluss ihres Schauspielstudiums in Graz an. „Genauer gesagt, beginnt es dort, wo das erste Stück aufgehört hat. Außerdem gehen wir dieses Mal tiefer in die drei Krankheitsbilder Vulvodynie, Endometriose und Gebärmutterhalskrebs hinein und es ist etwas weniger von meiner eigenen Geschichte geprägt“, so Carmen Kirschner, die gerade – nach zwei Jahren als fixes Ensemblemitglied am Staatstheater Meiningen – als freie Schauspielerin und Theatermacherin nach Wien gezogen ist.
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Den Geist mit Humor öffnen
Ausschlaggebend für ihre Beschäftigung mit frauen*spezifischen Krankheiten war ihre eigene Diagnose. „Ich selbst hatte die Vorstufe von Gebärmutterhalskrebs und habe nach der Diagnose damit begonnen, zu recherchieren, was ich alles für mein Wohlbefinden tun kann. Dabei bin ich auf unterschiedliche Frauen*gruppen und Formate des Austauschs gestoßen. Als Person, die stark im Theater verankert ist, hat es für mich Sinn ergeben, all diese Dinge in einem Stück zu verpacken – um mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben“, erinnert sie sich. Auch Gespräche mit Expert*innen und betroffenen Frauen* wie auch eine Ausbildung zur Pelvic Health Care Therapeutin waren wichtige Bausteine auf diesem Weg.
Auch die Idee, die Reise der Eidechse Rea in einer Welt fernab unseres Alltags stattfinden zu lassen, entstand aus ihrer eigenen Geschichte heraus. „Im Rahmen meiner Untersuchungen, teilte mir ein Arzt mit, dass ich mich einer Konisation unterziehen muss – das ist eine Operation, bei der ein Teil des Gebärmutterhalses entfernt wird. Ich habe daraufhin gefragt, ob das denn nachwächst und er meinte – etwas veräppelnd –, dass ich ja keine Eidechse sei. Lange Zeit hat mich das sehr geärgert, dann wurde es aber zu einem Geschenk, weil ich dadurch diese Steilvorlage hatte. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Haltung von Ärzt*innen gegenüber Patient*innen nicht in Ordnung ist. Das kritisieren wir auch in dem Stück.“ Mit Humor die Herzen und den Geist des Publikums zu öffnen, sei ihr ein großes Anliegen, hält sie daran anknüpfend fest.
Der Dippel als philosophisches Konzept
Was es mit dem titelgebenden Dippel auf sich hätte, wollen wir noch von ihr wissen. Carmen Kirschner überlegt kurz, dann antwortet sie: „Der Dippel ist beinahe ein philosophisches Konzept. Er ist die Krankheit, aber die Krankheit ist nicht der Fluch. Es geht darum, eine Beziehung zu ihr herzustellen. Am Anfang möchte Rea den Dippel noch loswerden, dann hat sie das Gefühl, dass ihr Widerstand gegen den Dippel sein Wachstum nur noch mehr beschleunigt. Der Dippel kann auch eine Hilfestellung sein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, darüber zu sprechen, wie es sich anfühlt, körperliche Nähe zuzulassen, wenn wir etwas auf der Haut haben, das uns unangenehm ist. “ Im Stück sagt Rea: „Dieser Dippel ist wie ein eiterndes Sammelsurium an Fragen, denen ich hinterherlaufe.“
Vielleicht ist er aber auch ein Auswuchs der eindeutigen Verbindung zwischen patriarchalen Machtstrukturen und klar festzumachenden Lücken beim Thema Frauen*gesundheit. Carmen Kirschner erzählt, dass sie sich intensiv mit dem Buch „Die kranke Frau“ von Elinor Cleghorn beschäftigt hat, um noch tiefer in diese Zusammenhänge einzutauchen. Immer wieder musste sie das Buch zur Seite legen, ergänzt sie. „Wenn sie darüber spricht, wie ‚Hexen‘ auf Hexenmale untersucht wurden, zum Beispiel. Oder wenn geschildert wird, wie die Pille an Testpersonen getestet wurde, die nicht wussten, dass sie Testpersonen sind. Das alles ist kollektiv und generational in unseren Körpern verankert. Wir müssen uns die Zärtlichkeit mit unseren Körpern zurückerobern und ein ganz wichtiger Schritt auf diesem Weg ist die bedingungslose Gleichberechtigung. Ich bemerke, dass sich diesbezüglich bei jüngeren Frauen* sehr viel tut.“
Wandel im Theaterbetrieb
Bevor sich unsere Wege wieder trennen und sich Carmen Kirschner wieder in die Endproben stürzt, haben wir noch eine letzte Frage: Gibt es im laufenden Theaterbetrieb die Möglichkeit über den weiblichen Zyklus zu sprechen? Carmen Kirschner überlegt einen Moment lang und hält dann fest, dass sie einen Wandel beobachte, bei dem es darum geht, die eigenen Grenzen und Ressourcen stärker wahrzunehmen.
„Gleichzeitig gibt es aber immer noch dieses heroisierte Bild der Schauspielerin oder des Schauspielers, die oder der, egal ob erkältet oder mit gebrochenem Arm, trotzdem auf der Bühne steht. Ich spreche sehr offen über die Menstruation und wie es mir geht. Und ich genieße es sehr, mit dieser Theaterproduktion einen Raum zu schaffen, wo das alle machen können und sollen. Häufig nehmen sich Theaterbetriebe diese Zeit nicht, weil sie denken, dass es die Produktivität eher verringert. Ich beobachte aber das Gegenteil. Es trägt auf jeden Fall zur Produktivität bei, wenn sich alle wohlfühlen. Auch hier gibt es also einen Wandel.“
Noch etwas? Carmen Kirschner lacht und antwortet dann: „Ich werde nicht müde, zu betonen, dass es ein Stück für all jene ist, die Lust auf eine surreale Reise durch Körper- und Tierlandschaften haben. Das schließt natürlich auch Männer ein. Es ist wichtig, auf dieser Reise Komplizen zu haben.“