Ein erfolgreiches Debüt macht Freude, aber auch Angst. Denn: Je lauter der Applaus, desto mehr Druck liegt auf dem mit Spannung erwarteten Nachfolger. So ist es jedenfalls in der Musik. Nicht immer natürlich, dennoch gibt es viele Musiker*innen, die auch Jahre später noch mit starrer Miene davon berichten – vom verflixten zweiten Album.

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Uwe Schmieder ist zwar kein Musiker, aber ein Schauspieler, der hin und wieder Musiker spielt. Seit der letzten Saison tut er das in den von ihm konzipierten Abenden „No Fear: Punk“ im Weißen Salon des Volkstheaters. Der erste multidisziplinäre Abend unter diesem Titel fand bereits in der vergangenen Spielzeit statt, nun arbeitet er, gemeinsam mit seinem Team, an der verflixten zweiten Inszenierung. Doch Uwe Schmieder verspürt keinen Druck und hat daher auch keine Angst.

Auch zum Interview hat er ausschließlich Vorfreude, eine große Portion Redelust und einige dicke Bücher musikgeschichtlichen Inhalts mitgebracht.

Angst verspürt der in der ostdeutschen Kleinstadt Bautzen geborene Schauspieler auch deshalb keine, weil er Scheitern als Chance begreift. „Als Chance, etwas zu entdecken“, hält Schmieder fest und setzt nach: „Ich kann nur rauskriegen, ob etwas funktioniert, wenn ich es mache.“ Ob das bereits Punk ist oder nicht – und was sich überhaupt hinter dem teilweise recht abgegriffenen Begriff verbirgt –, wird in unserem Gespräch immer wieder als Fragestellung auftauchen.

Theater darf niemals langweilen

Zuvor sollte man jedoch noch eine Sache über Uwe Schmieders Herangehensweise an seinen Beruf wissen: „Langeweile ist das Furchtbarste.“ Er lacht. Wer den drahtigen, vor Energie sprudelnden Schauspieler schon einmal auf der Bühne erlebt hat, wird sich vermutlich ganz gut vorstellen können, wie er das meint. Trotzdem möchten wir es genauer wissen. Mit ruhiger Stimme schiebt Schmieder eine Erklärung hinterher:

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„Ich möchte mich immer fragen, warum ich gerade jetzt Theater mache – Was kümmern mich meine Sachen von gestern? –, und ich möchte weder mich selbst noch das Publikum langweilen. Ich weiß nicht immer, wie man das abstellt, aber eigentlich muss die Devise sein, mit Theater nicht zu langweilen. Die Leute geben Geld dafür aus – sie entscheiden sich dafür, nicht Schnitzel essen zu gehen, sondern zu uns ins Theater zu kommen. Außerdem muss es etwas mit mir und den Menschen im Publikum zu tun haben. Und es muss ehrlich sein. Ich bin davon überzeugt, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen, wenn das nicht so ist.“

No Fear Punk
Die Geschichte weitererzählen. Nach dem Erfolg des ersten Teiles von „No Fear: Punk“ war klar: Eine Fortsetzung muss her. Uwe Schmieder wird wieder alle Rollen selbst verkörpern.

Foto: Marcel Urlaub

Das Chaos umarmen

Seinen Abend möchte er lieber mit „Utopie“ als mit „Punk“ überschreiben, sagt Uwe Schmieder, als wir beginnen, uns mit ihm über die Genese von „No Fear: Punk“ zu unterhalten. „Mich hat an der Beschäftigung mit dem Material vor allem interessiert, wie es gelingen könnte, gemeinsam eine Form der Kommunikation zu finden – in einer Zeit, in der es zunehmend schwieriger wird, miteinander zu sprechen, weil sehr schnell abgewertet wird.

Ich dachte dabei an Warhols Factory, weil das ein Ort war, an dem Menschen aus unterschiedlichsten Kunstrichtungen zusammengefunden und miteinander gesprochen haben“, erklärt der Schauspieler. Der Punk-Aspekt liegt für ihn unter anderem im Umarmen der inneren Unordnung. „Ich glaube, dass es manchmal wichtig sein kann, das Chaos in sich selbst zuzulassen und auszuhalten. Wir leben in einer Zeit, in der sehr schnell Verurteilungen passieren, was wiederum dazu führt, dass Menschen schweigen, weil sie Angst davor haben, Fehler zu machen. Die Factory ist für mich ein gutes Gegenbeispiel.“

Der Abend selbst ist eine Mischung aus Performance,Theaterstück und Rockkonzert (Dad’s Not Punk). Auch Videokunst spielt eine wichtige Rolle (Max Hammel, Lisa Rodlauer). Und es gibt eine Live-Malerin (Ulrike Schild). Im Vorfeld verteilt Uwe Schmieder Aufträge an alle Beteiligten. „Was dabei rauskommt, wird genommen“, bringt es der Schauspieler auf den Punkt. Am Ende dieser Phase wird alles zusammengetragen, kurz darauf findet die erste Vorstellung statt. „Im Grunde ist es ein sehr exklusives Projekt, denn für 38 Zuschauer*innen pro Abend arbeiten in etwa zwanzig Leute“, sagt Schmieder.

