„Sure, why not“, lautete die Antwort von John Malkovich, als ihn der österreichische Dirigent und Organist Martin Haselböck bei einem Abendessen in Los Angeles nach einem gemeinsamen Projekt fragte. Haselböck brachte wiederum Michael Sturminger ins Spiel, der ein Stück verfasste, das sich der amerikanische Ausnahmeschauspieler überstülpte wie einen maßgeschneiderten Pullover. „The Infernal Comedy“ entstand, der Rest ist Geschichte – und zwar eine, auf die Michael Sturminger zu Recht sehr stolz ist und die, so der Autor, Theatermacher und Opernregisseur, auch noch nicht zu Ende erzählt ist. Für den gebürtigen Wiener geht es zunächst jedoch nach Salzburg, wo er seine dritte Neuinszenierung des „Jedermann“ auf den Domplatz zaubert.

Anzeige
Anzeige

2017 legte er, mit Tobias Moretti in der titelgebenden Hauptrolle und Stefanie Reinsperger als Buhlschaft, sein „Jedermann“-Debüt hin. „Wir hatten damals weniger als vier Wochen Zeit, um ein Konzept zu erstellen und Werkstattabgaben zu machen“, erzählt er lachend. Wir sitzen im Café Sperl in der Gumpendorfer Straße, draußen feiern die Eisheiligen eine viel zu frühe Party. Es regnet und stürmt, einer der Kellner kommentiert – wenn auch unbewusst – die über der Stadt liegende Dunkelheit mit der Verabschiedungsformel „einen schönen Abend noch“. Um 12.30 Uhr.

Eros und Thanatos

Das alles kann Michael Sturminger seine gute Laune und Gelassenheit nicht nehmen. Und das ist gut so, denn Letztere braucht er vor allem in Salzburg im Übermaß. „Sure, why not“ als Lebenseinstellung scheint auch für seine Art, an die Dinge heranzugehen, absolut passend zu sein. Selbst wenn im Festspieltrubel Fragen und Kommentare auf ihn einprasseln, bleibt er – im Auge des Wirbelsturms – ganz ruhig. Nun aber genug der Wettermetaphorik, die keinesfalls als Prognose für die am 21. Juli beginnenden Festspiele verstanden werden soll, und hin zum „Jedermann“, der in diesem Jahr zum ersten Mal von Michael Maertens verkörpert wird. Valerie Pachner spielt die Buhlschaft und den Tod. „Damit erzählen wir eine völlig andere Geschichte“, hält Michael Sturminger fest. „Wir haben dadurch die Möglichkeit, zu zeigen, wie untrennbar Eros und Thanatos miteinander verbunden sind.“

Zudem verändere diese Setzung die Beziehung zwischen den beiden Figuren so sehr, dass sich Michael Maertens und Valerie Pachner den Vergleichen mit früheren Darsteller*innen in geringerem Ausmaß stellen müssen. „Mit jeder neuen Besetzung wird eine andere Erzählweise möglich. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, Michi Maertens in die rote Badehose von Lars Eidinger zu stecken oder Lars als jenen Managertypen zu inszenieren, den Tobias Moretti damals verkörperte. Für mich geht es beim Regieführen auch darum, zu begreifen, was mich an den Spieler*innen interessiert, und das dann zum Blühen zu bringen“, bringt er es auf den Punkt.

Ich empfinde es als Geschenk, einen so tiefgefrorenen Theatertext auftauen zu dürfen. Es gibt ja kaum Stücke, die noch nicht aus jeder Richtung abgeklopft wurden. Wir werden also auch in diesem Jahr viel ausprobieren.

Michael Sturminger

Frisch aufgetaut

Was immer gleich bleibt, ist Michael Sturmingers Bestreben, das Stück ins Heute zu holen. Was den Reiz daran ausmache, sich nun zum dritten Mal auf so intensive Weise mit dem Stoff zu beschäftigen? „Es ist toll, jedes Mal aufs Neue alles infrage stellen zu können und darüber nachdenken zu dürfen, was noch alles in dem Stück steckt. Vieles passiert intuitiv. Ich lese das Stück und stelle mir Michi dabei als Jedermann vor. Das bedeutet aber keinesfalls, dass ich sofort alles weiß, denn viele Dinge entstehen natürlich erst in der Probenarbeit.“

Anzeige
Anzeige

Aber auch Themen, die ihn aktuell beschäftigen, spielen eine große Rolle. „Gerade frage ich mich, warum so absurd reiche Menschen wie Elon Musk die Welt aufgeben. Warum sie so viel Geld in die Entwicklung von Raumschiffen stecken, während es doch darum gehen sollte, die Erde gar nicht erst verlassen zu müssen. Die neue Inszenierung wird das widerspiegeln.“ Schön fände er, wenn das Stück dadurch auch näher an die Lebensrealität jüngerer Menschen heranrückt. „Ich empfinde es als Geschenk, einen so tiefgefrorenen Theatertext auftauen zu dürfen. Es gibt ja kaum Stücke, die noch nicht aus jeder Richtung abgeklopft wurden. Wir werden also auch in diesem Jahr viel ausprobieren. Ich halte es für essenziell, dass das Theater lebt und nicht an der Herz-Lungen-Maschine hängt.“

Wie staunende Kinder

Der Mut, Neues auszuprobieren, im besten Sinn der Phrase zu „schauen, was passiert“, kennzeichnet auch das Opernprojekt „Their Master’s Voice“, das im Juli 2024 in der Wiener Staatsoper zur Aufführung kommt. Der Abend entsteht in Zusammenarbeit mit der von Cecilia Bartoli geleiteten Opéra de Monte-Carlo. Gemeinsam mit John Malkovich wird die gefeierte Mezzosopranistin auch auf der Bühne stehen. „Es ist ein Experiment, das noch voll im Laufen ist“, so der Regisseur.

Wenn er über Cecilia Bartoli spricht, gerät er ins Schwärmen: „Es ist ihr gelungen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ich bewundere alle Menschen, die es schaffen, sich einen Platz im Kunst- und Kulturbetrieb zu erkämpfen, der es ihnen ermöglicht, ihre Kunst so zu machen, wie sie sich das vorstellen.“ Außerdem kenne er kaum eine andere Sängerin, die die Freude an der Musik auf solch besondere Weise auf ihr Publikum übertragen könne. „Die Menschen verlassen ihre Konzerte mit offenen Mündern – wie staunende Kinder.“ In der Arbeit selbst, die Teil des Gastspiels „Barocchissimo“ ist, gehe es um Selbstermächtigung – vor allem in Hinblick auf Geschlechterrollen.“ Bleibt nur noch eines zu sagen: Sure, why not.

Jedermann Michael Sturminger

Foto: Ingo Pertramer