So ist das mit den Superhits, die alle gut zu kennen glauben. „Man fühlt bei kaum einer anderen Oper so schnell, welche Energie im Publikum herrscht. Schon beim ersten Dialog mit Tamino merkt
man, ob das Publikum da ist oder noch einen Prosecco in der Pause braucht. Man spürt, ob es warm ist oder nicht.“ Ludwig Mittelhammer, Bariton aus Bayern und derzeit einer der beliebtesten Papagenos weltweit, lacht. Das tut er gerne und aus vollem Herzen, und es steckt an.

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„Diese Rolle ist großartig geschrieben. Papageno ist mit sich im Reinen. Die größte Herausforderung für mich ist die Mischung aus Sprechtext, der stimmlich auch anhebt, und Gesang.“

Fast einen ganzen Tag lang sind wir mit Mittelhammer in der Wiener Staatsoper unterwegs, lassen ihn einen Käfig aufsetzen, Plastikvögel aus dem Teesalon des Kaisers werfen, am Lusterboden ganz oben in der Oper herumklettern und über die Feststiege sprinten.

Schon beim ersten Dialog merkt man, ob das Publikum da ist oder noch einen Prosecco braucht.

Ludwig Mittelhammer, Bariton

Ein Motiv brauchen alle

Das alles nur, weil im Frühjahr 1791 Emanuel Schikaneder seinem Freund Wolfgang Amadeus Mozart den Vorschlag machte, eine Oper zu schreiben. Bei deren Premiere wurde mit Flugmaschinen, Feuer, Attrappen und zahlreichen Bühnenapparaturen gearbeitet - eine Steilvorlage für alle Regisseur*innen danach und auch uns BÜHNE-Macher*innen. Zurück zum Duo Mozart/Schikaneder: Beide brauchten Geld, und Schikaneder hatte ein passendes Theater mit über tausend Sitzplätzen.

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Die Zauberoper war das Ding der Stunde und füllte die Hallen. Also setzten sich die beiden hin. Schikaneder fladerte oder ließ sich von verschiedensten Quellen inspirieren, wie er es nannte – von August Jacob Liebeskinds „Lulu oder die Zauberflöte“ bis zu Karl Friedrich Henslers „Sonnenfest der Braminen“.

Warum diese Infos wichtig sind? Weil die Regisseurin des Werks nicht ganz unähnlich vorgegangen zu sein scheint. Dazu aber später.

Ludwig Mittelhammer
Ludwig Mittelhammer: „Es ist meine Philosophie, an Menschen zu glauben und sie zu lieben – trotz allem.“

Foto: Stefan Fürtbauer/ Styling wie am am Cover: Blazer & Rock von DAVID VESELY, Hemd von BOSS VIA PEEK&CLOPPENBURG, Stiefel & Federschürze von GERY KESZLER / LIFE COSTUMES: WWW.LIFE-COSTUMES.ORG, Krawatte STYLIST OWN

Ein Triumph

Mozart ist im September fertig und dirigiert die Uraufführung selbst. Schikaneder spielt und singt den Papageno. Der Rest ist Geschichte. Rund hundertmal wird „Die Zauberflöte“ im Jahr nach der Premiere gespielt. Dann tritt sie ihren Siegeszug um die Welt an. Mozart stirbt zwei Monate nach der Uraufführung. Goethe war so begeistert, dass er eine Fortsetzung schreiben wollte, das Werk hat viele Komponisten beeinflusst: Richard Strauss, Engelbert Humperdinck und Carl Maria von Weber.

Oskar Kokoschka stattete 1955 die Oper in Salzburg aus, Marc Chagall 1967 in New York; und Ingmar Bergman legte 1974 die eindrucksvollste Verfilmung vor. Und Karl Friedrich Schinkel war es, der Anfang des 19. Jahrhunderts den in tiefem Nachtblau gehaltenen Auftritt der Königin der Nacht prägte. Diese Historie kann furchteinflößend auf Regisseure wirken. Barbora Horáková, die Regisseurin für die Wiener Premiere, hat sie inspiriert.

Wer’s vergessen hat

Falls Ihnen entfallen sein sollte, worum es geht – hier eine sehr, sehr verkürzte Version des Inhalts: Prinz Tamino soll auf Geheiß der Königin der Nacht ihre Tochter Pamina aus den Händen des Oberpriesters Sarastro befreien, der sie entführen ließ. Gemeinsam mit dem Vogelfänger Papageno macht sich Tamino in Sarastros Reich auf die Suche. Tamino findet Pamina, und beide verlieben sich ineinander, müssen aber Prüfungen bestehen, bevor sie zueinander kommen können. Am Schluss wird auch Papageno mit seiner Papagena belohnt.

Ludwig Mittelhammer
Der Raum, den Sie hier sehen, befindet sich direkt über dem Zuschauerraum – im Lusterboden.

