Keine Scheinwelt.

Lisette Oropesa ist, das muss gleich eingangs betont werden, eine humorbegabte, geradlinige Frau, die sich in ihren Antworten auch selbst nicht schont. Ihr weltweiter Erfolg beruht neben Talent und Disziplin auf Ehrlichkeit, aus der sie dann die nötigen Schlüsse zieht. Das Publikum schätzt sie zudem für ihre Intelligenz, die sich in genauer Rollengestaltung niederschlägt. Zum Zeitpunkt des via Zoom geführten Interviews befindet sie sich in Madrid.

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An der Wiener Staatsoper wurde die US-Sopranistin letzten Herbst als Violetta in Verdis „La traviata“ gefeiert – nun gibt sie im März ihr Rollendebüt als Habsburger-Prinzessin Mathilde in Gioachino Rossinis allerletzter Oper „Guillaume Tell“. Diese handelt, basierend auf Friedrich Schillers Schauspiel, vom Befreiungskampf der Schweizer unter Wilhelm Tell, dem die Liebe zwischen dem Eidgenossen Arnold und der dem feindlichen Lager zugehörigen Mathilde zum Opfer zu fallen droht.

Kam die Rolle zu ihr oder hat sie sich aktiv darum bemüht? „Beides. Ich war schon länger an ‚Guillaume Tell‘ interessiert, auch deshalb, weil ich Mathildes Arie ‚Sombre forêt‘ für mein Album ‚Rossini & Donizetti‘ aufgenommen hatte. Ich habe aber auch meinem Management klar gesagt, dass ich gerne die gesamte Rolle singen würde, sollte sich die Gelegenheit dazu ergeben.“

An der Wiener Staatsoper ist es nun so weit. Die Inszenierung von David Pountney aus dem Jahr 1998 wurde seit beinahe 20 Jahren nicht mehr gezeigt. Der britische Regisseur sorgte bei der Premiere durchaus für Kontroversen, nicht zuletzt auch deshalb, weil er Rossinis Grand opéra einer radikalen Diät unterzogen hatte. „In der Partitur, die ich bekommen habe, kommt Mathilde im zweiten Teil gar nicht vor“,erklärt Lisette Oropesa auf die Frage, wie sie ihre Figur denn charakterisiere. „Vielleicht sollten wir in drei Wochen, wenn die Proben bereits im Gange sind, noch einmal darüber reden“, schlägt sie vor. „Man kann eine Rolle immer nur so gestalten, wie sich der Regisseur das vorstellt, und ich werde erst in Wien sehen, was man sich von mir erwartet."

Verrückte Ansprüche

Klar sei aber, dass die Rolle eine musikalische Herausforderung darstelle. „Auch wenn Mathilde in der Geschichte eine Nebenfigur ist, hat sie auf der Bühne keinen einzigen leichten Moment. Ich habe viele Wochen hart daran gearbeitet, diese extrem schwierige Musik in meine Stimme zu integrieren. Ihr Part ist sehr lyrisch und hat wenig mit Belcanto zu tun. Mich erinnern die Melodien ein wenig an Giacomo Meyerbeer. Ihre zweite Arie ‚Pour notre amour‘ ist unglaublich dramatisch. Ich weiß nicht, für wen Rossini das geschrieben hat, aber die Koloraturen und die Geschwindigkeiten in seinen Metronom-Angaben sind verrückt. Man müsste dafür drei Stimmen haben, und ich weiß, dass die Bewältigung dieser Oper für mich eine große Challenge sein wird.“ Wer Lisette Oropesa schon einmal gehört hat, darf sich jetzt schon darauf freuen, mit wie viel Leidenschaft sie der anspruchsvollen Aufgabe begegnen wird.

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Zur Person: Lisette Oropesa

kam in New Orleans zur Welt, studierte Flöte und Gesang und startete ihre internationale Karriere mit 22 Jahren als Susanna in „Le nozze di Figaro“ an der Met. Zu ihren bedeutendsten Rollen zählen die Titelrollen in „Lucia di Lammermoor“, „Manon“ und „Rodelinda“, Violetta in „La traviata“, Ophélie in „Hamlet“, Marguerite in „Les Huguenots“, Adina in „L’elisir d’amore“ und Konstanze in „Die Entführung aus dem Serail“. Auch als Konzert- & Liedsängerin ist die Sopranistin weltweit erfolgreich.

Work-Life-Balance

Geboren in der Jazzstadt New Orleans, kam sie über ihre Mutter, eine ehemalige Sängerin, und ihren Großvater früh mit klassischer Musik in Berührung. „Ich habe viele Jahre lang Flöte gespielt und langsam auch meine Stimme entdeckt. Am College wurde mir dann bestätigt, dass ich singen sollte.“ Mit 22 Jahren startete sie ihre internationale Karriere als Susanna in „Le nozze di Figaro“ an der New Yorker Metropolitan Opera, später sang sie häufig die Konstanze in „Die Entführung aus dem Serail“.

„Ich würde also sagen, Mozart war meine solideste Grundlage.“ Ihre besten Auftritte in „Lucia di Lammermoor“ habe sie wahrscheinlich hinter sich, bekennt sie freimütig, da ihre Stimme schon immer auch eine gewisse Schwere gehabt habe und nicht dem klassischen Koloraturtypus entspreche. „Man muss immer sehen, wohin einen die Stimme trägt.“

Welche sind die größten Anforderungen in ihrem Beruf ? „Die nötige Disziplin. Man darf weder zu viel noch zu wenig arbeiten. Ich tendiere zu Ersterem und musste lernen, auch Nein sagen zu können. Wenn man das nicht kann, verliert man sein Leben. Man sieht seine Familie nicht mehr, man macht keinen Urlaub, man ist geplagt von Existenzängsten, man wird wie besessen. Jedes Mal, wenn ich krank geworden bin, dachte ich, die Welt geht unter.“

Zum Glück habe sie die nötige Balance gefunden. „Ich weiß, dass meine Stimme eine Gabe ist – auch wenn ich sehr selbstkritisch bin. Ich kann meine Stimme schätzen und freue mich, dass sie auch anderen gefällt. Viele Menschen wünschten sich, singen zu können, und ich kann es. Das ist ein Segen.“

Hier zu den Spielterminen von Guillaume Tell in der Wiener Staatsoper!