Obligate Schullektüre. Zumindest im letzten Jahrtausend am BG & BRG Fürstenfeld. Im Gegensatz zu manch anderen Verpflichtungen allerdings mehr Segen als Fluch. Ferdinand Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ bietet thematisch schließlich allerhand gegen das juvenile Gelangweiltsein.

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Der Inhalt zur Erinnerung im Schnelldurchlauf: Der reiche Gutsbesitzer Rappelkopf hat einen fürchterlichen Grant auf die Welt. Er ist dem Verehrer seiner Tochter zutiefst abgeneigt, ekelhaft zu seiner Frau und feindselig gegenüber den Angestellten. Den Diener Habakuk – „Ich war zwei Jahr ’in Paris“ – bezichtigt er sogar des hinterhältigen Mordversuchs, ehe er die Möbel zerschlägt und in den Wald entflieht. Dort überzeugt er die Köhlerfamilie Glühwurm monetär davon, ihm ihre Hütte zu überlassen, was diese zum traurigen Abschiedslied „So leb’ denn wohl, du stilles Haus“ inspiriert.

An dieser Stelle wird es dem Alpenkönig zu viel. Er verspricht, den Widerwärtigen zu bekehren.

Astragalus verwandelt sich zu diesem Zwecke in Rappelkopf, der fortan als sein ebenfalls verabscheuter Schwager Silberkern durchs Leben gehen muss. So wird dem Rüpel ein Spiegel vorgehalten, er kann hautnah miterleben, wie er sich benimmt, und muss noch dazu erkennen, dass ihn seine Familie trotzdem liebt. Die beabsichtigte „Läuterung“ gelingt.

„Kinder, ich bin ein pensionierter Menschenfeind, bleibt bei mir, und ich werde meine Tage ruhig im Tempel der Erkenntnis verleben“, resümiert Rappelkopf am Schluss versöhnlich.

Aktuelle Autorität

Josef E. Köpplinger inszeniert nach „Der Bauer als Millionär“ 2018 nun also zur Saisoneröffnung seinen zweiten Raimund in der Josefstadt. Damals spielte Michael Dangl Fortunatus Wurzel, dieses Mal verkörpert er Herrn von Rappelkopf.

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Matthias Asboth, Chefdramaturg des Hauses, meinte im Vorfeld: „Wenn man so alte Stücke hat, kann man sie nur dann ruhigen Gewissens spielen, wenn sie eine gewisse Allgemeingültigkeit mitbringen.“

Dem stimmt der Regisseur zu. „Der Menschenfeind per se ist eine zeitlose Erscheinung. Dass jemand durch Verletzungen unbestimmter Art das Vertrauen in sich, in seine eigene Urteilsfähigkeit und infolgedessen auch in alle, die ihm begegnen, verliert, ist allgemeingültig. Gegenwärtig betrachtet, könnte man das als narzisstische Störung bezeichnen. Aber das ist es nicht, sondern wie immer bei Raimund handelt es sich um eine Parabel, die zur Heilung einer Zauberwelt bedarf. Es ist ein Volksstück, das die moderne Psychologie vorwegnimmt, was bemerkenswert ist.“ Zudem trägt es wohl gewisse autobiografische Züge des Autors, der nicht frei von Phobien und zwischenmenschlichen Problemen gewesen sein dürfte.

Kunst ist ein wirksames Mittel gegen die Barbarei.

Josef E. Köpplinger, Regisseur

„Das vollkommen Zeitlose des Stücks kommt besonders stark in den Liedern zur Geltung“, erläutert Michael Dangl.