Foto: Stefan Fürtbauer / Styling: Blazer von JENNIFER MILLEDER, Hose Vintage von HUGO BOSS

Zur Person: Ludwig Mittelhammer

ist in einem musischen Haus in München aufgewachsen. Er spielte früh Klavier, sang ein paar Jahre im Tölzer Knabenchor und durfte 64-mal den Ersten Knaben in der „Zauberflöte“ singen. Später studierte er an der Hochschule für Musik und Theater in München. Ludwig Mittelhammer gilt als einer der besten Papageno-Sänger. Sein Traum: der Wolfram in „Tannhäuser“.

Die Prüfungen und die Liebe

Es ist ein verrücktes Stück voller großer Melodien, die so brillant komponiert sind, dass sie zugleich Volksstücke wie Hochkultur sind. Ein Werk, das für viele der erste Kontakt zu Oper ist und bei Kindern genauso funktioniert wie bei allen anderen Generationen.

Barbora Horáková hat die „Zauberflöte“ das erste Mal in Prag gesehen: „Ich habe die ‚Zauberflöte‘ geliebt, weil es so einfach schien: Wenn man jemanden liebt, mit dem man durch all die Prüfungen des Lebens gehen kann, dann ist alles einfacher. Das war die Grundlage meiner Herangehensweise, dass es um diesen Lebenszyklus geht, wo man altert, wo man nie aufhört zu lernen, wo man immer wieder versucht, Dinge zu verstehen; und je mehr man weiß, desto weniger versteht man auch.“

Barbora Horáková kann auch ziemlich mitreißend lachen. Sie begann ihre Karriere als Opernsängerin, studierte dann in München Regie. Sie arbeitet seit 2015 immer wieder eng mit Calixto Bieito zusammen. Inzwischen inszeniert sie quer durch alle großen und mittleren Häuser.

So wird das Stück

Apropos Häuser (Sie verzeihen die banale Überleitung): Ein Haus steht auch im Zentrum ihrer Inszenierung. „Die drei Knaben sind mit ihren Fahrrädern und Skateboards unterwegs und versuchen vor dem nahenden Gewitter Schutz zu finden – und sie finden dieses alte Haus, dessen Tür ganz weit offen steht. In diesem Haus ist alles ein wenig düster und verstaubt.

Man sieht alte Instrumente und alte Bilder. Die Buben versuchen sich zu verstecken, weil da plötzlich ein anderer junger Mann hereinläuft und in ein Grab (von Paminas Vater) fällt – es ist eine Art Tierfalle –, und er beginnt zu halluzinieren. Und da sind dann auch noch diese drei Frauen, die noch nie einen Mann gesehen haben und beginnen, um den Mann zu buhlen.“

Barbora Horáková.
Barbora Horáková. In Prag geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte zuerst Gesang und erst später Regie. Sie gilt als eine der innovativsten und spannendsten Opernregisseurinnen. Zuletzt hat Horáková in Wien Alfredo Catalanis „La Wally“ inszeniert.

Foto: Gerard Collett

Papageno im Luster

Barbora Horáková holt kurz Luft, lächelt über die Verblüffung unsererseits und erzählt weiter: „Im Kronleuchter über ihnen sitzt schon Papageno, und die Königin der Nacht wird in einem Glassarg hereingeflogen. Und weil Papageno die Vögel aus dem Reich Sarastros fängt, sehen wir im Reich der Königin der Nacht nur Vogelknochen. Es beginnt also alles ein bisschen dunkel. Tamino startet dann seine Reise, und wenn er das erste Mal durch die Tür geht, kommt er in einen Raum voller Licht. In diesem ist dann Sarastro, der auf einem Halbmond sitzt, so ein bisschen, wie es in anderen Inszenierungen gerne mit der Königin der Nacht gemacht wird.“ Übrigens: Bei deren Arie – auch ein echter Fantasy- Effekt – werden ihre Flügel immer größer und größer.

Jetzt wären wir beim berühmten Tiefblau: Die Königin der Nacht wird tiefblau, aber das Kleid wird jemand anderer tragen – nämlich Sarastro bei seinem Mondauftritt. Die weiteren Prüfungen werden Tamino dann quer durch die vielen Räume des Hauses führen: Die erste wird in einem alten Schulraum stattfinden, eine andere in einer Bahnhofshalle. Es wird insgesamt 23 Bilder geben und auch drei Puppen; Tamino und Pamina werden bei ihrer Reise immer älter und älter, bis sie alle Prüfungen geschafft haben. Klingt doch, als wär’s von Schikaneder, oder?

Ludwig Mittelhammer
Der Sänger und die Partitur. Die „Zauberflöte“-Originalpartitur befindet sich in Berlin. Hier sehen Sie die Wiener Version der Partitur, Katharina Hötzenecker vom Notenarchiv der Staatsoper hat sie uns für das Foto im Lusterboden geliehen. Danke.

