Hasti Molavian ist Mezzosopranistin. Was Stimme und Timbre der ausgebildeten Opernsängerin angeht, scheint damit augenblicklich alles klar zu sein. Doch die gebürtige Iranerin lässt sich nicht gerne in Schubladen stecken. Passiert es doch, wehrt sie sich dagegen – einmal lauter, dann wieder leiser. Aber immer voller Klarheit. Eines ist bereits nach wenigen Interviewminuten gewiss: Es sind unterschiedliche Stimmen, die aus Hasti Molavian sprechen. Auch dann, wenn sie auf der Bühne steht und singt. 

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Drei Stimmen

In „Ich bin Carmen und das ist kein Liebeslied“, einem von Bizets bekannter Oper und ihrer eigenen Geschichte inspirierten Abend, lotet sie deshalb nicht nur ihre Verbindung zu Carmen aus, sondern auch jene zu Don José und Escamillo. Denn sie ist davon überzeugt, dass die Seelen aller drei Hauptfiguren in ihrer Brust wohnen. „Während Carmen für mich für Freiheit steht, verkörpert Don José eine gewisse Bodenständigkeit und Escamillo den Drang, im Mittelpunkt zu stehen. Diese drei Stimmen stecken alle in mir und stehen in einem ständigen Konflikt miteinander“, erklärt Hasti Molavian, die an der Folkwang Universität in Essen Gesang studiert hat und seit der Spielzeit 2020/21 zum Ensemble des Volkstheaters gehört.

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Aber auch wenn es nicht um den „Carmen“-Stoff und Molavians Beziehung zu den drei Hauptfiguren geht, weiß die Sängerin und Schauspielerin ganz genau, wovon sie spricht: „Im Iran bin ich die Deutsche. In Deutschland bin ich die Iranerin, und in Österreich werde ich ebenfalls als Deutsche abgestempelt. Tatsächlich fühle ich mich momentan weder in Deutschland noch im Iran wirklich zu Hause. Hier in Wien aber schon – das ist das erste Mal, seit ich aus dem Iran zum Studieren nach Deutschland gegangen bin, dass ich mich an einem Ort wirklich wohlfühle.“

Hasti Molavian: Drei Stimmen wohnen, ach! in meiner Brust
Hasti Molavian zeigt ihre Interpretation der Bizet-Oper „Carmen" im Volkstheater.

Foto: Jörg Landsberg

Oper als perfekte Kunstform

Wenn man Hasti Molavian nach dem Ursprung des genreübergreifend angelegten Abends „Ich bin Carmen“ fragt, nimmt sie einen mit auf eine Reise in die iranische Hauptstadt Teheran, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind und Jugendliche im Auto meiner Eltern saß und wir im Stau Musikkassetten gehört haben. Eine davon war ‚Carmen‘.“ Von den Melodien und Klängen klassischer Musik beeindruckt, wollte sie schon im Kindergartenalter Dirigentin werden.

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Ich wollte Musiktheater studieren, weil ich davon überzeugt war, dass die Oper die perfekte Kunstform ist.

Hasti Molavian

Sie fing schließlich an, Geige zu spielen, musste den Geigenkasten am Weg zum Unterricht aber in einem blauen Müllsack verstecken, um keinen Ärger mit der Sittenpolizei zu bekommen. Im Alter von elf Jahren begann sie, im Chor zu singen. Nach Deutschland kam sie mit einer klaren Mission: „Ich wollte Musiktheater studieren, weil ich davon überzeugt war, dass die Oper die perfekte Kunstform ist. Und zwar deshalb, weil sie Musik und Schauspiel miteinander verbindet.“ 

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Eine der ersten Operninszenierungen, die sich Hasti Molavian als Studienanfängerin ansah, war „Carmen“. Mit einer Frau, die mutig für ihre Freiheit kämpft, hatte die damalige Inszenierung aber nur wenig zu tun. Losgelassen hat sie diese Figur trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil. „Ich habe mich immer gefragt, was, wenn man sämtliche Klischees beiseitelässt, diese Figur eigentlich ausmacht.“ Nach und nach kam Hasti Molavian zu der Erkenntnis, dass nicht nur sehr viel mehr als die übliche Klischeekiste hinter Carmen steckt, sondern auch ein Teil von Carmen in ihr. „Ich habe mit meinem Mann, dem Opernregisseur Paul-Georg Dittrich, häufig darüber gesprochen, und wir fanden immer mehr Parallelen zwischen der fiktionalen Geschichte Carmens und meinem eigenen Lebenslauf“, erzählt sie. Für die 1988 geborene Sängerin und Schauspielerin ist die Frau aus der Zigarettenfabrik eine Projektions­fläche – wobei es durchgehend Männer sind, die ihre Wünsche und Begierden in sie einschreiben. 

