„Das Spitzentuch der Königin“: Pretty Patina
Okarina Peter und Timo Dentler sind Geschichtenerzähler. Die international erfolgreichen Bühnenbildner zaubern aktuell im Theater an der Wien eine sinnlich-flirrende Ästhetik, deren visuelle Strahlkraft der musikalischen um nichts nachsteht.
Der König frisst. Die Königin ist angefressen. Der machtgeile Premierminister versucht, das schöne Portugal an Spanien zu verscherbeln. Und ein ironiebegabter Dichter – Cervantes – leistet gewitzt Widerstand. 1880 erfolgreich im Theater an der Wien uraufgeführt, geriet Johann Strauss‘ Operette „Das Spitzentuch der Königin“ auch deshalb in Vergessenheit, weil es als Kritik am österreichischen Hof verstanden wurde und nach dem Suizid von Thronfolger Rudolf folglich als unspielbar galt.
In der Regie von Christian Thausing erlebt das weithin unbekannte Werk im Jubiläumsjahr des Komponisten nun eine originelle Reinkarnation. Dynamisch wie ein Strauss-Walzer präsentiert sich auch die bis ins kleinste Detail kongruente Ausstattung, für die Okarina Peter und Timo Dentler verantwortlich zeichnen.
Die beruflich wie privat duettierenden Bühnenbild- und Kostümkünstler haben ein farbenprächtiges Utopia auf die Bühne gestellt, dass einem das Sehen sicher nicht vergeht. Wiewohl beide an der Kunstakademie Düsseldorf studierten, lernten sie einander in Wien kennen. Und zwar 1997 im Rahmen der legendären Peter Zadek-Inszenierung von „Richard III.“, bei der sie assistierten. Mit Christian Thausing realisierten Okarina Peter und Timo Dentler bereits sehr erfolgreich „Anatevka“ und „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ in Graz – „Das Spitzentuch der Königin“ ist nun ihr Debüt im Theater an der Wien.
Magisches Karussell
Wie beinahe alle im Team haben auch sie bei der Anfrage zum ersten Mal von diesem Stück gehört. „Wir kannten es nicht, haben uns aber sofort dafür interessiert, weil es in Portugal angesiedelt ist, wo wir einen kleinen Wohnsitz haben“, erzählt Timo Dentler. „Es spielt zwar in Portugal, meint aber die Habsburgermonarchie“, ergänzt Okarina Peter. „Also haben auch wir nach einer Metapher gesucht zum Walzer als Discoschlager und zu all den Figuren, die selbstverliebt der Zeit entrinnen, wobei sie sich vor allem um sich selbst drehen.“ Und weil sie bei ihrer Recherche noch dazu darauf stießen, dass einst auch im Wurstelprater eine satirische Variante des Stoffs das Volk belustigte, kamen sie schnell auf das Ringelspiel als perfektes zentrales Bühnenelement. „Uns war wichtig, dass dieses auch mit dem Zuschauerraum korrespondiert, weshalb wir diesen im Modell dazu gebaut haben“, so Timo Dentler. Die große Party soll sich anstandslos auf das Publikum übertragen. Ein Karussell hat zudem den Vorteil, dass man so auch mühelos Requisiten wie eine Kutsche oder einen Esel auf die Bühne bringen kann, indem man diese als Elemente einbaut und im Kreis fahren lässt. Und natürlich gibt es auch einen Vogel Strauß …
„Das Ganze ist aus Stahl gebaut und hat elf Meter im Durchmesser. Als Dach dient ein Spitzentuch, das wir in Portugal gefunden und im Maßstab 1:25 vergrößern haben lassen. Unter dem Karussell, das sich natürlich dreht und in dessen Mittelteil ein Zylinder eingebaut wurde, mit dem man auch gegensteuern kann, befindet sich eine Drehbühne. Auch das Dach hat einen Motor und lässt sich noch einmal separat drehen. Dadurch entsteht ein unglaubliches Wirrwarr, das den ekstatischen Klängen des Walzers entspricht. Insgesamt ist es von Anfang bis zum Ende ein Fest der Sinnlichkeit“, fährt Timo Dentler fort. In einem szenischen Vorgang, der die Zuschauer staunend zurücklässt, hebt sich das Spitzentuch-Dach innerhalb von 90 Sekunden und verwandelt das Karussell in eine Windmühle. Allein, um den dafür notwendigen Kran zu stabilisieren, werden hinter der Bühne sechs Tonnen schwere Gewichte benötigt.