„Anders als bei den Couplets von Nestroy gibt es keine aktualisierten Strophen. Die braucht es aber auch nicht, weil die Originalverse in der Bestandsaufnahme der menschlichen Gesellschaft samt ihrer Schwächen und Abgründe so unveränderlich gut sind, dass man es heutig nicht besser formulieren könnte.“

Josef E. Köpplinger, der übrigens die Originalmusik des Komponisten Wenzel Müller erklingen lassen wird, konstatiert: „Es ist immer der richtige Zeitpunkt, um dieses Stück zu spielen. Kunst ist ein wirksames Mittel gegen die Barbarei, was vom Publikum auch goutiert wird, indem es eben ins Theater geht. Und wenn man sich mit dem ‚Alpenkönig‘ und seiner Entstehung intensiv beschäftigt, entdeckt man eine Zeit, die sich in den wesentlichen Zügen des menschlichen Versagens und Entsprechens nicht geändert hat. 1828, das Jahr seiner Erstaufführung, war eine Umbruchzeit. Auf das Köpferollen der Französischen Revolution folgte ein Despot. Hundert Jahre später, nach Zerschlagung der Monarchie, kam mit Hitler wieder ein Diktator. Und jetzt, nach beinahe weiteren hundert Jahren, müssen wir erneut achtgeben, dass die Demokratie nicht gefährdet wird durch empathieunfähige, empfindungsgelähmte Menschen. Das kann ganz schnell passieren, wenn man es kollektiv verabsäumt, sich in den Spiegel zu schauen.“

Josef E. Köpplinger
Josef E. Köpplinger leitet seit 2012 das Staatstheater am Gärtnerplatz in München. Der Niederöster- reicher studierte Klavier, Gesang und Musikpädagogik und ist als freischaffender Regisseur für Oper, Operette, Musical und Schauspiel international tätig. Im Theater in der Josefstadt inszenierte er zuletzt 2022 „Jeder stirbt für sich allein“. Heuer wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen.

Foto: Lukas Gansterer

Michael Dangl nickt. „Raimund gehörte einer Generation an, die mit einem Fuß noch in der alten Welt stand und mit dem anderen bereits in die Moderne aufgebrochen ist. Das hat eine große innere Zerrissenheit bewirkt. Er war ein Dichter, der die existenzielle Verlassenheit des Menschen, nachdem man ihm gewissermaßen den Himmel weggenommen hat, gespürt und ausgedrückt hat. Das ist auch eine Antwort darauf, warum es so wichtig ist, Raimund heute zu spielen. Weil auch wir in einer Zeit leben, wo alles, was wir uns in den dazwischenliegenden zweihundert Jahren als Ersatzsicherheiten aufgebaut haben, zerbröckelt und zerfällt.“

Seltenes Vergnügen

Warum wird Ferdinand Raimund bei all seinen Meriten trotzdem vergleichsweise spärlich an heimischen Theatern gespielt? „Weil er unterschätzt wird und man seine Qualitäten nicht ausreichend würdigt“, findet Michael Dangl. „Raimund hat Charme, was heute manchmal belächelt wird, weil man es zu Unrecht für das Gegenteil von Intelligenz und Wachheit hält. Selbst wenn es um die schrecklichsten Abgründe geht, bleibt Raimund in einer Temperatur, die den Zuschauern das Herz eher erwärmt als gefrieren lässt. Er hat in der Sprache, in der Musik einen einladenden Gestus, aus dem die Menschen in Summe Hoffnung schöpfen können für ihr eigenes Leben. Seine Inhalte und Figuren berühren über die Jahrhunderte hinweg. Es ist auch nicht nötig, Phrasen, die heute nicht mehr geläufig sind, durch aktuelles verbales Gerümpel zu ersetzen, weil man den Sinn trotzdem versteht.“

Josef E. Köpplinger vermutet den Grund für die Absenz Raimunds darin, dass viele Theater zu sehr mit der Mode gehen wollten. „Ich vermisse in Österreich die Selbstverständlichkeit, mit der man in Italien Goldoni und Pirandello spielt, in Frankreich Beaumarchais und Racine, in Großbritannien Shakespeare und Shaw. Ich möchte einen Schnitzler-Ton hören, denn dieser ist nicht aus der Zeit gefallen, sondern schlichtweg schöne Sprache. Ich vermisse Herzmanovsky-Orlando, Nestroy wird ebenfalls zu wenig gespielt. Und Anzengrubers ‚Das vierte Gebot‘ wäre aktuell ein Lehrstück der besonderen Art.“

