BÜHNE: Was reizt dich besonders an dieser Arbeit?

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Wolfgang Menardi: Es ist meine erste Arbeit am Theater, in der ich die Möglichkeit habe, so viele unterschiedliche Dinge, die mich als Künstler interessieren, miteinander zu kombinieren. Ich bin für die Stückfassung, das Bühnenbild und die Regie verantwortlich. Das gibt mir ein Gefühl der Gestaltungsfreiheit, das ich so noch nicht kannte und das sehr befriedigend ist – manchmal auch etwas beängstigend

Wie würdest du den Ausgangspunkt beschreiben?

Die Ursprungsgedanke zu dem gesamten Abend ist einer Kindheitserinnerung von mir entsprungen. Meine Eltern hatten eine Schallplatte in ihrer Sammlung, auf der Helmut Qualtinger die ‚Schwarzen Lieder‘ von H. C. Artmann singt. Ich war damals absolut fasziniert davon, auch wenn ich als Kind nicht alles verstanden habe, was da gesungen wurde. Die Atmosphäre, die von diesen Texten ausging, deren merkwürdige dunkle Poesie, die grausam, humorvoll, schräg, sehr eigen und unheimlich ist, hat mich nicht mehr losgelassen. Der menschliche Abgrund, der in diesen Gedichten steckt, diese dunkle Seite der Seele, die durch die kunstvolle Dialektsprache der Wiener Gruppe so auf den Punkt gebracht wird, hat etwas so Schönes und Trauriges – gleichzeitig ist sie oft zum Brüllen komisch. Und die vermeintliche Einfachheit birgt eine große Tiefe und beschreibt einen Gemütszustand, den ich sehr mit Wien verbinde. Über H.C. Artmann bin ich schließlich auf die anderen Autoren der Wiener Gruppe gestoßen – auf Gerhard Rühm, Oswald Wiener, Friedrich Achleitner und Konrad Bayer. Die Autoren und deren Werke waren mir zwar ein Begriff, aber welch große Bandbreite sie mit ihren Arbeiten abdecken, war mir nicht bewusst. Gerade Achleitner, Rühm und Artmann haben den Dialekt zu einer ganz eigenen Kunstform erhoben und in einer Bandbreite abgebildet, die mich tief beeindruckt hat. In ihren Lautgedichten, in ihrer konkreten Poesie, wie auch in ihren Theaterarbeiten haben sie radikal damit experimentiert. Fasziniert hat mich auch, wie unterschiedlich meine Rezeption beim Lesen und beim Hören dieser Texte ist. Es ist fast so, als steckten je zwei Seelen in den einzelnen Texten – die Schönheit der geschriebenen Form und die Schönheit des Klangs. Dass sich durch die Form und den Klang Inhalt vermittelt und dieser dennoch, je nach Leser und Hörer, in seiner Bedeutung individuell bleibt, ist ein großes Geschenk.

Wie ist die Fassung entstanden?

Ich habe mich – mit nur ein paar Ausnahmen – beim Erstellen der Fassung auf die Dialektdichtungen der Wiener Gruppe konzentriert. Zu Beginn habe ich noch darüber nachgedacht, andere Autoren mit in die Auswahl zu nehmen, aber ich empfand die Beschränkung auf die Wiener Gruppe als aufregende Herausforderung. Man kann nicht einfach fischen, wo man möchte. Parallel dazu habe ich nach einer Geschichte gesucht, in die ich diese Texte einbinden möchte. Zwei Dinge waren uns schon zu Beginn klar: Dass es ein Abend mit Samouil im Zentrum werden wird und ein Abend über den Tod. So kam mir der Grundgedanke zu dem Stück, über die Einsamkeit von Frau Q., Tierpräparatorin a.D., die seit vielen Jahren ihre Wohnung nicht mehr verlassen hat und zur Mörderin und auch zur Selbstmörderin wird. Beim Entwickeln habe ich mich intensiv mit Texten der Wiener Gruppe auseinandergesetzt. Es war mir wichtig, dass ich die Texte nicht in eine Geschichte zwinge, sondern die Handlung sich darüber entfaltet. Das war nicht immer leicht, es hat sich angefühlt wie, als würde man an einem komplizierten Puzzle arbeiten, das gelöst werden will. Dadurch haben sich auch für mich völlig unerwartete Wendungen in der Geschichte ergeben, die mich zu dem jetzigen Ergebnis getragen haben.

