„Mondmilch trinken immer und jetzt“: Mit Humor und Milch gegen den Weltschmerz
Ein Gesellschaftsbarometer mit einem Schuss Humor: Das Gastspiel „Mondmilch trinken immer und jetzt. Dein Solarplexus ist mir egal“ verhandelt gesellschaftliche Themen so, dass man über sie lachen kann. Wir haben mit Schauspielerin Claudia Carus und Regisseur und Autor Josef Maria Krasanovsky kurz vor ihren Wien-Vorstellungen gesprochen.
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Foto: Anja Köhler
Es beginnt mit Milch, die man erwärmt. Dann eine Vanilleschote halbieren und ihr Mark auskratzen. In die Milch hineinwerfen. Honig einrühren, genauso wie Zimt, Muskat und andere Gewürze (bei Wunsch: Ashwagandha-Pulver). Alles mit dem Milchschäumer aufschäumen und abkühlen lassen. Fertig ist die Mondmilch, ein Mittel gegen den Weltschmerz.
Ein Mittel, das wie erfunden klingt?
Ist es auch. In „Mondmilch trinken immer und jetzt. Dein Solarplexus ist mir egal“, eine Koproduktion der Bregenzer Festspiele, Klagenfurter Ensemble und Theater Kosmos Bregenz, wird dieses Getränk für kurze Zeit Realität und kommt zum Einsatz – als Antwort auf die große Überforderung angesichts des Weltgeschehens.
Das Stück von Josef Maria Krasanovsky hat, nach Thomas Köck, Miruslava Svolikova und Bernd Studlar, den Autoren-Wettbewerb der Österreichischen Theaterallianz 2023 mit dem vorgegebenen Thema „Deal or no deal“ gewonnen. Nun tourt die Inszenierung durch ganz Österreich. In Wien kommt das Gastspiel am 21. und 22. Februar 2025 auf die Bühne des Schauspielhauses. Weitere Termine finden Sie hier.
Kurz vor ihren Wien-Vorstellungen haben wir Schauspielerin Claudia Carus und Regisseur und Autor Josef Maria Krasanovsky via Zoom zum Gespräch getroffen.
Denkmäler mit Respekt stürzen
Angelehnt ist das Stück an den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Doch wie inszeniert man eigentlich eine 200-jährige Oper neu?
Regisseur Josef Maria Krasanovsky kommt schnell auf den Punkt. „Man muss Denkmäler mit Respekt stürzen. Was mich an der Geschichte interessiert hat, ist, dass die Hauptfigur im Freischütz mit aller Kraft versucht, der Welt sein kleines Stückchen Glück abzutrotzen. Ganz persönlich, ganz egomanisch. Und wenn wir ehrlich sind, probieren wir das doch alle.“
Eine weitere Komponente, die ihn an der Oper gereizt hat, war die Bilderwelt der Romantik. „Wir haben wir versucht diese Welt, inszenatorisch ins Heute zu transferieren."
Claudia Carus fasst den Inhalt zusammen: „Im Stück geht es um die Flut all der gesellschaftsrelevanten Themen, die uns aktuell umtreiben und um die Ohren geworfen werden: durch die Medien und durch alles, was tagtäglich politisch und ökonomisch auf der Welt passiert.“ Sie überlegt kurz. „Da geht es zum Beispiel um Ressourcenverteilungen, ums Klima, aber auch um das menschliche Miteinander, dem Kollektiv und der Sinnsuche einzelner Individuen“, setzt sie nach.
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Foto: Anja Köhler
Zusammenarbeit statt zusammen allein
„Ich würde es eher als Gesellschaftsbarometer beschreiben“, holt Krasanovsky weiter aus, „es sind ein bisschen die Gespräche, die wir alle gerade in unseren Wohnzimmern führen. Man muss zu allem eine Meinung haben, man will sich als aufgeklärter Mensch stets korrekt verhalten, und, was jetzt korrekt ist.“ Daher war ihm ein neuer Zugang zur Thematik wichtig. „Mit einem riesigen Schuss Humor, mit Selbstironie und einem sehr zynischen Auge auf alle Prozesse, die gerade passieren. Man kann über die Dinge, die gerade passieren, in diesem Stück sehr lachen. Es ist kein Problemstück, es ist ein Benennungsstück.“
Regie führt niemand anderer als der in Salzburg geborene Autor selbst. Ob es dabei Herausforderungen gibt, sein eigenes Stück auf die Bühne zu bringen? Diese Frage verneint Krasanovsky entschieden.