Hasti Molavian: Drei Stimmen wohnen, ach! in meiner Brust
Die 1988 geborene Mezzosopranistin gehört seit der Spielzeit 2020/21 zum Volkstheater-Ensemble.

Foto: Raphael Just

Zur Person: Hasti Molavian

Die iranische Mezzosopranistin, geboren 1988 in Teheran, studierte Gesang bei Prof. Rachel Robins an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Von 2011 bis 2015 war Hasti Molavian Mitglied des Opernstudios der Oper Dortmund. Von 2015 bis 2020 war sie Ensemblemitglied am Theater Bielefeld. Zudem beschäftigte sie sich immer intensiv mit zeitgenössischer Musik. Seit der Spielzeit 2020/21 gehört sie zum Volkstheater-Ensemble.

Das Leben verkörpern

Die Entwicklung des Musiktheaterprojekts, das 2021 am Theater Bremen uraufgeführt wurde, fand in kollektiver Zusammenarbeit statt. „Auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten“, betont Molavian. Eine im Bereich des Musiktheaters eher unübliche Herangehensweise, wie sie nach einer kurzen Pause hinzufügt. Daran, aus den Strukturen des konventionellen Opernbetriebs auszubrechen, lag ihr aber ohnehin immer sehr viel. Stets von der Sehnsucht angetrieben, ihre Vision dieses in ihren Augen vollkommenen Genres Realität werden zu lassen. Gar kein so einfaches Vorhaben, wie sich nach und nach herausstellte.

„Ich hatte oft das Gefühl, dass es hauptsächlich darum geht, schön und laut zu singen. Mit gemeinsamem Musizieren und Spielen, so wie ich mir das vorstellte, hatte die Arbeit in vielen Fällen nur wenig zu tun“, sagt die Sängerin. Ihr Blick wird noch eindringlicher, wenn sie von ihrer Vision der perfekten Kunstform spricht. Immer wieder erklärte man ihr, dass man als Sängerin gewisse Bewegungen nicht ausführen könne, weil sich sonst der Stimmapparat nicht mehr wie gewünscht bedienen lasse. Dabei drängte sich ihr eine Frage immer mehr auf: „Warum steht man auf der Bühne und versucht, das Leben zu verkörpern, wenn man sich so viele Einschränkungen auferlegt?“ 

Hasti Molavian: Drei Stimmen wohnen, ach! in meiner Brust
„Am Volkstheater kann ich aus all meinen Möglichkeiten schöpfen", sagt Hasti Molavian im Interview.

Foto: Raphael Just

Aus dem Vollen schöpfen

Mit ihrem Wunsch, aus dem Vollen zu schöpfen, hatte das nur wenig zu tun. Wenn dabei ein Ton einmal ausbricht, sollte man das nicht als Fehler sehen, sondern viel lieber den Sinn darin suchen, ist sie überzeugt. „Das Leben ist voller Momente, in denen man weint, schreit, verzweifelt ist. Natürlich gibt es auch schöne Momente, aber zur Darstellung des Lebens gehört auch das Schreckliche. Wenn man schlimme Dinge erlebt, warum sollten diese dann in perfektem Belcanto gesungen sein?“ 

Die Freiheit, das Leben mit all seinen Facetten zu verkörpern, fand sie am Volkstheater. „Hier kann ich aus all meinen Möglichkeiten schöpfen“, sagt sie freudestrahlend. Und all die Stimmen, die in ihr stecken, zum Ausdruck bringen. Auch wenn das – wie im Falle des Projekts „Ich bin Carmen“ – mitunter für spannende Verwirrspiele sorgt. „Manchmal wusste ich plötzlich nicht mehr, wer gerade was gesagt hat. Es gehört auch zu diesem Abend, in jeder Szene herauszufinden, zu welchem Anteil gerade Carmen oder Hasti aus mir spricht“, stellt sie lachend fest. „Doch im besten Fall macht genau das den Reiz dieses Stückes aus.“

Wien-Premiere von „Ich bin Carmen ھستم من کارمن und das ist kein Liebeslied“: 6. Mai im Volkstheater