Im zweiten Teil beginnt er dort, wo der erste Teil endete. „Ich dachte, ich gehe in der Zeit ein bisschen weiter, setze bei der Auflösung von Velvet Underground und der Gründung der New York Dolls an. Es wird auch um Vivienne Westwood und ihren Einfluss auf die damalige Musikszene gehen. Und natürlich auch um die Sex Pistols. Möglicherweise wird in unserem Abend auch das größte Mysterium der Punkgeschichte aufgeklärt: wie Nancy Spungen zu Tode gekommen ist. Bis heute ist nicht klar, ob es Mord oder doch ein Unfall war. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Frage, was Edvard Munchs ‚Schrei‘ mit der Punkbewegung zu tun hat.“

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Uwe spielt sie alle

Es sei jedoch kein Abend, der auf eine Form von Glorifizierung abziele, ergänzt der Schauspieler, der mit seinem Projekt unbedingt auch unterhalten und – wie wir bereits wissen – auf gar keinen Fall langweilen möchte. Und diese Gefahr rückt mit jedem Satz, den Uwe Schmieder abfeuert, auch weiter und weiter in die Ferne. Obwohl er zwischendurch auch Sätze sagt wie: „Ich denke, dass es mir gelungen ist, eine Art Bildungsveranstaltung über diese Zeit zu machen – mit Live-Musik.

Der Grund, warum Uwe Schmieder alle Rollen selbst spielt, liegt im Übrigen während des gesamten Interviews vor ihm. Er streicht über „seine Bibel“, das Buch „Please Kill Me – Die unzensierte Geschichte des Punk“. Ein ziemlicher Wälzer, bei dem sich in chronologischer Reihenfolge Zitat an Zitat fügt und der deshalb so wirkt, als säßen die Interviewten in einer großen Runde beisammen.

„Wenn man einen Roman liest, identifiziert man sich in der Regel mit der Hauptfigur. Als ich dieses Buch gelesen habe, war ich plötzlich jeder und jede.“

Ich kann nur rauskriegen, ob etwas funktioniert, wenn ich es mache.

Uwe Schmieder, Schauspieler

Punk. Punkt.

Möglicherweise könnte Uwe Schmieder über sein eigenes Leben ein beinahe ebenso dickes Buch schreiben. Vierzig Jahre spielt er bereits Theater, zwanzig davon in der freien Szene in Berlin.

„Wenn man so will, war das, was ich da gemacht habe, auch Punk. Nur eben am Theater. Ich habe mich mit japanischem Nō-Theater beschäftigt, wir haben sehr körperlich gearbeitet und uns Spielweisen angeeignet, die im Osten verboten waren. Eigentlich habe ich mich schon mein ganzes Leben lang mit künstlerischen Formen auseinandergesetzt, die eher im Underground oder in Nischen stattgefunden haben. Wir wollten uns nie wiederholen und immer nach Verbindungen zu uns selbst suchen. Als ich 2011 fest ins Ensemble des Schauspiels Dortmund gegangen bin, wusste ich zunächst gar nicht, ob das klappt.

Ich habe aber mit Kay Voges so viele interessante junge Künstler*innen kennengelernt, dass ich plötzlich wieder große Lust hatte, zu lernen und Neues zu entdecken. Und auch zu scheitern. Im Grunde wie in der Factory“, erzählt Uwe Schmieder, der, wie er hinzufügt, erst über das Schauspielstudium zur Kunst gefunden hat. „Meine Eltern waren Tänzer, weshalb ich als Kind und Jugendlicher häufig im Theater war – aber vor allem hinter der Bühne.“

Eine Frage blieb bis hierhin unbeantwortet: Was ist nun also Punk? Uwe Schmieder lacht und winkt ab. „Das ist gar nicht so wichtig. Der Abend ist für alle. Er ist laut, aber es gibt Ohrenstöpsel.“ Und wenn Punk bedeutet, sich dem verflixten zweiten Album auf solch unerschrockene Weise zu nähern, ist auch Uwe Schmieder Punk. Punkt.

Hier zu den Spielterminen von No Fear: Punk Teil 2: Personality Crisis im Volkstheater!