„In dem Moment, wo ich das Stück als Regisseur in die Hand kriege, ist mir egal, wer das geschrieben hat. Wenn ich sehe, das funktioniert nicht auf der Bühne, dann bin ich da enorm uneitel, dann kann alles raus, was uns nicht in den Kram passt.“
Claudia Carus sieht das ähnlich. „Das Schöne an dieser Arbeit ist, dass es wirklich ein gemeinsamer Prozess war. Und, dass ich das wirklich so wunderbar finde, wie du (zu Krasanovsky, Anm.) deine Autoren-Persönlichkeit von der Regie-Persönlichkeit trennen kannst. Genauso haben wir als Team auch auf den Text geschaut. Das ist ein großer Schatz für Darsteller*innen, künstlerisch so zu arbeiten. Weil man sehr viel experimentiert, ausprobiert und immer wieder wegwirft und das macht sehr, sehr viel Freude."
Eine ausgewachsene Neurose auf der Bühne
Auf die Frage, ob das Stück einer inhaltlichen Stringenz folgt, findet Krasanovsky klare Worte. „Hinter der Frage steckt ja immer die Angst, ob man einen Abend versteht. Da soll mir einer einmal die Stringenz in einem Jelinek-Stück erklären. Dort haben wir uns drauf geeinigt, das Kopfchaos zu akzeptieren. Da ist das Chaos schon eine etablierte Form."
Schwer zu verstehen findet er die „Mondmilch“ daher nicht. „Dieses Stück ist von der Form her wie eine ausgewachsene Neurose, die wir alle in uns tragen. Bei allen ist diese Neurose unterschiedlich ausgebildet. Es gibt wahnsinnig sympathische Neurosen und dann gibt es weniger sympathische Neurosen. Herbert Kickl zum Beispiel.“
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Foto: Christian Ariel Heredia
Über das eigene Aussterben lachen
Und wie begegnen nun die einzelnen Figuren dem Weltschmerz? „Das Ganze passiert bei den Figuren über viele Fragen, über Verzweiflung, aber eben auch über sehr viel Humor. Selbst über die eigene ausweglose Situation“, so Carus.
„Wir haben zum Beispiel im Stück die Figur eines Kakapos (eine neuseeländische Papageien-Art), welche vom Aussterben bedroht ist. Diese Figur könnte man sehr tragisch anlegen, wird aber mit sehr viel Komik über die Rampe gespielt. Es macht etwas auf, wenn man den Themen statt mit Tragik mit Ironie begegnet“, findet die Schauspielerin.
„Wir leben ja stetig in einem völligen Gefühl der Widersprüche und daraus entsteht ja auch eine Dauerüberforderung", so Krasanovsky. „Wir alle empfinden ja Überforderung und Schmerz auf unterschiedlichsten Ebenen und das versucht das Stück auch zu vermitteln.“
Schmerz als universeller Treffpunkt also. „Es wird immer so getan, als gäbe es nur eine Ecke, in die man denken kann. Und es wird vergessen, dass dazwischen ja ganze Ozeane an Meinungen liegen, die überhaupt nicht klar zuordenbar sind. So ist es auch in ‚Mondmilch‘ ein bisschen.“ Die eben genannte Mondmilch soll daher ein Versuch einer positiven Droge sein, so der Regisseur.
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Foto: Anja Köhler
Die eigene Mondmilch
Sein eigenes Mittel gegen den Weltschmerz ist hingegen breit gefächert. „Von Laufen gehen bis hin zu einem Glas Friulano am Golf von Neapel“, sagt Krasanovsky mit einem Lachen.
Schauspielerin Claudia Carus sieht das ähnlich. Ihre „persönliche Mondmilch“ angesichts der Weltlage ist die Natur. „Einfach in den Wald zu gehen, um ein paar Stunden Ruhe zu haben. Und wirklich auch mal das Handy zu Hause wegzulegen.“
Und somit auch den Lärm, der damit verbunden ist, einfach mal draußen – oder auch im Wohnzimmer – zu lassen.