Jedem Ende wohnt ein Anfang inne – im Fall von Zoë Straub vielleicht sogar ein Zauber. Dass aus einer Absage mehr werden kann, beweist die Sängerin mit der Energie, mit der sie uns schon gleich zu Beginn des Interviews ansteckt.

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Wir besuchen Zoë Straub Ende Juni in ihrem Studio, neben dem Sofa steht das Klavier, auf dem sie uns später Lieder zeigen wird. Die Sonne scheint auf das helle Parkett. Bevor wir uns weiter umschauen können, tauchen wir schon in den Entstehungsprozess des Musicals „EPOS“ ein, denn Straubs Energie sowie ihr Lachen sind ansteckend. „Der ganze Prozess elektrisiert einen und es ist schön, dass man das fühlen darf“, findet sie.

Girls support Girls im Mittelalter

Fans der Nibelungensage sollten sich jetzt anschnallen, denn „EPOS“ erzählt die altbekannte Geschichte von Siegfried, Kriemhild und Co – und das ganz neu.

Zum Heldenepos inspiriert wurde die Sängerin und Schauspielerin durch die One-Man-Show von Justus Neumann im Rahmen von Circus Elysium im Museumsquartier. Zudem hat Straub wie die meisten Schulklassen das Nibelungenlied in der Fassung von Michael Köhlmeier auch im Deutschunterricht gelesen. „Mir wurde die Geschichte lebendig erzählt und da wurden andere Perspektiven aufgeworfen. Siegfried zum Beispiel ist zwar Held und Drachentöter, aber auch Mitvergewaltiger einer Frau.“

Auch neue Elemente finden Eingang in „EPOS“, beispielsweise die Beziehung zwischen Kriemhild und Brünhild. „Da ist eine Dynamik zwischen zwei Frauen, die sehr feindselig gegenüberstehen. Das merken wir auch in unserer Gesellschaft: dass es „girls support girls“ (Anm. ein popkultureller Begriff, der die Unterstützung zwischen Frauen beschreibt) nicht gibt, sondern dass es eher ein Aufhetzen zwischen Frauen ist, anstatt sich gegenseitig zu sehen.“

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Von einer Absage zum Anfang

Dass sie jemals ein Musical schreiben würde, hätte Zoë Straub sich lange nicht träumen lassen. Dabei brachte sie erst eine Absage nach der Audition des Falco-Musical auf diesen Gedanken. Die begehrte Rolle der „Isabella“ bekam schließlich ihre Freundin Katharina Gorgi.

„Ich war dann natürlich etwas enttäuscht,“ erzählt Straub uns. „Aber während ich mit jeder Runde weitergekommen bin, dachte ich: Ich will selbst eins schreiben.“

Gesagt, getan. Keine zwei Tage nach der Absage sang Zoë Straub die Melodie ihres ersten Musicalsongs als Sprachmemo in ihr Handy ein. Heute ist das Lied als letzter Song in „EPOS“ geplant. Die 24 bis 26 Lieder werden auf Deutsch gesungen – auch ein erstes Mal für die ehemalige ESC-Teilnehmerin, die ihre Lieder in der Regel auf Französisch singt. „Ich fühle mich aber sehr wohl in meiner Muttersprache“, sagt sie und lacht.

Heute würde sie an die Öffentlichkeit gehen und ihn anzeigen. Es ist ihr Powermove und ob er gerechtfertigt ist, muss jede*r für sich entscheiden.

Zoë Straub über Kriemhilds Racheakt

Das Patriachart aus der Sicht einer Frau

Dass die meisten Musicals von Männern geschrieben werden und wurden, ist kein Geheimnis. Das Angebot an weiblichen Musical-Komponistinnen ist durchwachsen, im deutschsprachigen Raum sogar quasi bei null. Worin manche jedoch Hürden sehen könnten, sieht Zoë Straub eine Chance für einen Höhenflug. „Ich habe das Gefühl, dass Musical-Darsteller*innen sich immer freuen, wenn etwas Neues passiert. Dass es Menschen gibt, die neue Musik schreiben und dass es eine Frau ist. Gerade, wenn es um Frauenrollen geht, gibt es wahnsinnig viele Darstellerinnen, aber mehr Rollen für Männer“, betont Straub.

Druck beim Bewältigen ihrer neuen Aufgabe spürt die 27-jährige jedoch keinen. „Eigentlich fühlt es sich aufregend an, so prickelnd und richtig“, sagt sie und ihre Augen funkeln dabei. „Es muss ja jemand mal machen.“ Von Schwierigkeiten lasse sie sich nicht entmutigen. „Es ist beflügelnd. Es ist eben etwas anderes, wenn es um eine Frauengeschichte geht. Alle Musicals sind zurecht dort, wo sie heute sind, aber ich denke, es darf sich auch ausdehnen. Mehr Diversität darf kreativ existieren“, fügt sie hinzu.