Michael Dangl
Michael Dangl stand bereits mit vier Jahren auf der Theaterbühne und wurde mit 18 ans Salzburger Landestheater engagiert. Seit 1998 ist der Kammerschauspieler – nach Stationen u. a in Köln und Hamburg – Mitglied des Theater in der Josefstadt-Ensembles, wo er in zahlreichen bedeutsamen Rollen zu erleben war/ist. Er gestaltet eigene – oft musikalisch-literarische – Programme, arbeitet als Autor und dreht für Kino und TV.

Foto: Lukas Gansterer

Erhöhte Merkfähigkeit

Michael Dangl hat als Rappelkopf sehr viel zu sagen. Wie lange musste er seine Rolle memorieren, bis er sie verinnerlicht hat? „Ich würde meinen, dass ich etwa fünf Wochen intensiv daran gearbeitet habe. Das heißt wirklich jeden Tag drei Stunden lang. Diese Zeit habe ich aber auch gebraucht, denn es galt, ziemliche Textgebirge zu bewältigen. Und es ist bei jedem Stück mein Anspruch, den Text zu können, wenn wir mit den Proben beginnen, andernfalls würde ich allen anderen ihre Zeit stehlen.“ Die gute Vorbereitung mindere zudem die Probenzeit.

„Und ich möchte dann auch wieder raus aus dem Theater und die Welt außerhalb der dunklen Räume sehen.“

Was macht den Rappelkopf in seinen Augen eigentlich zum Misanthropen? „Alles, was ich zu ergründen versuche, kann immer nur ein Teil sein, denn man wird dem Rätsel eines solchen Charakters nie gänzlich auf den Grund gehen können. Das weiß ich auch deshalb, weil der Rappelkopf gewisse Züge hat, in denen ich mich in früheren Lebensjahren wiedererkenne“, so Michael Dangl mit breitem Lächeln. Er habe aber das Glück gehabt, an den neuralgischen Stellen anders abzubiegen.

„Wir wissen nicht, wie Rappelkopf aufgewachsen ist, vielleicht hatte er eine verkorkste Kindheit. Die Gründe seines Menschenhasses, die er selbst aufzählt, scheinen mir zu konstruiert. Sein Hass ist in erster Linie gegen sich selbst gerichtet. Bei aller Aggressivität, mit der er auf seine Umwelt losgeht, tut er sich selbst am meisten weh. Das passt wiederum sehr gut zu Raimund, der auch Probleme hatte, sich so zu akzeptieren, wie er war, und der trotz seines enormen Erfolgs immer unzufrieden blieb. Er wäre lieber ein zweiter Grillparzer geworden und hätte gerne am Burgtheater reüssiert.“

Hamlet

Sein oder Nichtsein?

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Josef E. Köpplinger versteht bis zu einem gewissen Grad die Unzufriedenheit des Künstlers, der stets danach trachten müsse, weiterzusuchen. Man sollte allerdings auch wissen, wann die Entblätterung der eigenen Seele genug ist.

„Weil es eben gut ist, wie es ist. Das kann die Inszenierung eines Stücks betreffen, aber auch die Gesamtkarriere. Ich wurde relativ jung Intendant, und auch bei meiner vierten Station als Staatsintendant am Münchner Gärtnerplatztheater kam sofort die Frage auf, wohin ich denn als Nächstes gehen wolle. Man erwartet dann immer mehr. So denke ich aber nicht. Dort, wo ich bin, bin ich glücklich. Alles andere wird passieren – oder eben nicht. In einem fühle ich mich ganz bei Raimund: Ich muss Theater machen. Ich hätte gar keine andere Wahl. Es erfüllt mich im wahrsten Sinne. Würde es das nicht, müsste ich aufhören.“

Hier zu den Spielterminen von Der Alpenkönig und der Menschenfeind!