Wer lacht, hat noch Kraft
Ein Stück über harte Militärschikanen und den ersten Sex – geht das? Geht. Neil Simons „Biloxi Blues“ feiert Premiere im Theater der Jugend. Außerdem: das Geheimnis einer guten Komödie.
Den Oscar hat er nie gekriegt. Aber ein Theater in New York, an der 52. Straße, ist nach ihm benannt. Er schrieb über 30 Bühnenstücke und ebenso viele Drehbücher und schaffte es als einziger Schriftsteller, dass am Broadway gleich vier seiner Komödien parallel liefen: Komödien-König Neil Simon (1927– 2018). Er ist der Mann hinter Hits wie „Ein seltsames Paar“, „Barfuß im Park“ und „Die Sunny Boys“. Übrigens, wer sich noch erinnert: ein furioses Schauspiel-Duett für Gert Voss und Ignaz Kirchner am Akademietheater. Das war 2003.
Jössas, wie die Zeit vergeht ...
Neil Simons Hit-Werk scheint wie geschaffen dafür, Spielpläne blitzschnell zu verarzten und für volle Häuser zu sorgen. Anna Badora hat es 2016 gemacht und kurzfristig die „Brooklyn Memoiren“ am Volkstheater eingeschoben. Ein Glücksfall. Am Theater der Jugend musste die Eigenproduktion „Johanna, Gotteskriegerin“ aktuell verschoben werden. Man griff in die Zauberlade – und holte Neil Simons „Biloxi Blues“ hervor.
Der Inhalt, kurz gefasst: Eugene Jerome wird 1943 zur Grundausbildung nach Biloxi, Mississippi, geschickt, erlebt dort nicht nur die Schikanen seines Ausbildners Toomey, sondern auch sein erstes Mal. Das Stück ist der Mittelteil von Neil Simons „Eugene-Trilogie“, einer Reihe von halb autobiografischen Werken.
Idee: Steven Spielberg
Neil Simon über die Entstehungsgeschichte: „Nach ‚Brighton Beach‘, dem Stück davor, meldete sich Steven Spielberg bei mir und schlug vor, das nächste Stück solle von meiner Zeit in der Armee handeln. Ich dachte bereits darüber nach und begann, ‚Biloxi Blues‘ zu schreiben. Dabei habe ich etwas sehr Wichtiges entdeckt: Eugene, der ein Tagebuch führt, schreibt darin seine Überzeugung, dass Epstein, ein Freund, homosexuell ist. Als die anderen Jungs in der Kaserne das Tagebuch lesen und annehmen, dass es wahr ist, fühlt sich Eugene schrecklich schuldig. Er ist sich der Verantwortung bewusst, die es bedeutet, etwas zu Papier zu bringen, denn die Leute neigen dazu, alles zu glauben, was sie lesen.“
Komödie braucht: Wahrhaftigkeit, Timing, Ausstrahlung und Leichtigkeit bei absoluter Glaubwürdigkeit.
Folke Braband, Regisseur
Als Bühnenstück erfolgreich, wurde es vier Jahre nach der Premiere, 1988, mit Matthew Broderick (Eugene) und Christopher Walken (Ausbildner Toomey) verfilmt. Bis heute schwärmt Hollywood-Legende Walken über Neil Simon: „Er ist ein Meister, der Charaktere nicht nur schwarz oder weiß zeichnet. Für jemanden wie mich, der meistens Schurken spielt, war es interessant, plötzlich jemanden zu spielen, der – auch – onkelhaft ist. Sergeants in Hollywoodfilmen neigen dazu, immer zu schreien, aber er war ein sanftmütiger Mann, der sehr nett zu uns war. Unser Regisseur damals hatte ihn aus gutem Grund ausgewählt: Er sollte eine andere Art von Drill-Sergeant zeigen. Ich habe diese Abwechslung geliebt.“
Viele Argumente, ins Renaissancetheater zu gehen. Ein weiterer ist Regisseur Folke Braband. Seine Inszenierung von „Das perfekte Geheimnis“ in den Kammerspielen ist ein Hit. Wir trafen Braband, der bereits 2009 den ersten Teil der Neil-Simon-Trilogie im Theater der Jugend inszeniert hatte, nach einer Probe Anfang März zum Gespräch.