Es gibt aber auch einen zweiten Handlungsstrang, richtig?

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Das stimmt. Um diesen sehr kunstvollen Texten eine Form von Reibung entgegenzusetzen, war ich auf der Suche nach einer weiteren Ebene, die absolut nicht literarisch sein sollte und den Wiener Dialekt von einer anderen Seite, nämlich von jener einer alltäglichen Poesie, beleuchtet. Ich habe dann diese wunderbare Dokumentation aus den 90er Jahren gefunden, in welcher der Alltag des Zentralfriedhofs aus der Sicht der Pomfüneberer (Bestatter, Anm.) beschrieben wird. Diese Dokumentation bildet die Textgrundlage für den zweiten Erzählstrang, in dem die wunderbare Claudia Sabitzer einen ebensolchen Pomfüneberer spielt. Irgendwann mischen sich diese Ebenen und damit auch die Poesien.

Wovon habt ihr euch bei der Gestaltung der Frau Q. inspirieren lassen?

Das Q in Frau Q. ist mit einem Augenzwinkern auf einen weiblichen Helmut Qualtinger entstanden. Aber um den Grundcharakter dieser Frau zu finden, waren die Alltagsgeschichten aus den 90er Jahren von Elizabeth T. Spira ein wahrer Quell der Inspiration. Vor allem ihre Dokumentation „Das Glück ist ein Vogerl“.

Wie erklärst du dir das besondere Verhältnis der Wiener*innen zum Tod?

Erklären kann ich es mir nicht genau, dass es existiert, lässt sich jedoch nicht bestreiten. Und es ist etwas, das, neben vielen anderen Dingen, den Flair der Stadt für mich ausmacht. Der Umgang mit dem Tod ist in Wien von einer Ernsthaftigkeit und Gelassenheit, aber auch von Ironie und Humor geprägt. Die Menschen in Wien haben öfter einen düstereren Gemütszustand als anderswo, jedoch verbunden mit einer speziellen Form der Geselligkeit. Die Melancholie, das Dunkle ist hier sichtbarer. Auch die wuchtigen historischen Gemäuer wirken wie Zeugen eines längst verstorbenen Weltreichs und strahlen genau das aus. Es gibt Orte und Rituale hier, die mit dem Tod zu tun haben, die in ihrer Art einzigartig und skurril sind. Ich liebe Wien. Und ich liebe genau diese Atmosphäre.

Du bist gebürtiger Tiroler. Welches Bild von Wien hattest du während deiner Jugend?

Auch wenn sich Ost und West in Österreich in den Neunzigern sehr misstrauisch beäugt haben, war ich immer schon sehr von Wien angezogen. Gerade auch wegen dieser Melancholie, die die Stadt, jedenfalls für mich, ausstrahlt. Wien kommt meinem Gemüt recht nahe – und jedes Mal, wenn ich hier arbeite, denke ich darüber nach herzuziehen, weil ich mich verstanden fühle.

Samouil Stoyanov

Samouil Stoyanov: Komm, süßer Tod

Als Frau Q. steigt Samouil Stoyanov in „Heit bin e ned munta wuan“ tief in die Wiener Seele hinab. Als Schauspieler möchte er sich nicht von Lobliedern davontragen lassen, sondern unbedingt am Boden bleiben und in sich selbst hineinhören. Weiterlesen...

Wie bist du zum Theater gekommen?

In meiner Familie gab es eigentlich keine Künstler und Künstlerinnen. Es war mir also nicht in die Wiege gelegt. Mir war trotzdem recht früh klar, dass ich entweder in die bildende oder in die darstellende Kunst möchte. Ich glaube, zuerst war das Schauspiel an der Reihe, weil ich ein Ventil brauchte, um mit meiner Unsicherheit umzugehen. Ich habe das Gefühl, dass es vielen Schauspielern und Schauspielerinnen so geht. Ich habe aber auch rasch bemerkt, dass meine Interessen noch weiter gehen. Nach zehn Jahren als Schauspieler habe ich dann mit Bühnen- und Kostümbild angefangen, was ja irgendwie bildende und darstellende Kunst in sich vereint. Es hat sich sehr richtig angefühlt, dass dieser Beruf dann schleichend die Führung übernommen hat. Jetzt fühlt es sich ganz natürlich an, dass mich mein Weg wieder weiter, zu neuen Ufern führt. Ich mag es, künstlerisch Verantwortung zu übernehmen und es erscheint mir für meinen Weg als konsequent, die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, in der Regie zu bündeln.

