Ausflug nach Irrwitz
In Erich Wolfgang Korngolds musiktheatralischem Mirakel „Die stumme Serenade“ entspinnt sich zwischen Revolution und Laufsteg eine jazzige Operettenkomödie.
„Bei anderen Operetten muss man die Pointen oft suchen.“ Hier indes seien sie reichlich vorhanden und wohlgesetzt. Jasmina Sakr weiß genau, was sie an Korngolds 1954 uraufgeführtem und dann 69 Jahre lang beinahe vergesse- nem Spätwerk schätzt. „Die Musik ist wunderbar vielfältig, die Dialoge sind wirklich gut. Ich kannte das Stück nicht und konnte, nachdem ich mich damit auseinandergesetzt hatte, nicht verstehen, warum es so lange nicht gespielt wurde.“
Die anfänglich im Musical erfolgreiche Sängerin, die nach einer klassischen Gesangsausbildung nun im Opernfach reüssiert, spielt die exzentrische Silvia Lombardi, Verlobte des von Stefano Bernardin dargestellten neapolitanischen Ministerpräsidenten Benedetto Lugarini und Angebetete des Modeschöpfers Andrea Coclé, den der niederländische Bariton Peter Bording zu mondänem Leben erweckt.
„Bei Korngold denkt man zuerst an eine große symphonische Oper“, attestiert Jenifer Lary, im Stück eine ob ihrer französischen Wurzeln amourös eher abgeklärte Probierdame im Modesalon des verliebten Couturiers. „Aber nein, es ist ein kammermusikalisches Stück, was ich nach eingehender Beschäftigung damit sehr reizvoll finde. Betrachtet man es als Operette, ist es für mich noch interessanter, wobei man es auch als Musical definieren könnte.“ Könnte man?
Zur Person: Das Stück
Alban Bergs Oper „Lulu“, vor deren Fertigstellung er starb, entstand nach zwei Tragödien von Frank Wedekind. Sie behandelt das fatale Leben Lulus, ihre Beziehungen – im Zentrum Dr. Schön –, Aufstieg und Fall all ihrer Männer sowie ihren eigenen Absturz. Im MusikTheater an der Wien werden in Koproduktion mit den Wiener Festwochen die zwei von Berg vollendeten Akte, ergänzt um Teile der „Lulu“-Suite, gezeigt.
Ingo Martin Stadtmüller, musikalischer Leiter des ambitionierten Unterfangens einer österreichischen Erstaufführung, sollte exakt Auskunft geben können über die Genreeinordnung.„Das Wunderbare an der ‚Stummen Serenade‘ ist, dass man genau das nicht so richtig sagen kann. Es ist natürlich viel Operette der 1920er-Jahre dabei, auch ein bisschen Musical und gleichzeitig genau der Opernsound, den man aus den großen Opern von Korngold kennt.“ Dazu jazzige Elemente und Melodien mit Schlagerambitionen.„Eine Herausforderung ist es, genau diese verschiedenen Stile zusammenzubringen und in einem stimmigen Gesamtklang zusammenzufügen.“
Der beschriebene Stilmix sei, so der Dirigent, auch einer der Gründe, warum das humorvoll hintergründige Werk in Vergessenheit geriet. „Das Stück hat in keine Schublade gepasst, gleichzeitig orientierte sich die Operette der 1950er- Jahre mehr am Heimatfilm. Die Tradition der 1920er-Jahre, aus der die ‚Stumme Serenade‘ eher kommt, war nicht mehr gefragt.“
Fast eine Neuentdeckung
Das dürfte sich nun grundlegend ändern, findet auch Regisseur Dirk Schmeding. „Korngold beschwört in seiner Musik eine vergangene Zeit herauf: die 1920er- und 1930er-Jahre des 20. Jahrhunderts, die ja interessanterweise auch in anderen Medien derzeit eine große Renaissance erleben. Eine Zeit immenser politischer Umbrüche, welche die Kunst aber zu wahren Funkenflügen animiert hat. Vielleicht sind wir diesem Stil heute wieder näher und stellen uns erneut ähnliche Fragen.“ Er sei jedenfalls angetan von diesem „irrwitzig gut geschriebenen Stück, dessen Vitalität total ansteckend wirkt“.