Foto: Stefan Fürtbauer/ Styling: Anzug von THE GIGI, Pullover von FORÈT* beides via PEEK&CLOPPENBURG, Trenchcoat von JENNIFER MILLEDER

Was bloß denkt sich Mozart?

Man merkt gleich: Es wird lustig. Es wird ein Stück mit vielen Zitaten an andere Inszenierungen, auch an zeitgemäße Fantasy-Literatur. Ein bisschen „Harry Potter“ trifft „Zauberflöte“ trifft Barbie-Mariposa.

Barbora Horáková lacht, als wir ihr das sagen. Haben sich frühere Inszenierungen in sinnentleerten Interpretationen verloren?

„Es wäre vermessen, zu sagen, ich verstehe mehr als die Kolleg*innen. Ich will die ‚Zauberflöte‘ wie ein Spiel. Der Spaß, den Mozart und Schikaneder beim Schreiben hatten, darf nicht verloren gehen. Mozart hat da schon extraviel hineingepackt, aber ich glaube auch, dass er irgendwo da oben sitzt und sich darüber totlacht, wie wir uns seit Jahrhunderten den Kopf darüber zerbrechen, was das alles soll. Natürlich sind die Symbole, die benutzt werden, ernst zu nehmen – aber man darf niemals vergessen, dass sich die beiden auch einen großen Spaß gemacht haben. Es ist ein Spektakel. Es geht um die Menschen, die Natur, Glaube und Liebe. Das Gute und das Böse, und man hat märchenhafte Figuren, bei denen ich mich frage: Was ist das Menschliche?“

Papageno und der Schmäh

Und wie ist das jetzt mit Papageno? Die sympathische Wahlschweizerin atmet tief ein und legt los: „Er ist meine liebste Opernfigur. Papageno sind wir alle. Er zeigt uns Menschen, wie wir ohne Maske wären. Er genießt das Leben, das Essen, die Liebe. Ich mag seine Direktheit, seine Ehrlichkeit und auch seine Sprache, weil er sehr direkt mit den Menschen redet. Wir haben die Texte ein klein wenig neu formuliert, aber nicht neu geschrieben, und versucht, eine Stringenz hinzubekommen, ohne dabei den wienerischen Schmäh zu verlieren.“

Und? Wie groß ist der Respekt vor der Wiener Staatsoper und ihrem sehr emotionalem Publikum?

Ludwig Mittelhammer
Flieg, Vogerl, flieg! Ludwig Mittelhammer am offenen Fenster des Teesalons direkt oberhalb der Feststiege. Vogel kam bei dem Foto keiner zu Schaden.

Foto: Stefan Fürtbauer / Styling: Federblazer von DAVID VESELY, Hemd gestreift von JAKE*S LUXURY, Krawatte von WILLEN BEIDES VIA PEEK&CLOPPENBURG

Liebe zu den Menschen

Horáková: „Ich habe Respekt, ich spüre die Verantwortung, aber ich habe eine Vision, die sehr von Menschlichkeit ge- tragen wird. Für mich ist es wichtig, dass die Sänger*innen das, was sie spielen, auf der Bühne leben.“ Sie macht eine kurze Pause. „Alle meine Arbeiten bedienen diese menschliche Seite, weil ich die Menschen einfach liebe. Es ist meine Philosophie, an Menschen zu glauben, trotz allem. Deswegen war mir auch im- mer klar, dass die Oper Corona überleben wird – weil zu der Menschlichkeit auch noch die Resonanz der Stimme und der Musik kommt. Das bringt einfach alles zum Vibrieren. Wissen Sie, ich kann nicht ohne Musik leben – das war einer der Gründe, dass in unserer ‚Zauber- flöte‘ der Flötist auch wirklich auf der Bühne stehen wird. Dass wir fähig sind, Instrumente zu bauen und diese auch zu spielen, und damit beim Publikum etwas auslösen, das ist Metaphysik.“

Sie macht wieder eine Pause und setzt zu einem wunderschönen Schlusssatz an: „Ich kann es nicht trennen – Musik und Liebe, das ist eins. Daran glaube ich.“

Serena Sáenz
Königin der Nacht. Die katalanische Sopranistin Serena Sáenz sagt über ihre Rolle: „Ich glaube, dass sie neben den hohen Tönen und einer soliden Technik auch große Anforderungen an die Haltung stellt. Wenn ich mich von der Emotion und der Rache, die ich vermitteln möchte, mitreißen lasse, kann das meine Gesangstechnik negativ beeinflussen.“

Foto: NATÀLIA CORNUDELL

Hier zu den Spielterminen von Die Zauberflöte in der Wiener Staatsoper!