Michael Niavarani wollte schon als Kind so werden wie die österreichische Komikerlegende Maxi Böhm: „Der Böhm ist einfach auf die Bühne gegangen, hat nichts, aber gar nichts gemacht, und die Leute haben bereits zu lachen begonnen.“ Diese Form von unangestrengtem Charisma ist das Gold einer Bühnenexistenz. Wenn man als darstellender Künstler in dieser Stratosphäre angekommen ist, dann hat man einen Hauptwohnsitz im Publikumsliebling-Olymp. 

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Ein Publikumsliebling wird von jenen Kollegen, die nicht zu dieser Spezies zählen, gerne mit unterdrücktem Neid als „Knattermime“ oder „Poltergeist“ diffamiert, denn mit solchen Applaus-Vollbädern werden die braven Repräsentanten des Mittelmaßes natürlich nicht verwöhnt. Der Verlust von solchen mimischen Kronjuwelen, wie sie Caroline Peters, Joachim Meyerhoff und Steffi Reinsperger verkörpern, hinterließ bei uns allen in den letzten Burgtheater-Saisonen regelrechte Phantomschmerzen. Wir sind eben durch und durch Wiener, was unsere äffische Hingabe zu den „berufsmäßigen Gefühlsmenschen“ (Max Reinhardt) betrifft. Nirgendwo sonst sind Publikum und Schauspieler in einer so emotionalen Symbiose miteinander verwoben wie in Wien. Tatsächlich ist es nahezu egal, in welchem Stück und auch ein bisschen unter welcher Regie die A-Liga der Herzen darzustellen hat. Hauptsache ist, dass sie einfach da sind. Und das kleingeistige „Piefke“-Bashing, wie es seit Peymanns Auto­kratie lange unter Wiener Kulturettis salonfähig war („Man hört doch keinen österreichischen Ton mehr!“, wurde da gerne in astreinem Schönbrunnerensisch im Pausenfoyer lamentiert), hat sich, dem Himmel sei Dank, längst in Luft aufgelöst. 

Die Happel, der Maertens und die Hörbiger (die hochverdient kürzlich mit dem Elisabeth-Orth-Preis ausgezeichnet wurde) sind längst in den Status von nationalem Eigentum avanciert. Mit der Minichmayr und dem leider viel zu sehr im Film abhandengekommenen Ofczarek bilden sie großteils die Säulenhalle des Burg-Ensembles. Was natürlich oft unfassbar ungerecht gegenüber der neuen Kollegenschaft ist, die sich diesen Vorsprung an Zuwendungskilometern auf dem Beliebtheits­tacho erst hart erarbeiten muss. Wollen wir uns also gegenüber den Neuzugängen aus Köln, die dem elitären Vergnügungsdampfer des Burgtheaters allabendlich eine neue Strahlkraft verleihen sollen, eine Wien-untypische Vorschusstoleranz bewahren und den Herrschaften mit einer gewissen Ent­deckungslibido entgegentreten. 

Felsenfeste Überzeugung: Nach ihren langjährigen Berlin-Stationierungen werden Peters/Reins­perger/Meyerhoff von Zuschauerliebe überwältigt werden, denn in Berlin gehen die Menschen zwar auch ins Theater, aber sie sind ein wesentlich unterkühlteres Publikum als im theaternärrischen Wien. Meyerhoff erzählt gerne, dass eine gängige, durchaus nicht ironisch gemeinte Form des Lobes des Berliner Zuschauers lautet: „Hätte schlimmer kommen können.“ Also, ab in die Applaus-Vollbäder und Schluss (das gilt für uns Zuschauer) mit der Long-Covid-Lethargie, an deren sachten Auswirkungen die Theater noch immer laborieren. Und natürlich gilt immer, tut leid, Herr Direktor, jenes Zitat von Thomas Bernhard aus der Erregung „Holzfällen“: „Es hat immer Lieblingsschauspieler gegeben, aber nie einen Lieblingsburgtheaterdirektor.“

Zur Person: Angelika Hager

Sie leitet das Gesellschaftsressort beim Nachrichtenmagazin „profil“, ist die Frau hinter dem Kolumnen- Pseudonym Polly Adler im „Kurier“ und gestaltet das Theaterfestival „Schwimmender Salon“ im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).