Die meisten Opfer hatte Italien zu beklagen. „Es gab nichts mehr, als Tote zu ­begraben“, berichtet ein Zeuge. Alleine in Florenz lag die Zahl vom Frühling bis zum Spätsommer höher, als man zuvor die der Gesamteinwohner angenommen hatte. Vom Lockdown waren nur die Kirchen ausgenommen, Ärzte und Lebensmittelhändler. Als die Krankheit zu Ende ging, war die Stadt am Arno um hunderttausend Menschen ärmer – ganz Europa um ein Drittel der Bevölkerung.

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Die Pest, die sich über Jahre von der Levante bis Skandinavien ausbreitete, traf 1348 ­Italien. Das Land war danach nicht mehr dasselbe. Ein beträchtlicher Teil der Gesell­schaft, der hätte weiterleben können wie ­vorher, war verschwunden. Neuanfang war vonnöten. Wiedergeburt. Die Renaissance ist untrennbar mit der großen Zäsur (und deren immer wieder aufflammenden Wiederho­­lun­gen) verbunden, die das Leben gelähmt, ausgelöscht, in ihren Grundfesten erschüttert hatte. Alle Sicherheiten waren zunichte. Die sozialen Verhältnisse kehrten sich um. Auf der Suche nach Orientierung wurde das vollendete Menschentum, das man in der An­tike verwirklicht glaubte, zum Ideal einer neuen geistigen Bewegung – des Humanismus.

Das Drama als Wortkunstwerk

Jedoch: „die Humanisten“, schreibt Tobi­as Roth in seinem bombastischen Buch über die „Welt der Renaissance“, „sind keine Aufklärer. Sie sind unvernünftig, verspielt, abergläubisch. Vielleicht aber genau deshalb in ihrer Menschenbegeisterung und Zuversicht unübertroffen.“

Die Bühne erlebte den Wandel von provi­sorisch aufgeschlagenen Pawlatschen an Fürstenhöfen zu eigenen, permanenten Theaterräumen und -bauten. Privat, jeder Klasse offen und nicht mehr nur den Aristokraten vorbehalten. Die ersten (Wieder-)An­sätze zum Drama als Wortkunstwerk, in dem die Handlung durch Dialoge vorangetrieben wird, liegen in der italienischen Renaissance – und erleben später, in der englischen, einen Höhepunkt. Die bardi entwickelten aus der Wiederbelebung des klassischen griechischen Sprechgesangs einen Stil, der in den Opern Monteverdis, Puccinis und Johanna Doderers fortklingt.

Die Geburt des Künstlers – erstmals auch: der Künstlerin – markierte diese den Menschen in den Mittelpunkt rückende Epoche; in die antike Darstellung, der es um das ideale Erscheinungsbild ging, floss das Emp­finden mit ein, der Blick auf die Gesamtheit dieses rätsel­haften, irgendwo zwischen Engel und Bestie angesiedelten Wesens. Eine Sonne ging auf über Florenz und Italien, deren Licht bis heute scheint.

Auch wenn die Renaissance dunkler war, als es ihre Verklärungen wahrhaben wollen. Fanatismus, Glaubenskriege, Hexenverfolgungen und Zensur sind ihre Merkmale, mehr als die des dafür geschmähten Mittel­alters. Alles existierte nebeneinander. Und es mag sein, dass wir, aus unserer relativen Beschaulichkeit in jene Periode extremster Spannung, genuss- wie schmerzvollster Lebendigkeit versetzt, entflammt wie ein Streichholz, keinen Tag überleben würden. Es käme mir heute nicht gut an, dem eingangs erwähnten Chronisten (Baldassarre Bonaiuti) nachzueifern und wie er das Stapeln der Toten in der Pestgrube zwischen Schichten von Erde mit einer „mit Käse überbackenen Lasagne“ zu vergleichen. Das Gelächter ist nie fern in jener aufgeriebenen Zeit, der die Komödie am Theater ­näher ist als die Tragödie und die einen Gian Salsiccia (Hanswurst) gebiert.

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Wiederbeginn nach der Zäsur

„Der Humanist“, schreibt Stefan Zweig in seinem Text über Erasmus von Rotterdam – und ein bisschen porträtierte er darin sich selbst –, „liebt die Welt um ihrer Vielfalt willen. Gegensätze bedeuten nicht Feindschaft.“ Es gehe um die „übergeordnete, die menschliche Einheit“.

Möge nach dem Winter allen Missvergnügens, dem Dunkel der Kulturlosigkeit eine neue Sonne aufgehen."

Michael Dangl, Schauspieler

Wie werden wir aus der großen Zäsur hervorgehen? Wie wiederbeginnen? Worin liegt unsere Neugeburt? Wie so vielen sind uns Bühnenmenschen vermeintliche Sicherhei­ten zerstoben. Für immer dahin ist die Geschütztheit, in der wir uns im Wohlwollen der Regierungen vielleicht geschätzt und aufgehoben gefühlt haben. Diese Erkenntnis sollte uns, wenn die erste Wut verraucht ist, Mut machen. Auch den Mut zum Schönen. Mit unserer Arbeit eine humanere Menschlichkeit zu suchen – wie es die Renaissance in einer „weltgläubigen, optimistischen Minute“ (Zweig) getan hat, deren künstlerische Schöpfungen „die politischen Zeit­bauten zu überdauern bestimmt“ waren. Eine Minu­te, in der Kanzler (wie Coluccio Salu­tati) Gedichte geschrieben und Mächtige den Künsten eine nie da gewesene Blüte ermöglicht haben. Natürlich auch, um sich dadurch selbst zu feiern und zu legitimieren. Aber das Verhältnis des Künstlers zur Obrigkeit bleibt für immer in der Episode festgeschrieben, in der Michelangelo dem Papst befiehlt, die Sixtinische Kapelle zu verlassen, um ihn nicht bei der Arbeit zu stören.

Möge nach dem Winter allen Missvergnügens, dem Dunkel der Kulturlosigkeit eine neue Sonne aufgehen. „Unvernünftig, verspielt, abergläubisch“ – fühlen wir Theaterleute uns mit dieser Charakterisierung der ersten Humanisten nicht angesprochen? Kämpfen wir, spielen wir. Für ein liebevolleres Miteinander, für eine Welt, der ein Huma­nist und Weltbürger wie Stefan Zweig nicht den Rücken gekehrt hätte. Dass die „ganze Welt eine Bühne“ sei, war eine Gewissheit der Renaissance. Ihre Forderung formulierte Erasmus – bis in unsere Zeit und nah an unser Ohr: „Die ganze Welt ist ein gemeinsames Vaterland.“

Foto: Maria Frodl

Zur Person: Michael Dangl

Michael Dangl ist im ­Ensemble des ­Theaters in der Josefstadt. Gerade ­erschien bei Braumüller sein Roman „Orangen für ­Dostojewskij“ und bei ­Amalthea zuletzt „­Anfisa, zu Dir – Brief an meine Tochter“. Das Sommerkonzert im Theater im Park mit ­Konstantin ­Wecker und Dörte ­Lyssewski ist auf einer Doppel-CD („Jeder ­Augenblick ist ewig“) zu hören.

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Der Spielplan des Theater in der Josefstadt wird laufend angepasst