Wie passt das Stück in die Zeit?
Es werden viele Fragen aufgeworfen: Wie verhalte ich mich bei Dominanz? Wie gehe ich mit Autorität um? Die Zuschauer können sich fragen: Welche der Figuren da oben auf der Bühne bin ich? Der Mitläufer? Bin ich der, der zuschaut, oder bin ich der, der – entschuldigen Sie den Ausdruck – die cojones hat, sich zu widersetzen? Es geht um totalitäre Systeme, Machtwillkür und das Ausgeliefertsein an Menschen, die einen tyrannisieren.
Wie sehr interessiert das Thema 13-Jährige überhaupt?
„BiloxiBlues“ ist nicht nur eine aufregende Abenteuerstory, die zeigt, dass das Militär kein Ponyhof ist, eine Geschichte, die sich nicht nur mit Themen wie Gruppendynamik, Verhalten in einem totalitären System und existenziellen Fragen über Leben und Tod beschäftigt, sondern auch eine Coming-of-Age-Geschichte über das berühmte „erste Mal“ und die erste große Liebe – durchaus relevante Themen für 13-Jährige von heute. Überhaupt glaube ich, dass 13-Jährige heutzutage in bestimmten Dingen sehr viel weiter sind als noch vor einigen Jahren. Durch das Internet kennen sie schon sehr viel mehr, als Eltern manchmal lieb ist. Egal ob für 13- oder 103-Jährige – es gilt für uns Theatermacher, dass wir gute Geschichten erzählen – spannend, unterhaltsam, ebenso witzig wie traurig – und dabei Menschen auf die Bühne stellen, die uns berühren.
Wie inszeniert man eine Komödie?
Indem du das Stück ernst nimmst. Du musst es spielen, wie du ein Drama spielst. Du musst als Schauspieler in die Sprache beißen, du darfst nicht leiern, sondern du musst die Sprache sehr direkt sprechen, den Text binden, und man muss Pausen im richtigen Moment zulassen. Komödie wird leider oft als leichte Muse abgetan und hat immer noch den Ruf, nicht das Niveau des sogenannten „ernsthaften“ Theaters zu haben – dabei ist das Gegenteil der Fall. Um ein guter Komödiant zu sein, musst du ein kompletter Schauspieler, eine komplette Schauspielerin sein und umso mehr dein Handwerk beherrschen. Wahrhaftigkeit, Timing , Musikalität, perfekte Technik, Ausstrahlung und Leichtigkeit bei absoluter Glaubwürdigkeit deiner Figur machen einen perfekten Komödianten, eine perfekte Darstellerin aus. Eine Komödie, die die Situation, die Geschichte und ihre Figuren nicht ernst nimmt, funktioniert nicht.
Wie geht die richtige Pause?
Man muss mit dem Publikum zusammen atmen. Wenn du eine Pointe setzt und das Publikum lacht, dann warte den Lacher ab, aber nicht zu lange, sondern zwinge sie auch dazu, mit dem Lachen aufzuhören, weil du ja weiterspielen musst.
Können Sie uns das mit der Pause an einem Beispiel erklären?
Wir haben in dem Stück eine Szene mit Sergeant Toomey. Alle Soldaten stehen in einer Reihe. Am Anfang der Szene macht Sergeant Toomey einmal gar nichts, und dann nimmt er langsam Tempo auf. Bei dieser Stelle habe ich dem Kollegen gesagt: Pass auf, dass du die Texte so verbindest, dass das nicht auseinanderfällt. Wir müssen mit Tempoverschiebungen arbeiten und vor allem mit Haltungsverschiebungen, sodass sich das Publikum in dem einen Moment denkt: Oh, der ist ein lieber Sergeant, und im nächsten Moment: O Gott! – Dafür braucht es Schauspieler, die virtuos die Klaviatur beherrschen.
Was ist, wenn das Publikum nicht mitgeht?
