Das ist eine Probe, keine Könne!
Von Wien und ihrer neuen Arbeitsstätte sei sie mit offenen Armen empfangen worden, sagt Ines Marie Westernströer. Als Schauspielerin möchte sie wiederum das Scheitern umarmen. Und alles ausprobieren dürfen – auch, das Tartuffehafte in der Rolle der vermeintlich naiven Mariane zu finden.
„Das ist eine Probe, keine Könne“ ist ein Satz, den Schauspielerin Ines Marie Westernströer gemeinsam mit vielen anderen Dingen von Köln nach Wien übersiedelt hat. Während es das ein oder andere Küchenutensil vielleicht noch nicht an seinen neuen Platz geschafft hat (pure Vermutung), hatte Westernströer ebenjenen Satz mit großer Wahrscheinlichkeit stets griffbereit – und vermutlich auch sofort parat, als sie sich auf den Weg zu ihren ersten Proben als Ensemblemitglied des Burgtheaters machte. „Probieren heißt, dass es noch nicht darum geht, alles zu wissen, sondern darum, mit möglichst großer Offenheit hineinzugehen“, wird sie etwas später im Interview sagen.
Als wir uns Ende November in der Kantine des Akademietheaters treffen, probt die gebürtige Bochumerin gerade „Der Tartuffe“ mit Barbara Frey. Einige Vorstellungen der aus Köln übernommenen Inszenierung des Rainald-Götz-Romans „Johann Holtrop“ liegen ebenfalls bereits hinter ihr. „Langsam bekomme ich einen Überblick darüber, wo was ist“, sagt sie lachend. „Bis ich alle gesellschaftlichen Codes durchschaut habe, wird es aber noch ein bisschen dauern.“
Intensive Begegnung
Es ist ihr erstes berufliches Zusammentreffen mit Barbara Frey, erzählt die Schauspielerin. Und damit auch ihr erstes Eintauchen in die hoch konzentriert Atmosphäre, die die Schweizer Regisseurin auf ihren Proben entstehen lässt.
„Barbara Frey ist eine ungemein präzise Regisseurin. Sie seziert diesen Text ganz genau, wir sehen uns auch an, was zwischen den Zeilen steht. Ich empfinde das als großes Geschenk, gleichzeitig ist es eine Herausforderung, weil man beim Proben direkt merkt, wenn etwas nicht stimmt. Diese Arbeitsweise erfordert eine unglaubliche Gedankenschärfe.“
Durch ihre Art, rund um das Stück einen Kosmos entstehen zu lassen, der auch weit in die bildende Kunst und in die Musik hineinreicht, gelinge es Barbara Frey zudem sehr gut, dass alle
an der Produktion beteiligten Menschen am Gleichen dran sind, hält sie daran anknüpfend fest. „Es ist wie eine Partitur.“
Ines Marie Westernströer spielt Mariane, die den titelgebenden Tartuffe heiraten soll. Jedenfalls wenn es nach ihrem Vater Orgon geht, denn dieser ist dem Betrüger mit Haut und Haar verfallen. „In unserer Probenarbeit untersuchen wir gerade alle Figuren darauf, wie viel Tartuffe in jeder von ihnen steckt.
Selbst Mariane, die als sehr naiv beschrieben wird, trägt manipulatives Potenzial in sich – ihre Passivität setzt sie ganz gezielt ein“, beschreibt die Schauspielerin ihre Rolle. Im Probenprozess suche sie gerade genau danach, merkt sie mit einer Klarheit an, die sich durch unser gesamtes Gespräch ziehen wird. Wenn man ihr zuhört, drängt sich der Gedanke auf, dass Ines Marie Westernströer vermutlich schon als Kind keine Lust auf Zierzeilen hatte.
Viel zu schnörkellos sind die Sätze, die sie im Interview abfeuert. Bei aller Unaufgeregtheit bleibt ihr Blick aber stets offen, so, als würde sie alles aufsaugen, was sich gerade an ihrem neuen Lebensmittelpunkt abspielt.
Bereichernde Umwege
Darum, authentisch und glaubhaft zu sein, gehe es für sie auch in ihrem Beruf, erklärt sie. „Mein Anspruch ist schon, die Menschen im Publikum zu berühren. Ob das immer gelingt, sei dahingestellt, aber den Versuch gibt es für mich immer." Das war vermutlich auch bei Frank Castorf der Fall, den Ines Marie Westernströer erwähnt, als wir sie nach ihren prägendsten Theaterbegegnungen fragen. „Er hat definitiv die Grenzen, die ich zu haben dachte, erweitert“, so die Schauspielerin, die sich, wie sie hinzufügt, auf der Bühne gerne verausgabt. „Castorfs Theater ist Punk. Nach sechseinhalb Stunden waren wir alle komplett aufgelöst. Das war wunderschön.“
Wenn sie sagt, dass die Arbeiten des Berliner Theaterrabauken viel mit Punk zu tun hätten, weiß Ines Marie Westernströer ganz genau, wovon sie spricht. Nicht nur, weil sie bereits eine seiner poetisch-anarchischen Inszenierungen auf dem Buckel hat (in Köln spielte sie „Ein grüner Junge“), sondern auch, weil sie in ihrer Jugendzeit Punk war. Und sogar einmal weggetragen wurde, als sie auf Zuggleisen gegen ein rechtes Treffen demonstrierte.
Ihren Figuren nähere sie sich vor allem aus dem Bauch heraus, so die Schauspielerin. Und mit einer großen Lust am Ausprobieren. „Natürlich bin ich auch manchmal gefrustet, wenn ich auf einer Probe viele Umwege gegangen bin. Aber im besten Fall ist es so, dass diese Umwege die Figur anreichern. Lustvoll zu scheitern, ist für mich ein wichtiger Teil von Theater.“
Lustvoll zu scheitern, ist für mich ein wichtiger Teil von Theater.
Ines Marie Westernströer, Schauspielerin
Dass sie Lust darauf hat, nach Wien und ans Burgtheater zu wechseln, war ihr sehr schnell klar. „Es ist eine große Ehre, hier zu spielen, und auch ein bisschen einschüchternd, weil es so ein traditionsreicher Riesenbau ist. Gleichzeitig merkt man sehr schnell, dass es einfach auch nur ein Theater ist. Allerdings eines, das mit Menschen bevölkert ist, die ihr Theater wirklich lieben. Diese Liebe – verbunden mit einer großen Disziplin und Ernsthaftigkeit – ist in allen Abteilungen spürbar. Das finde ich schon außergewöhnlich.“
Wir machen uns auf den Weg. Am nächsten Tag steht eine weitere Probe – keine Könne! – auf dem Programm. Ein weiterer Versuch, das Tartuffehafte aus Mariane herauszukitzeln. Eine Sache möchte die Schauspielerin aber noch loswerden. Nämlich, dass am Premierentag des „Tartuffe“ auch ihr neuer „Tatort“ erstausgestrahlt wird. „Es ist noch dazu jene Folge, in der meine Figur in den Fokus gerückt wird“, sagt sie lachend.
Wer möchte, kann schon versuchen, Ines Marie Westernströer am Abend des 26. Jänner zu entkommen. Aber warum sollte man das als schauspielbegeisterter Mensch überhaupt wollen?