Abgerissene Ästhetik
Okarina Peter und Timo Dentler erzählen leidenschaftlich von den Vorbereitungen für diese außergewöhnliche Bühne, die sie in ihrem Atelier in Berlin entworfen haben. „Wir denken generell sehr stark in Bildern und sind besessen von Geschichten. In diesem Fall hat uns auch die Musik sehr inspiriert“, meint Okarina Peter. „Unsere Antriebsquellen sind Spaß und Neugierde. Jede Arbeit muss auch eine Herausforderung sein. Wenn das nicht gegeben ist, können wir es auch gleich sein lassen.“
Bühne und Kostüm sehen sie als Einheit, weshalb sie bei einer Produktion auch immer beides gestalten. In diesem Fall sind es etwa 75 komplette Outfits, die es zu bewerkstelligen galt. 60 allein für den Chor, dazu sechs für die Hauptdarsteller*innen und sieben für das Tanzensemble, das mit unterschiedlichen Tierköpfen auftritt. Wo kommen all diese Kostüme her? Okarina Peter lacht: „Das ist eine Kombination aus Anfertigungen, die nach unseren Entwürfen entstanden sind, und Stücken aus dem Fundus. Wir haben vor allem bei Lambert Hofer, wo man uns wirklich Tür und Tor geöffnet hat, Glück gehabt. Dort wurde gerade eine Ladung an ramponierten Spitzenschirmen für die Entsorgung in Kartons gepackt. Exakt solche, wie wir sie gebraucht haben. Das war eine Offenbarung. Wir haben nichts repariert, sondern lediglich so gesichert, dass die Darsteller*innen gut damit arbeiten können. Alles, auch die Kostüme, hat eine Patina, zum Teil haben wir die Stoffe sogar dahingehend bearbeitet.“ So entstand ein märchenhafter morbider Charme für den temperamentvollen ¾-Takt auf dem szenischen Vulkan. Wobei die Symbolik glasklar ist: An diesem Königshof geht gerade alles den Bach hinunter.
Unterschiedliche Biografien
Timo Dentler entstammt einer süddeutschen Künstlerfamilie, die ein kleines, aber bedeutendes Zimmertheater betrieb. „Als Kind bin ich auch aufgetreten und habe zum Beispiel in ‚Warten auf Godot‘ den kleinen Jungen gespielt. Über Bühnenbilder wurde nicht groß nachgedacht, aber als mich mein Vater zum ersten Mal in die Oper mitgenommen hat, bin ich regelrecht erstarrt vor Begeisterung. Kurze Zeit später habe ich den Beruf des Bühnenbildners für mich entdeckt, weil er von Malerei über Kostümentwurf bis hin zur Lichtgestaltung so vieles beinhaltet. Und ich habe die Freude daran bis heute nicht verloren.“
Bei Okarina Peter stand die Liebe zur Malerei ganz am Anfang. „Mir wurde aber relativ bald klar, dass ich unbedingt mit Menschen im Team arbeiten wollte und nicht als freie Künstlerin, also habe ich eine Ausbildung im Malersaal erwogen. Dort bin ich dann auf Bühnenbildner gestoßen, die mit ihren zum Teil nur postkartengroßen Entwürfen und Modellen ankamen. Da wusste ich, dass ich das auch machen wollte: Mitgestalten, kommunizieren und beobachten, wie aus einer Miniatur etwas Großes entsteht.“
Welche Voraussetzungen sollte ein angehender Bühnenbildner generell mitbringen? „Wenn ich retrospektiv darüber nachdenke, ist uns im Laufe der Zeit klar geworden, dass man vor allem sehr reisefreudig sein muss“, erzählt Timo Dentler schmunzelnd. „Der Beruf verlangt einem unglaublich viel ab“, stimmt Okarina Peter zu, „man ist freiberuflich im besten Fall an verschiedenen Häusern tätig, hat die letzte Premiere gerade hinter sich, steht mit einem Bein in der aktuellen und mit dem anderen schon in den Vorbereitungen der nächsten Produktion. Das muss man mögen und konditionell aushalten können. Der Beruf erfordert dramaturgisches Denken, man muss sich intensiv mit der literarischen Vorlage beschäftigen und vor allem im Musiktheater überlegen, wohin die Reise bildlich gehen soll. Wir lieben es, mit Metaphern zu arbeiten und denken die Übersetzung der ‚Theatermaschine‘ von Anfang an komplett mit.“
Eine Arbeitsteilung im strengeren Sinn hat das Duo Peter/Dentler nicht. Das Gesamtkonzept und die Entwürfe entstehen in Gemeinschaftsproduktion. Erst bei der Arbeit vor Ort müsse man sich aufteilen, weil sich sonst die vielen Besprechungen mit den Werkstätten und unterschiedlichen Proben zeitlich gar nicht ausgingen. In der Regel arbeiten Okarina Peter und Timo Dentler zwei Jahre an einem Bühnen- und Kostümbild. Dabei müssen sie ständig Einzelentscheidungen treffen, sich mit dem Regieteam absprechen und als sprachliche Brücke zwischen den Gewerken fungieren. „Kompromisse gehen sich da nicht aus“, meinen beide unisono. „Wir müssen bis zum Schluss für unsere Idee brennen. Wenn wir da über Mittelwege nachdenken müssten, hätten wir nicht den langen Atem, um uns monatelang damit befassen zu können.“ Aber, und auch das ist klar, Theater bedeutet immer Teamarbeit, was in den Absichten und Ideen größtmögliche Schnittmengen beinhaltet. Damit es so spektakulär und stimmig wird wie „Das Spitzentuch der Königin“.
Das Spitzentuch der Königin
Christian Thausing (Regie)
Martynas Stakionis (Musikalische Leitung)
Wiener KammerOrchester
Arnold Schoenberg Chor
U.a. mit Diana Haller, Elissa Huber, Maximilian Mayer, Michael Laurenz
Bis 28.1.2025 im Theater an der Wien
theater-wien.at