Miriam Kutrowatz: Ein Wirbelwind erobert die Bühnen der Opernwelt
Sopranistin Miriam Kutrowatz ist seit Herbst im jungen Ensemble am Theater an der Wien. Die Bühne hat mit ihr über Mozarts Liebe für Stimmen, das disziplinierte Leben einer Sängerin und wie sie sich den Druck „wegshaket“ gesprochen.
Miriam Kutrowatz, dieser Name fehlt zurzeit in keiner Liste über Nachwuchshoffnungen der Opernwelt. Die 23-jährige Sopranistin hat erst im vergangenen Herbst an der Universität für Musik und Darstellende Kunst ihr Studium abgeschlossen, wurde aber gleich anschließend in das junge Ensemble am Theater an der Wien, kurz JETs genannt, engagiert.
Hat man die junge Wienerin einmal live gehört, verwundern die Lorbeeren der Kritiker nicht: Miriam Kutrowatz Stimme überrascht mit einer Ausgefeiltheit und Reife. Präzise und klar, und dennoch immer samtweich. In der Kammeroper konnte man sich im Herbst davon überzeugen: In Antonio Vivaldis „Bajazet“ sang sie den Idaspe - eine Hosenrolle, die Vivaldi für einen Soprankastraten kreiert hat. Nun steht der selten gespielte „Giasone“ von Francesco Cavalli am Programm und Kutrowatz übernimmt die Rolle der Alinda. Erste Probeneindrücke machen neugierig auf die Barockoper, die in einem modernen, luftigen Bühnenbild und mit raffinierten Kostümen, die barocke und futuristische Elemente verschmelzen lassen, umgesetzt wurde.
Zwischen Disziplin und Freude
„Ich habe mir eigentlich nie vorstellen können, nichts mit Musik zu machen“, sagt sie der BÜHNE. Die erste Sologesangsstunde hatte sie aber erst mit 17 Jahren, als Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung an der Universität. Die Entscheidung für das Singen war wohlüberlegt, erzählt sie: „Mir war klar, dass man nicht einfach so Sängerin werden kann. Das ist etwas, das man hart erarbeiten muss und viel Disziplin verlangt.“
Dieses Wissen nimmt sie aus ihrer Familie mit: Ihr Vater ist Pianist und Komponist Eduard Kutrowatz, der gemeinsam mit seinem Bruder Johannes das Liszt Festival Raiding leitet. Mutter Eva Reicher-Kutrowatz singt im „Arnold Schoenberg Chor“. Dabei hat sie die „Berufung“ in die Musik zu gehen aber nie als Belastung vermittelt bekommen, ergänzt sie: „Bei meinem Vater habe ich erlebt, dass ein Konzert nichts Stressiges und Verkrampftes sein muss, sondern etwas sehr Schönes sein kann. Aber halt auch ein Job.“
Und in diesem Job überzeugt Miriam Kutrowatz: So war sie bereits Finalistin und Nachwuchspreisträgerin beim Cesti-Wettbewerb für Barockoper 2019. Im Juli 2020 debütierte sie bei der Styriarte und sang die Zerlina in einer halbkonzertanten Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ unter Andrés Orosco Estrada auf Weltklasseniveau. Und sie arbeitete mit Erwin Ortner und Philippe Jordan für Aufführungen im Konzerthaus zusammen. Gegen die Nervosität solch hochkarätig besetzter Abende sang sie schon sehr früh an und gab ab dem ersten Studienjahr – ermutigt durch ihre Gesangslehrerin Edith Lienbacher – Konzerte.
Verrauchte Partys tabu
Was es bedeutet, wenn Miriam Kutrowatz von harter Arbeit spricht, zeigt ein Blick in ihren Studienalltag: Montag bis Freitag standen Tanz, Schauspiel, Sprache auf dem Stundenplan. „Die Gesangsstunde war dann praktisch das einfachste“, sagt Kutrowatz und lacht. Wie ging sie mit dem Druck um? „Es ist eine Belastung für den Kopf, dass man immer schauen muss, dass man gesund ist“, sagt sie. Verrauchte Studentenpartys waren also nicht drin. Genügend Schlaf ist essentiell. „Und es gab auch Phasen in meiner Unizeit, in denen ich schon um halb acht dort war und schon zwei Stunden geübt habe, bevor der Unterricht losgegangen ist. Und dann abends noch einmal. Das geht aber auch nicht immer. Man muss lernen, gut auf sich zu hören. Manchmal ist es besonders wichtig, Kondition aufzubauen. Und in manchen Phasen muss man gar nicht so viele Stunden singen, sondern klug üben.“
Freiheit im Tanz gefunden
Fit hält sie sich mit Yoga und mit ihrer zweiten großen Leidenschaft, dem Tanz. „Singen ist natürlich schon körperlich. Es ist eine sehr fein abgestimmte Arbeit, ab und zu tut es dann gut, alles wieder ‚rauszushaken' und wieder Freiheit reinzubekommen. Ich glaube, das ist auch super für die Bühne, wenn man sich die Hemmungen wegtanzen kann“, sagt Kutrowatz.