Schwierig. Man darf auf keinen Fall versuchen, sich die Lacher zu holen, denn das funktioniert nicht, und dann entsteht auf der Bühne Panik. Aus solchen Situationen kommt man nur mit ganz viel Erfahrung raus. Es gibt einfach Vorstellungen und Abende, an denen es nicht zündet. Man darf sich auch einer Pointe nicht zu sicher sein, denn dann erkennt das Publikum meist die Absicht und ist verstimmt ...
Neil Simon ist ein Meister, der Zwischentöne. Es war schön, nicht nur der Bösewicht zu sein.
Christopher Walken, Hollywoodlegende
Es gibt gerade im Komödienfach Schauspieler*innen, die, wenn Gags nicht zünden, das Publikum direkt anspielen.
Mit dem Publikum zu kokettieren und sich den Lacher zu holen, das ist nicht das, was mir gefällt – aber es funktioniert. Das können nur wenige Schauspieler, die holen sich ihr Publikum. Wenn sie ein schwaches Stück haben, dann machen sie Conference mit dem Publikum. Und die Leute finden das ganz toll, weil sie eben das Gefühl haben, dass der Hauptdarsteller, die Hauptdarstellerin ganz viel Kontakt mit ihnen persönlich hat. Die vierte Wand auf diese Weise zu durch brechen ist nicht so meins. (Lacht.)
Hat Komödien zu inszenieren etwas mit Dirigieren zu tun?
Ich merke schon, dass ich offenbar ziemlich nahe am Dirigenten bin. (Lacht.) Ich weiß ziemlich genau, wie ich den Text hören möchte. Das ist manchmal nicht ganz leicht, weil ich die Kolleg*innen nicht in ein Korsett stecken, sondern diese ihren eigenen Atem finden lassen möchte. Aber ich mache viele Textproben – in der Hoffnung, dass sie selber merken, an welcher Stelle sie das Tempo verschärfen müssen oder wo es Pausen braucht. Das ist Erfahrungssache.
Was ist überhaupt Witz?
Egal ob eine gesetzte Pointe, eine spitze Bemerkung oder die Torte im Gesicht: Ein Witz ist immer eine kleine Flucht aus der Realität, der Konvention, der Normalität. Eine Grenzüberschreitung, der oft überlebenswichtige Versuch, mit der „Norm“ oder einer Notsituationen umzugehen. Bei „Biloxi Blues“ ist es der Humor, mit dem die Erzählerfigur versucht, dem Druck in der Armee, der Angst vor dem Krieg und seinen jugendlichen Nöten zu begegnen. Neil Simon ist ein typischer Vertreter für den jüdischen Humor, schreckliche Dinge durch Witz aushalten zu können.
Sie sind Fußballfan. Was hat Theater mit Fußball gemeinsam?
Es geht um die Freude am Spielen, am Auspowern und natürlich am Gewinnen. Beides hat den Auftrag, unbedingt unterhaltsam und spannend zu sein und niemals zu langweilen! Auch ein Theaterabend sollte nicht länger als 90 Minuten dauern – und wenn, dann nur mit einer dramatischen Verlängerung und einem packenden Elfmeterschießen. Frei nach Gary Lineker: Elf Freunde müsst ihr sein – im Falle von „Biloxi Blues“ acht Freunde –, das Runde muss ins Eckige – die Pointen serviert und die Geschichte erzählt –, und am Ende gewinnen die Deutschen. Spätestens seit der Niederlage gilt diese Aussage nur bedingt.
Hat man manchmal Angst vor dem Publikum?
Ich habe keine Angst vor dem Theaterpublikum – ich freue mich über jede einzelne Theaterbesucherin, jeden einzelnen Theaterbesucher. Ohne Publikum gibt es kein Theater. Vor allem keine Komödie. Das ist spätestens seit der Pandemie schwieriger geworden, und mag in Österreich – speziell in einer Theaterstadt wie Wien – vielleicht noch nicht so ein Thema sein wie in Deutschland, aber auch hier gilt: Wir müssen das Publikum mit guten Geschichten unterhalten, bewegen, fesseln. Denn nur mit dem gemeinsamen Atem zwischen Bühne und Rampe entsteht lebendiges Theater.