Angelika Hager über den Bühnenabschied von Otto Schenk
Otto Schenk hätte kurz nach seinem 91. Geburtstag seine unwiderruflich letzte Theatervorstellung geben sollen. Daraus wurde nichts. Das gibt Anlass zur Wehmut.
„Ich will mich ein bisschen hinlegen … keine Kraft mehr in den Knochen …Ach, du Nichtsnutz!“ Mit diesen Sätzen hätte Ende Juni eine der spannendsten, inhaltsreichsten, vielfältigsten, besessensten und produktivsten Bühnenbiografien dieses Landes ins „Paradies der Erinnerungen“ ( Jean Paul) verfrachtet werden müssen. Wenn für jemand die Gattung des Publikumslieblings erfunden wurde, dann war es Otto Schenk.
Eine treffsicherere Rolle als die des 87-jährigen Lakaien Firs, der durch Tschechows „Kirschgarten“ und einen Haufen Exzentriker und Modernisierungsverlierer stolpert und immer wieder die alten, goldenen Zeiten heraufbeschwört, ehe er sich zum Sterben „ein bisschen“ niederlegt, hätte sich Otto Schenk für seinen letzten Bühnenauftritt in „seinem“ Theater in der Josefstadt nicht aussuchen können. „Ein reicheres, erfüllteres Theaterleben kann ich mir nicht vorstellen“, zieht Michael Heltau, der sich schon länger verabschiedet hat, aus der Ferne den Hut.
Keine Ehrenrunde mehr in der Josefstadt
„In seiner unglaublichen Klugheit“ (Sona MacDonald, die die wirklichkeitsverweigernde Ranjewskaja spielt) habe der Schenk bei der ORF-Aufzeichnung im vergangenen März die Sterbeszene als erste gespielt: „Er wusste, dass das die Stelle ist, die ihm die meiste kreative Kraft abverlangt.“
„Sterben kann ich ja noch“, soll er danach freudig festgestellt haben. Im Juni hätte Schenk mit dem „Kirschgarten“ in der Josefstadt noch eine Ehrenrunde drehen sollen. Aber er entschied, dass die ORF-Aufzeichnung die letzte Vorstellung bleiben sollte.
Spiellust seiner Protagonisten getriggert
Wie halbherzig sich „der Otti“ davor zur Wehr setzen musste, als der „Kirschgarten“ plötzlich im Juni wieder mehrfach auf dem Spielplan erschienen ist, bleibt Theatergeheimnis. „Wahrscheinlich lief es so, wie Goethe es schon einmal ähnlich beschrieben hat: Halb zogen sie ihn, halb sank er hin“, erzählt Brigitte Sinhuber, die im Part der Verlegerin und Anekdoten-Animateurin Schenk acht Bücher mit Theatergeschichten (allesamt Bestseller) aus den Rippen gezogen hat.
Eines davon trug den hochgradig originellen Titel „Warum mir so fad ist“, denn die Fadesse, so hatte der Meister in einer TV-Dokumentation selbst angemerkt, sei ihm immer eine elementare Kraft gewesen, Neues auszuprobieren, weiterzumachen und seiner Spiellibido immer neue Richtungen zu geben. Auch als originärer und weltweit gefragter Opernregisseur versuchte er immer wieder, die Spiellust seiner Protagonisten zu triggern. „Die Gundula Janowitz sagte“, erzählt Madame Sinhuber, „der Otti kann jeden Holzstuhl zum Spielen bringen.“
Herbert Föttinger begann bei Direktor Schenk
„Ich fürchte, Otto Schenk ist alt genug, um selbst entscheiden zu können, wann er aufhört“, sagt sein Direktor Herbert Föttinger. Seine Achse zu dem „theatralen Universalgenie“ hat eine starke emotionale Komponente: Sein Josefstadt-Debüt beging Föttinger als Strizzi Alfred 1994 in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ mit dem damaligen Direktor Otto Schenk als Zauberkönig und Petra Morzé als Marianne: „Er hat mich genauestens beobachtet und dem ‚Burschi‘, wie er mich nannte, einen Zweijahresvertrag gegeben – und zwar vor der Premiere. Ein bisschen wie ein Mafiaboss. Er wusste um die Kraft eines guten Ensembles und dass Künstler eine Adresse in einer Stadt brauchen.“
Otto Schenk: Für jede Schublade viel zu groß
Solche Menschen wie den Schenk, die für jede Schublade viel zu groß sind und so „eine solistische Sonderstellung haben“, wird es möglicherweise nie wieder geben. Und jetzt ist der Schenk „ein Aufhörer“, wie er selbst sagt. Das „Kirschgarten“-Ensemble kann es noch immer nicht glauben. „Er sagte uns immer, wie glücklich ihn das macht, mit so vielen jungen, begabten Menschen auf der Bühne stehen zu können“, erzählt Alma Hasun. „Ich werde ihn extrem vermissen. Auch seine Witze. Er liebte Witze über das Furzen. Die hat er mir auf der Seitenbühne oft während der Vorstellung erzählt. Für den Firs hat er eine echte Fantasiesprache entwickelt, die russisch klang und die er immer so vor sich hin murmelte.“
Was sie von ihm gelernt hat: „Er hat mir schon in Schnitzlers ‚Liebelei‘, wo er meinen Vater gespielt hat, eingebläut: ‚Du darfst nicht warten, bis das Gefühl, das deine Figur gerade braucht, kommt. Du musst es herstellen können, sonst bist du verloren.‘“ Und der zweite große Spielrat aus der „Otti“-Weisheitstruhe: „Ein Problem zu haben“ sei immer günstig – in der Liebe, mit der Familie, im Job, egal. Denn nur wenn man ein Problem mit auf die Bretter nehmen könne, sei man auch in der Lage, „ein Geheimnis“ beim Spielen zu tragen. „Es gibt keinen falschen Ton von Otto Schenk, er ist ein Bauchmensch, ein Zauberer des Moments“, so Sona MacDonald. „Und immer auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit gewesen“, ergänzt Petra Morzé.
Otto Schenk und das Bühnen-Gen
Ob er heute noch die gleiche Freude am Auftreten habe wie früher, fragt die Heesters-Witwe Simone Rethel Schenk in ihrem Buch über das Altern. Seine Antwort: „Insofern die gleiche, als ich nie eine große Freude hatte. Ich habe immer eine große Genauigkeitssucht gehabt (…) und war nahezu emsig beschäftigt mit der Wahrhaftigkeitssuche. Ich habe in meinem Leben nahezu immer theatralisch gedacht.“
So müde er manchmal im Leben wirken kann, so unwahrscheinlich war, ist Schenks Verwandlung, „wenn der Lappen hochgeht“. Ich sah ihn einmal vor einer Vorstellung sitzen: grau, endlos erschöpft; besorgt blickende Sanitäter machten sich mit Blutdruckmessgeräten an ihm zu schaffen. Eine Viertelstunde später stand er auf der Bühne und wirkte wie in Drachenblut gebadet. Dieses Bühnen-Gen! Es war ein GeSCHENK. Danke!
Zur Person: Angelika Hager
Sie leitet das Gesellschaftsresssort beim Nachrichtenmagazin „profil“. Sie ist die Frau hinter dem Kolumnen-Pseudonym Polly Adler im „Kurier“. Hager gestaltet das Theaterfestival Schwimmender Salon im Thermalbad Vöslau (Niederösterreich).
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