Die Sopranistin beschreibt sich selbst als „eher introvertiert“, durch das Tanzen habe sie einen Weg gefunden, sich schnell in neuen Situation wohlzufühlen. Mit dem Impulstanz-Projekt „Unkraut“, das Doris Uhlich choreographiert hat, wären mehrere Auftritte geplant gewesen. Auch hier machte Corona – vorerst – einen Strich durch die Rechnung.
Prickelnde Energie auf Pause
Die Pausetaste ist nun auch im jungen Ensemble des Theater an der Wien gedrückt. Aus 572 Bewerberinnen und Bewerbern aus 56 Ländern wurden die sechs herausragendsten Nachwuchstalente ausgewählt. Neben Miriam Kutrowatz sind das Sopranistin Valentina Petraeva, Mezzosopranistin Sofia Vinnik, Tenor Andrew Morstein, Bariton Sebastià Peris und den Bass Ivan Zinoviev.
Das internationale Grüppchen war schnell zusammengeschweißt. „Man öffnet sich viel schneller und kommt sich rasch näher. Mit der Stimme zieht man sich quasi gleich voreinander aus“, sagt Miriam Kutrowatz und lacht wieder. „Und jeder tigert darauf, das endlich machen zu dürfen. Es entsteht dadurch eine prickelnde und elektrische Energie. Ich habe das Gefühl, es trägt sich jeder gegenseitig.“
In „Giasone“ war der Funken auch gleich entzündet. In der Kammeroper arbeiten oftmals junge Regisseure, bei „Bajazet" war es der Pole Krystian Lada, bei „Giasone“ ist es nun Georg Zlabinger. Ein frischer Wind weht durch die barocke Oper. „Die Giasone-Energien warten darauf, endlich losstarten zu können“, sagt Kutrowatz.
Oper in die eigene Realität zurückholen
Dieser junge Schwung, sich die Opernstoffe neu anzueignen, wie verändert er das Selbstverständnis junger Opernsängerinnen? „Ich versuche den Verbindungspunkt mit mir zu finden. Was hat die Rolle von der heutigen Miri? Wo überschneiden wir uns im Charakter, im Handeln, was verstehe ich besonders gut. Das spinne ich weiter, das ist mein Ausgangspunkt. So kann ich die Rollen auch in meinen Kontext bringen.“ Das sei aber mittlerweile schon viel selbstverständlicher und man wird ermutigt den Charakter auf der Bühne auf eine heutige Ebene zu heben. Dadurch ergibt sich zudem eine Chance für das Publikum: Die meist universellen Opernstoffe werden entstaubt und es ist wieder Platz für die Urfunktion der Oper: Die großen Gefühle.
Mozarts Liebe für Stimmen
Apropos große Emotionen: Für ihre Traumrollen muss Miriam Kutrowatz nicht lange überlegen: Es sind Susanna aus „Le Nozze di Figaro“ und Pamina aus der „Zauberflöte“. Mozart also? „Man spürt, dass er Stimmen geliebt hat. Es gibt so wunderschöne Sopranrollen. Er muss wirklich tolle Leute um sich gehabt haben, für die er diese Arien, Melodien und Ensembles geschrieben hat. Man spürt, dass er für die Stimme komponiert hat. Alles ist ganz klar und transparent. Und mir kommt vor: Wenn man es einmal hat, dann gehört es einem. Dann ist es im Körper und das Geschmeidigste was man machen kann.“
Noch heißt es durchhalten, bis die JETs wieder zeigen dürfen, was sie können. „Es geht an die Substanz, wenn man das Gefühl hat, dass die Kultur links liegen gelassen wird. Aus Angst, sich etwas zu trauen, wir der Bereich gerade fast totgeschwiegen“, sagt Kutrowatz. Und ergänzt: „Jammern braucht man sowieso nicht. Aber wenn man Kunstschaffende ist, will man halt Kunst schaffen. Ich freue mich einfach, wenn ich das nächste Mal so einen richtigen Proben-Stress habe und mich frage, wann ich überhaupt zum Schlafen komme.“
Weitere Infos: Das Junge Ensemble am Theater an der Wien
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