Worin besteht also die Intention seiner Inszenierung? „Korngold schrieb ‚Die stumme Serenade‘ in den späten 1940ern für den Broadway, und aus diesem kleinen Stück spricht für mich die große Sehnsucht eines höchst erfolgreichen Filmkomponisten, endlich wieder für die Bühne schreiben zu dürfen. Dieses ‚Bühnenheimweh‘ merkt man in jedem Takt, und dem wollten wir auch szenisch Raum geben. Wir versuchen, dieses Werk anzuwürzen, hier und da etwas zu entstauben, die grotesken Momente zu stärken und auch mit den Mitteln der amerikanischen Revue die schnellen Umschwünge zu bedienen. Wenn es uns gelingt, wird es hoffentlich ein spritziger Rausschmeißer am Ende der ersten Saison des neuen MusikTheaters an der Wien.“
Heimischer Sound
Mit Jasmina Sakr, Jenifer Lary, Paul Schweinester, Stefano Bernardin oder Reinwald Kranner stehen vor allem österreichische Sänger*innen und Schauspieler*innen auf der Bühne. Hat das einen bestimmten Grund? „Seit ihren Anfängen lebt die Operette auch von Lokalgrößen, ihren ‚Stars‘, den Darsteller*innen, die mehr auf die Bühne bringen als nur ihre Rollenbiografie. Die Castingdirektion am MusikTheater an der Wien hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet und ein wunderbares Ensemble zusammengestellt, in dem aber auch die ‚Frischlinge‘, drei Studierende der MUK und des Performing Center Austria, nicht unerwähnt bleiben dürfen“, erklärt Regisseur Dirk Schmeding. Sie allesamt seien die besten szenischen Anwälte für „Die stumme Serenade“.
Zur Person: Jasmina Sakr
Die Wienerin schloss ihr Gesangs- und Schauspielstudium am Konservatorium mit Auszeichnung ab. Nach vielen Jahren im Bereich Musical vertiefte sie ihre klassische Gesangs- ausbildung und konzentriert sich nun vorrangig auf Oper und Operette. Bisher zu sehen u. a. am Münchner Gärtner- platztheater, an der Opéra de Lyon, der Volksoper Wien, der Staatsoper Hamburg und der Komischen Oper Berlin.
Die gesanglichen Herausforderungen des inhaltlich ständig Haken schlagenden Stücks sind wahrlich nicht zu unterschätzen. Aber ist es für Opernsängerinnen nicht auch eine willkommene Abwechslung, einmal andere Töne, zum Beispiel jazzige, anschlagen zu dürfen? „Ich habe meine Wurzeln auch in anderen Genres“, so Jasmina Sakr, „und schöpfe daraus bei manchen Stücken enorm. Sei es die Körperlichkeit, da mich der Tanz sehr geprägt hat, sei es die Art, wie man an Dialoge herangeht. Mir macht es Spaß, hier andere Töne zu finden, als man es von klassischen Sängern erwarten würde. Das ist auch völlig legitim, sonst hätte der Komponist es nicht so notiert.“
Stefano Bernardin, der Allesmacher
Die Galleria dell’Accademia, das Orchester Braunschweig und das Theater der Jugend haben gemeinsam einen Film gemacht. In der Rolle der David-Statue: Stefano Bernardin. Nicht nackt. Weiterlesen...
Kollegin Jenifer Lary geht es ähnlich, wiewohl sie direkt vom Opernfach kommt. „Aber ich liebe Operette und singe sie sehr gerne. Sie ist so vielfältig und erlebt zum Glück gerade eine Renaissance. Ich mag auch das Wienerlied und bin generell ein Fan der Variationsbreite. Müsste ich die ganze Zeit nur das große italienische Fach singen, würde ich wahnsinnig werden. Meine Stimme braucht Abwechslung, von der Operette bis hin zu ‚Lulu‘ ist alles drinnen.“
Was die beiden trotz unterschiedlicher Vita verbindet, ist das junge Alter, in dem ihr beruflicher Werdegang angelegt wurde. Jenifer Lary war schon mit neun Jahren als eines von drei Mädchen bei den Schubert-Sängerknaben – „und ich habe mit elf Jahren behauptet, dass ich Opernsängerin werde, ohne genau zu wissen, was das überhaupt ist“. Exakt so kam es dann auch. Jasmina Sakr wiederum spielte in der Schulband, sang in einer Big Band und war früh Mitglied einer Kinder-Musical-Company. „Bei uns zu Hause war jede Art von Musik präsent, Mozart genauso wie Dave Brubeck. Das hat mein Ohr und mein musikalisches Verständnis geprägt.“
Zur Person: Jenifer Lary
Die Laufbahn der gebürtigen Wienerin begann mit 9 Jahren bei den Schubert- Sängerknaben. Mit 13 wurde sie in Linz zum Basisstudium an der Anton Bruckner Privatuniversität zu- gelassen, ihr Diplom machte sie mit Auszeichnung an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Zu den bisherigen Stationen der Sopranistin mit Liebe zur Operette und zum Wienerlied zählen die Volksoper Wien, die Bregenzer Festspiele und das Theater Heidelberg.
Apropos Klangtoleranz. Wie wirkt sich der intime Rahmen der Kammeroper auf die Arbeit des musikalischen Leiters aus? Ingo Martin Stadtmüller:
„Ich glaube, dass der Saal für ‚Die stumme Serenade‘ perfekt ist. Groß genug, dass sich ein Klang entfalten kann, und trotzdem nicht zu groß, sodass es sich auch lohnt, die vielen kammermusikalischen Nuancen herauszuarbeiten.“ Man darf über das Gehörte ruhig staunen.