Alter Märchenstoff neu zusammengenäht: „Das tapfere Schneiderlein“ im Dschungel Wien
Es ist lustig, listig, tapfer, mutig und ängstlich zugleich – Mira Stadlers Schneiderlein lässt sich in keine Schublade stecken. Warum sie beim Inszenieren für Kinder drei Gehirne hat und weshalb ihr Schneiderlein eine Heldin ist, hat uns die Regisseurin im Interview erzählt.
Was tun mit einem Märchenstoff, dessen Muster und Beschaffenheit nicht mehr so ganz in unsere heutige Zeit zu passen scheinen? Man fokussiert sich auf einzelne Anknüpfungspunkte und webt dann ein paar neue Handlungsfäden hinein. So – oder so ähnlich – schneiderte sich Regisseurin Mira Stadler jedenfalls ihre aktuelle Märchen-Inszenierung zusammen. Die zugegeben bereits zum jetzigen Zeitpunkt etwas überbordend eingesetzte Metaphorik ist natürlich eine Anspielung auf das Grimm-Märchen „Das tapfere Schneiderlein“, das Mira Stadler gemeinsam mit ihrem Team und einem vierköpfigen Ensemble (Nele Christoph, Annina Hunziker, Alina Schaller, Anton Widauer) im Dschungel Wien auf die Bühne gebracht hat.
„Mir war es wichtig, das Märchen zu modernisieren und trotzdem alle zentralen Elemente im Stück zu behalten“, fasst die Regisseurin zusammen. „Ein großer Unterschied ist, dass unser Schneiderlein weiblich ist. Damit zusammenhängend haben wir uns gefragt, wie wir Tapferkeit, die in der Regel ja von außen zugeschrieben wird, definieren wollen und welche Rolle Mut und Intelligenz spielen.“
Listig, lustig oder doch tapfer?
Darüber hinaus trieb Mira Stadler, die unter anderem Thomas Perles NESTROY-ausgezeichnetes Stück „karpatenflecken“ inszenierte, die Frage um, wie man so eine alte Geschichte auf einer heutigen Theaterbühne erzählen kann. „Bei uns gibt es drei Erzähler*innen, die versuchen, die Geschichte jeweils ein wenig anders zu erzählen. Es gibt einen Erzähler, der sich auf das Original konzentriert, die zweite Erzählerin möchte den Spaßfaktor rausholen und eine große Show auf die Beine stellen und die dritte findet, dass das Märchen überholt ist und man es komplett anders erzählen muss. Dennoch gehen wir durch all die bekannten Stationen der Märchenwelt durch und treffen dabei auch auf all die Wesen, die darin wohnen. Am Ende kommt das Schneiderlein zu der Erkenntnis, dass es ja ihre Geschichte ist und sie die Story daher so erzählen möchte, wie sie das möchte. Sie nimmt die Fäden ihrer Geschichte selbst in die Hand“, erklärt Mira Stadler ihren Ansatz. Der eingangs etablierten Metaphorik folgend, könnte man auch sagen: Neben dem roten Faden der Märchenerzählung ist links und rechts davon ausreichend Platz für allerlei Verstrickungen.
