aktionstheater ensemble: Rückschau? Zu langweilig!
Vor etwas mehr als 26 Jahren begegnete Martin Ojster dem aktionstheater ensemble zum ersten Mal und ist – wie er sagt – „picken geblieben“. Als Dramaturg begleitete er seither unzählige Stücke. Die aktuelle Produktion „All about me. Kein Leben nach mir“ schätzt er vor allem aufgrund ihrer Subtilität. Wir haben mit ihm gesprochen.
In Bregenz sei nach einer Vorstellung von „All about me. Kein Leben nach mir“ eine Zuschauerin auf ihn zugekommen, die meinte, dass sie beim aktionstheater noch nie so geweint hätte, gleichzeitig aber auch noch nie so glücklich aus einem Stück der freien Theatergruppe rausgegangen sei, erzählt Martin Ojster. Der studierte Jurist, der das aktionstheater ensemble seit nunmehr 26 Jahren als Dramaturg begleitet, findet, dass sich darin viel von dem verbirgt, was die aktuelle Produktion der Gruppe auszeichnet. Vielleicht könnte man sogar noch weiter gehen und behaupten, dass in der Reaktion der Zuschauerin viel von dem steckt, was das vor 35 Jahren gegründete aktionstheater ensemble in seinen Grundfesten ausmacht.
Die Tatsache, dass in den mit Selbstironie und persönlichen Erfahrungen gespickten Stücken keinerlei Moralkeulen geschwungen werden, legt diese Annahme nahe. Der Regisseur und Gründer Martin Gruber formulierte es in einem BÜHNE-Interview einmal folgendermaßen: „Das Publikum dort abzuholen, wo es ist, ist für mich der wichtigste Punkt. Es geht bei unseren Stücken nicht darum, etwas richtig oder falsch zu verstehen, sondern um die Gefühle, die das Gehörte und Gesehene vor dem eigenen Erfahrungshorizont auslöst.“
Die Kombination dieser Dinge war es auch, die Martin Ojster, der zuvor als Lektor tätig war, in den Bann des aktionstheaters zog. „Durch diese sehr direkte Art des Spielens habe ich mich sofort abgeholt gefühlt“, sagt Ojster, den wir nach der Probe im Theater am Werk treffen. „Als Teil einer Generation, die mit MTV aufgewachsen ist, hat mich zudem die Schnelligkeit der Stücke sehr angezogen. Auf inhaltlicher Ebene hatte ich das Gefühl, dass die Dinge, die auf der Bühne passieren, immer etwas mit mir zu tun haben. Und ganz wichtig: Es gab keine Moral. Ich finde nichts langweiliger, als wenn mich Theater belehren will.“
Persönliche Bestandsaufnahmen
Zum aktionstheater kam Martin Ojster in jener Zeit, als sich Martin Gruber gerade davon verabschiedete, weiterhin Klassiker zu inszenieren. Es folgten Überschreibungen, Zusammenarbeiten mit Autor*innen wie Wolfgang Mörth, Claudia Tondl und Gert Jonke und Stückentwickungen zu einer Zeit, als noch niemand Stückentwicklungen machte. Zumindest nicht so, wie das aktionstheater sie bis heute versteht. „Bei uns kommen die Geschichten direkt aus den Leuten“, bringt es Martin Ojster auf den Punkt. Martin Gruber beschrieb die Phase der Textfindung einmal so: „Wir beginnen bei der Generierung des Textes zwar mit persönlichen Bestandsaufnahmen, schrauben das aber hoch und suchen nach Themen, die über das Private hinausgehen.“
Weil damit eine Form des Entblößens einhergehe, bräuchte es viel Vertrauen seitens der Spieler*innen, ergänzt Martin Ojster. „Es hilft, dass wir mit vielen Spieler*innen schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten, aber es braucht auch immer wieder Leute, die neu dazukommen, damit sich das Ganze nicht erschöpft.“
Als Dramaturg ist Ojster auf unterschiedlichen Ebenen kreativ tätig. Einerseits Mitarbeit bei der Entwicklung des Stücks, zu der auch die mehr als ein Monat andauernde Textfindungsphase gehört, andererseits aber auch in den Bereichen Sozial Media und Kommunikation. „Ich glaube, dass sich der Beruf des Lektors und der des Dramaturgen insofern ähnlich sind, als es in beiden Berufen darum geht, im Sinne des Gesamtprozesses zu agieren. Ich versuche niemandem etwas aufzudrücken, sondern zuzuarbeiten. Dennoch gibt es viel kreativen Spielraum“, fasst er zusammen.