Was für ein Raum erwartet uns bei „Heit bin e ned munta wuan“?

Ich wollte der Kunstfertigkeit der Texte eine Poesie des Alltags gegenüberstellen und habe versucht etwas zu was machen, was ich sonst nicht oft mache – eine Art poetischen, sehr kleinteiligen Realismus. Man sieht die Wohnung von Frau Q., allerdings merkwürdig aus der Zeit wie auch aus den Farben und den Proportionen gefallen. Ein Raum, der ihr Innerstes nach außen trägt.

Gehst du, wenn du für Regie und Bühnenbild verantwortlich bist, zuallererst vom Raum aus?

Ich gehe zuallererst von der Atmosphäre aus, die ein Abend in meinen Augen vermitteln soll und suche dann nach einer Form, die dem Text – meiner Meinung nach – gerecht wird oder sich auf konstruktive Weise an ihm reibt. Ich kann gar nicht trennen, was zuerst kommt. Ich denke an Spielmöglichkeiten und Hindernisse, die ich den Darstellern und Darstellerinnen geben möchte und scheue eher davor zurück, meine Interpretation auf zu eindeutige Weise mitzuliefern, denn mein größtes Ziel ist es, dem Zuschauer ein individuelles Erlebnis zu schenken. Das ist zwar mit meinen Gedanken und Bildern angereichert, lässt dabei aber Raum, sich selbst darin wiederzufinden. Ich suche immer das Geheimnis wie auch eine eigenständige Narration und Dramaturgie des Raumes. Das kann sich durchaus mit der Regie reiben. Was mich als Zuschauer meist langweilt, ist, wenn ich alles erklärt bekomme oder mir zu klar gezeigt wird, was ich zu denken habe. Ich möchte die Möglichkeit haben, selbst zu denken und die Dinge, die ich sehe, selbst miteinander zu verknüpfen.

Du hast Samouil Stoyanov in München schon kennengelernt. Wie hast du ihn damals erlebt?

Sami hat mich damals in München als Schauspieler sofort fasziniert. Er ist einerseits eine Urgewalt auf der Bühne, aber hat auch etwas tief Zärtliches in seinem Spiel. Mir kommt das sehr nahe, was er macht, weil es aus dem Bauch – aus seinen Eingeweiden – kommt. Gerade im Umgang mit schwierigen Texten wirkt es so, als würden die Texte aus seinem Körper, Darm, Bauch, Herz kommen und nicht aus seinem Kopf. Dadurch entsteht etwas ganz Eigenes. Er hat eine sehr spezielle emotionale Intelligenz auf der Bühne.

Welche Rolle spielt Musik in der Inszenierung?

Da mir von Anfang an klar war, dass das ein sehr musikalischer Abend werden soll, eine sehr gewichtige. Ich habe den wunderbaren Komponisten und Performer Matteo Haizmann an meiner Seite, der einige der Texte zu Liedern vertont hat. Es gibt ja recht viele musikalische Bearbeitungen der Gedichte, beispielsweise von H.C. Artmann oder von Gerhard Rühm, aber auf sehr vielen liegt auch schon einiges an musikalischem Staub oder man hört ihnen die Entstehungszeit einfach zu stark an. Da ich die Texte wiederum sehr zeitlos und frisch finde, war es mir wichtig, auch musikalisch neue Akzente zu setzen. Wir spielen mit der Wiener Tradition, aber mit sehr modernem Blick. Drei Musiker*innen spielen live und sind auch als Vervielfältigungen von Frau Q.  gemeinsam mit Sami und Claudia auf der Bühne. Aber auch der Raum wird zu einem eigenen Klangkörper, in dem Alltagsgegenstände klingen und Anrufbeantworter, Radio, Fernseher und Uhren musikalische Eigenleben führen und den Abend fast durchgehend mitrhythmisieren.

Zu den Spielterminen von „Heit bin e ned munta wuan“ im Volkstheater!