Weg vom Helden und zurück auf die Perspektive der Frauen, das wäre ihr Ziel. Dabei streift sie – wie in der Originalfassung des Nibelungenlieds – auf sensible Themen wie Vergewaltigung oder Entmündigung durch Männer.

MeToo im Mittelalter

Straub will in ihrer Neuinterpretation die Männer in der Geschichte nicht in die böse Rolle drängen. „Es sind schließlich Personen, die auch im Patriachat ihre Rollen haben“, betont sie. „Dieses Musicals ist keine reine Kritik gegen Männer, sondern es ist eine Kritik am Patriachat.“ Die Tragik der Geschichte will sie hier nicht allein aufs Mittelalter schieben. „Da gibt es Dinge, die sind leider noch tausend Jahre später aktuell.“

Kriemhilds Mord an Hagen als Racheakt kann man daher auch modern interpretieren, findet sie. „Heute würde sie an die Öffentlichkeit gehen und ihn anzeigen. Es ist ihr Powermove und ob er gerechtfertigt ist, muss jede*r für sich entscheiden.“

Auch musikalisch wird diese Thematik mit einem selbstkomponierten Lied untermalt werden. „Es gibt einen Song im ersten Akt, wo die Frauen singen ‚Ist ein Nein nicht genug?‘. Das ist ein Aufruf, zusammenzuhalten und eigentlich ein MeToo des Mittelalters, das zu uns herüberschwappt.“

Sie hält inne, überlegt kurz. „Es ist eine alte Geschichte, aber sie ist leider zeitlos.“

Zoë Straub
Zoë Straubs Strategie, mit Druck umzugehen? „Ich schaue mir Schlussapplaus von ‚Elisabeth‘ an, weil ich die Energie schön finde“, verrät sie uns.

Foto: Julia Dragosits

Der Weg auf die große Bühne

Bevor das Musical vors Publikum kommt, hat „EPOS“ noch eine Reise vor sich: Mittels Crowd-Investment wird der Workshop finanziert, der Ende August vor Schlüsselpersonen der internationalen Musicalbranche über die Bühne gehen wird. „Da werde ich die Geschichte erzählen und dann geht es in die Lieder über. Das Ziel ist es, zu zeigen, was wir schon haben und neue Leute kennenzulernen, die hoffentlich mit uns zusammenarbeiten wollen.“

Ein Teil des Casts ist schon festgelegt. So wird Cesár Sampson Siegfried verkörpern und Drew Sarich in die Rolle des Hagen schlüpfen. Zoë Straub selbst wird Kriemhild spielen.

Unterstützung erhält die Sängerin in ihrem kreativen Prozess zudem von niemand geringerem als den renommierten Arrangeur Michael Reed, der unter anderem die Weltpremiere von „Phantom der Oper“ in London dirigierte.

Schlussapplaus als Manifestation

Wir kommen langsam zum Ende unseres Gesprächs. Welche Frage sie sich stellen würde, wenn sie Journalistin wäre, fragen wir Zoë Straub. „Wenn ich eine fiese Journalistin wäre, dann würde ich wahrscheinlich fragen, wie man in einer Männerdomäne arbeitet.“ Sie lacht, dann überlegt sie. „Wie geht man mit dem Druck um? Wie pusht man sich, wenn einem nichts mehr einfällt? Das würde ich vielleicht fragen.“

Die Sängerin selbst hat da schon eine Strategie für sich entwickelt, in welchem sie ihr Lieblingsmusical einbindet. „Ich schaue mir Schlussapplaus von ‚Elisabeth‘ an, weil ich die Energie schön finde“, verrät sie lachend. „Es hat etwas Manifestierendes. Ich stelle mir dann vor, wie die Premiere ablaufen wird oder was ich tragen werde.“ Die Energie beim Schlussapplaus habe sie dabei klar vor Augen. „Wie die Darsteller*innen auf die Bühne gehen und das Danke vom Publikum empfangen. Und dann kommt man nach der Geschichte zusammen zurück in die Realität.“

Wir bedanken uns bei Zoë Straub für das Interview und merken erst jetzt, wie schnell die Zeit im Gespräch vergangen ist. Da ist wohl die ein oder andere Begeisterung für Heldensagen auch zu uns herübergeschwappt…

Alle Informationen zu EPOS - Das Musical finden Sie hier!