In guten wie in schlechten Zeiten
In den Siebzigerjahren sorgte Ingmar Bergmans Film „Szenen einer Ehe“ für leere Straßen und volle Scheidungskanzleien. Für den schwedischen Künstler Markus Öhrn ist die Geschichte Startpunkt einer weiteren bildstarken Auseinandersetzung mit patriarchalen Machtstrukturen.
Als die TV-Fassung von „Szenen einer Ehe“ im Jahr 1973 erstmals ausgestrahlt wurde, bekam man auf den Straßen Schwedens nur vereinzelt Menschen zu Gesicht. Warum sich kaum jemand der Strahlkraft der von Ingmar Bergman erdachten Geschichte rund um ein verheiratetes Paar, das die klassischen Höhen und Tiefen einer Ehe durchlebt, entziehen konnte, ist bis heute Gegenstand filmtheoretischer Auseinandersetzungen. Angeblich löste Bergmans Sechsteiler, der zwei Jahre später in gekürzter Form auch im Kino zu sehen war, sogar eine Scheidungswelle aus. Der 1972 in Schweden geborene Künstler Markus Öhrn bekam von alldem damals noch nichts mit.
Spannend seien diese Dinge dennoch, erklärt Öhrn, der „Szenen einer Ehe“ gerade für das Volkstheater bearbeitet. Der große Erfolg der Serie und ihrer Kinofassung sei, so der Künstler und Regisseur, nämlich unter anderem darauf zurückzuführen, dass den Zuschauer*innen die Dialoge zwischen den beiden Hauptfiguren wie direkt aus dem Leben gegriffen vorkamen. Fast so, als bekäme man den Spannungsbogen der eigenen Beziehung vor Augen geführt.
Aus Vertrauen wächst Spielfreude
Markus Öhrn, der für seine formal strengen, überzeichneten, manchmal fast karikaturistisch anmutenden Theaterarbeiten bekannt ist, reicht es nicht, nur das Leben beim Schopf zu packen. Ihm schwebt ein anderer Zugriff vor. Mit psychologischem Realismus hat er, wie er im Interview erklärt, nämlich ganz und gar nichts am Hut. „Ich möchte einen Schritt weitergehen und zu darunterliegenden Strukturen vordringen. Deshalb arbeite ich auch häufig mit Masken, verzerrten Stimmen und sich wiederholenden Dialogen“, erklärt der Wahl-Berliner.
Wie in vielen seiner Arbeiten geht es Markus Öhrn auch bei seinem neuesten Projekt darum, Macht- und Gewaltstrukturen innerhalb patriarchaler Systeme aufzuzeigen. Lösungsvorschläge anzubieten, liegt ihm jedoch fern, vielmehr möchte er bestehende Probleme schonungslos und in all ihrer Dringlichkeit freilegen. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die meine Stücke sehen, über sich selbst und ihre Privilegien nachzudenken beginnen“, hält er fest.
In der Zusammenarbeit mit Schauspieler*innen ist ihm Vertrauen in die Sache wichtig. Im Idealfall entsteht daraus eine Art Spielwiese, die zunächst der Suche nach einer gemeinsamen Sprache dient. „Meistens beginne ich mit den Spieler*innen gleich an einer Szene zu arbeiten und Dinge auszuprobieren“, so Öhrn, der als bildender Künstler eher zufällig in die Theaterwelt hineinrutschte.
Der Erfolg seiner ersten Theaterarbeit, des Stücks „Conte d’Amour“ über Josef Fritzl, kam auch für ihn überraschend. „Es dauerte ein paar Jahre, bis ich wirklich verstanden habe, was ich da eigentlich tue. Wenn man so einen Hit landet, kann es schnell passieren, dass man sich selbst verliert. Mittlerweile weiß ich aber, was ich will und kann. Und auch was ich nicht kann“, findet Markus Öhrn klare Worte. Eine ähnliche Form der Selbstreflexion würde er sich auch von seinem Publikum wünschen. „Wie uns das mit diesem Stück gelingt, werden wir sehen“, sagt Markus Öhrn und lacht ein Lachen, das so viel sagt wie: In diesem Stück kann so ziemlich alles passieren.
Zur Person: Markus Öhrn
Der gebürtige Schwede ist bildender Künstler und Regisseur. 2008 schloss er sein Studium an der schwedischen Kunsthochschule Konstfack in Stockholm mit einem Master in Fine Arts ab. Sein erstes Stück „Conte d’Amour“ wurde zu zahlreichen Festivals eingeladen. Für seine Arbeit „3 Episodes of Life“ gewann er 2019 den NESTROY-Preis.