Die Tradition, im Dschungel ein Weihnachtsstück zu zeigen, wollte Anna Horn, seit dieser Spielzeit Intendantin im Kinder- und Jugendtheaterhaus im MQ Wien, unbedingt aufrechterhalten. Auch dass es ein Märchen sein soll, war rasch klar. „Wir haben uns schlussendlich für die Kombination aus einem bekannten Titel und einer doch sehr freien Interpretation entschieden“, fasst die Regisseurin zusammen und setzt nach: „Uns war es auch total wichtig zu sagen, dass eine Frau natürlich eine Heldin sein kann, sie aber nicht der bessere männliche Held sein muss. Lustigerweise ist es den Kindern vollkommen egal, welches Geschlecht das Schneiderlein hat. In der Zeit, in der sie im Zuschauerraum sitzen, wollen sie einfach eine geile Geschichte sehen. Längerfristig glaube ich aber schon, dass man damit etwas bewirken kann.“
Drei Gehirne
Wenn die im slowenischen Teil Kärntens geborene Regisseurin Stücke für Kinder inszeniert, hätte sie drei Gehirne, erzählt sie lachend. „Vor allem dann, wenn es um die humorvollen Stellen im Stück geht“, fügt sie hinzu. „Eines denkt darüber nach, worüber Kinder lachen könnten. Eines beschäftigt sich damit, wie das Stück auch für Erwachsene lustig werden könnte. Und das dritte entwickelt einen allgemeingültigen Humor. Man kennt das ja auch von Disney, Pixar und Co, dass es immer Stellen gibt, wo die Kinder nicht lachen, die Erwachsenen aber schon und umgekehrt natürlich auch.
Ob es Dinge gäbe, die sie aus den Kinderstücken in ihre Inszenierungen für Erwachsene mitnehmen könne, wollen wir noch von der Regisseurin wissen. „Es hat mich auf jeden Fall lustiger gemacht, ich habe Humor als Komponente nun noch stärker in meiner Arbeit verankert“, antwortet Mira Stadler in ihrer direkten, offenen Art. „Darüber hinaus merken es Kinder verlässlich und manchmal auch lautstark an, wenn auf der Bühne etwas behauptet wird, das offensichtlich nicht der Fall ist oder sie nicht verstehen.“
Beim „Schneiderlein“ sei auch Theatermagie im Spiel, trotzdem seien beispielsweise die Riesen auch einfach die Erzähler, die auf Leitern klettern und dann plötzlich Riesen sind. „Manche Dinge muss man einfach behaupten, um mehr Magie reinzubringen und bei ein paar Sachen ist es total okay, jemanden sagen zu lassen: Jetzt spiele ich den Riesen.“
39 Stufen
Wenn die Regisseurin mit ihrem Team auf der Probebühne zu arbeiten beginnt, bleibt sie nicht gerne lange am Tisch, weil sie findet, „dass man zwar viel labern kann, sich aber erst beim Tun überprüfen lässt, ob die Dinge, die besprochen wurden, tatsächlich Sinn ergeben.“ Meistens bleibe sie nur ein paar Tage am Tisch, um inhaltlich ein paar Sachen zu klären, fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. „Nach zwei Wochen kann man immer noch wieder zum Text zurückgehen. Ich mag es, ein paar Mal hin und her zu wechseln.“
Beim Stück „karpatenflecken“ sei sie ein wenig länger am Text geblieben, erinnert sich Mira Stadler. „Der Text ist historisch ungemein komplex, da mussten wir erstmal alle auf ein Level kommen. Trotzdem sind wir schnell in eine Körperlichkeit hineingekommen. Gerade bei Texten, wo es schwierig ist, sie intellektuell zu fassen, finde ich es wichtig, in eine Körperlichkeit zu gehen. Thomas Perle hat mit diesem Text ja eine wunderbare Familiengeschichte vorgelegt, daher fand ich es wichtig, dass man diese Familie auch auf der Bühne sieht. Das kann man nicht am Tisch klären.“
In Wien bringt Mira Stadler als nächstes den frühen Hitchcock-Klassiker „Die 39 Stufen“ auf die Bühne. Singular? Plural! Denn die Inszenierung des Volkstheaters in den Bezirken tourt ab Ende Februar durch ganz Wien. „Vier großartige Spieler*innen werden über die Bühne jagen und das Publikum unterhalten. Mein Hauptziel bei dieser Inszenierung ist, dass sie superlustig wird“, findet die Regisseurin klare Worte. Klingt nach einem für die Bezirke maßgeschneiderten Theaterabend. Womit wir irgendwie wieder beim „Schneiderlein“ wären, das noch bis 6. Jänner im Dschungel zu sehen ist.