Alles vorbei mit 35?
Mit „All about me. Kein Leben nach mir“, das bis 15. Juni im Theater am Werk in Meidling zu sehen ist, feiert das aktionstheater ensemble auch seinen 35. Geburtstag. Für eine freie Gruppe fände er das ganz schön beachtlich, sagt Martin Ojster lachend. Und damit ist er nicht alleine – auch der Bundespräsident gratulierte.
Die Idee, eine Form von „Best of“ zu machen, hat Martin Gruber mit seiner Truppe jedoch rasch wieder verworfen. Der Grund: zu langweilig. Außerdem entspreche eine reine Rückschau nicht dem Geist des aktionstheaters. Dennoch war der Gedanke eine gute Absprungrampe, so Martin Ojster, der hinzufügt: „Übriggeblieben sind letztlich vier Textpassagen aus alten Stücken. Schön fand ich, dass einige unserer Bregenzer Zuschauer*innen diese Passsagen erkannt haben.“
Thematisiert wird der 35er im Stück dennoch – in typischer aktionstheater-Manier. „Der Abend beginnt damit, dass Benjamin Vanyek auf die Bühne kommt und zu den anderen sagt, dass sie nun, mit Mitte 30, eh alle nichts mehr werden“, erzählt Martin Ojster. Aber auch das Theater und seine vermeintlichen transformativen Kräfte werden immer wieder selbstironisch in den Fokus gerückt.
Insgesamt sei „All about me“ eine Arbeit geworden, die sich durchaus von jenen davor unterscheidet, resümiert der Dramaturg. „Sie ist weirder, gleichzeitig aber auch ein wenig stringenter. Außerdem ist sie fast noch choreografischer als die Produktionen davor und dabei auch wahnsinnig subtil. Die Brüche sind anders gesetzt als sonst, sodass sie einen auf eine Weise mitnimmt, wo man sich zwischendurch fragt, warum man gerade so tieftraurig ist. Weil man den konkreten Moment nicht festmachen kann.“
„Mit Hirn und Herz und Bauch und Po“
Sie sei immer auf der Suche nach etwas gewesen, das sie sowohl körperlich als auch kognitiv herausfordert – und fand genau das in den Stücken des aktionstheater ensembles. Wir haben Schauspielerin Kirstin Schwab eine Woche vor der Premiere von „Morbus Hysteria“ getroffen. Weiterlesen...
Persönliche Highlights
Bevor wir uns wieder verabschieden, möchten wir noch von dem Dramaturgen wissen, ob er ein Highlight aus 26 Jahren aktionstheater ensemble benennen kann. Er überlegt kurz und erwähnt dann eine für ihn sehr berührende Szene aus dem Stück „Werktagsrevolution“. „In einer Sequenz, in der es darum ging, am Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt zu sein, lief eine der Schauspieler*innen mit ihrem Handy auf der Bühne herum, um ein Selfie von sich zu machen. Sie denkt, dass sie vielleicht nur diese paar Dinge tun muss, die die Jungen machen, um wieder dabei zu sein. Der halbe Saal hat geweint, weil diese Szene so unfassbar traurig war.“ Ein weiterer Höhepunkt für ihn: „Pension Europa“ in London zu zeigen. Und natürlich: die aktuelle Jubiläumsproduktion. Martin Ojster lacht. So wie man nur lacht, wenn man den 35er gerade gut und ausgiebig gefeiert hat.