Simmering. An einem warmen Spätsommertag. Treffpunkt mit dem südafrikanischen Regisseur Matthew Wild und dem britischen Dirigenten Wayne Marshall ist das Restaurant am Sportplatz Ostbahn XI. Sie werden George Gershwins Porgy and Bess im Theater an der Wien inszenieren. Am staubigen Parkplatz dahinter werden die letzten Flohmarktstände vom Vormittag abgebaut. Gerade eben wurde verlautbart, dass die ­Republik Österreich keine Kinder aus dem Flüchtlingslager Moria aufzuneh­men gedenkt. Vor kurzem hat die Inte­grationsministerin vor Parallelgesellschaften gewarnt, vor „Little Italy“ oder „Chinatown“ in Wien. Die Kellnerin trägt Kopftuch. 

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Wir thematisieren diese weltweite Ungerechtigkeit, dass talentierte Menschen, die vielleicht als Doktoren, Anwälte, Unternehmer gearbeitet haben, als Flüchtlinge plötzlich von der Wirtschaft ausgeschlossen sind.

Matthew Wild

Seit einigen Tagen proben Wild und Marshall Gershwins „Porgy and Bess“, ein paar Schritte entfernt, auf der ­Probebühne des Theaters an der Wien. George Gershwins einzige Oper spielt im Original kurz nach Abschaffung der Sklaverei in der Catfish Row in Charleston, South Carolina. Hier leben die Outlaws – Schwarze, Bettler, Kriminelle. Der verkrüppelte Porgy nimmt Bess auf, nachdem ihr Lover Crown flüchten musste. Es entspinnt sich eine Beziehung zwischen dem ungleichen Paar, doch Bess holt ihre Vergangenheit – der brutale Crown und die Drogen – ein. Sie geht nach New York. Porgy folgt ihr nach.

Catfish Row wird Gemeinschaft von Flüchtlingen

„Little Charleston“ in Wien? „Unsere Produktion spielt im Heute. Die Catfish Row wurde zu einem Ort für eine diverse, multinationale, multireligiöse Gemeinschaft von Flüchtlingen“, erzählt Matthew Wild. „Wir sind irgendwo in Europa, am Rand einer Großstadt. Wir sehen entwurzelte Menschen ohne Arbeitserlaubnis, die mit wenigen Möglichkeiten versuchen, Geld zu verdienen. Wir thematisieren diese weltweite Ungerechtigkeit, dass talentierte Menschen, die vielleicht als Doktoren, Anwälte, Unternehmer gearbeitet haben, als Flüchtlinge plötzlich von der Wirtschaft ausgeschlossen sind.“

Musik als Motor

Viele der Themen in Gershwins 1935 uraufgeführter Oper sind zeitlos: Gewalt, Rassendiskriminierung, Drogen. Doch Wild setzt vor allem auf eine südafrikanische Tradition, möchte „die Stärke dieser Gemeinschaft, die zusammenhält, einander hilft, zeigen. Das wird immer stark betont, wenn man ‚Porgy and Bess‘ in Südafrika spielt. Die Hauptauf­gabe von Theater und Oper ist für mich, Empathie zu erzeugen.“ Motor dafür ist Gershwins Musik. Das Werk sei eher Musical, wird mitunter behauptet. Verknüpft mit der Frage: Wie schwarz kann ein Weißer komponieren? 

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Für Wayne Marshall ist klar: „Es ist tatsächlich die amerikanische Oper. Ein Meisterwerk. Gershwin ging nach Charleston, um die Kultur dort aufzusaugen. In ‚Porgy‘ hört man so ­viele Dinge – Jazz, Gospel, sogar Rap und auch Gershwins jüdische Identität.“

Reiche Chortradition in Südafrika

Marshall hatte das Glück, bereits bei einigen Produktionen mitzuwirken, auch in der legendären im Glyndebourne Opera House, die 1986 unter Simon Rattle her­auskam: „Wir haben acht Wochen geprobt. Man konnte jede Note genau studieren. Gershwin war so sehr von verschiedenen Stilen, Kulturen beeinflusst und wusste das alles in sein Opus magnum einzubauen.“

Matthew Wild ist seit 2015 künstlerischer Leiter der Cape Town Opera, des einzigen südafrikanischen Opernhauses, das ganzjährig spielt. Berühmt ist es besonders für den Chor. Er hätte auch in Wien singen sollen. Aufgrund der Pandemie durften jetzt allerdings nur sieben Mitglieder reisen, der Rest wurde in Europa gecastet.

Südafrika ist reich an tollen Stimmen: Pretty Yende und Golda Schultz etwa oder einer der Wiener Porgys, ­Simon Shibambu. Einer der Gründe ist für Wild die reiche Gesangs- und Chortradition. Bis zum Ende der Apartheid war Oper in Südafrika ausschließlich weiß, seither sucht und entdeckt man große Talente im ganzen Land. Ein Star wie Pretty Yende hat natürlich enorme ­Vorbildwirkung. 

Wir müssen einfach toleranter sein. Wir sind alle gleich, alle Menschen.

Wayne Marshall

Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat wegen rassistisch motivierter Gewalt zuletzt weltweit große Aufmerksamkeit bekommen. Aber wie selbstverständlich sind heute schwarze Musiker im Klassikbetrieb? „Meine Eltern kamen aus Barbados. Sie haben nie unsere Hautfarbe zum Thema gemacht, uns nie spüren lassen, dass wir anders wären“, sagt Wayne Marshall. „Daher ist es für mich immer eigenartig, darüber zu sprechen. Natürlich ist mir die Problematik bewusst. Es ist vielleicht ein ­wenig naiv, aber so bin ich aufgewachsen. Mein Vater wäre sicher böse, wenn ich das politisch thematisieren würde. Wir müssen einfach toleranter sein. Wir sind alle gleich, alle Menschen.“

Karten und Termine: „Porgy and Bess“

ab 14. Oktober, 19 Uhr, im Theater an der Wien
theater-wien.at