Löcher im Federkleid: „Federn lassen“ als Theaterstück
In einem leeren Swimmingpool lassen Regisseurin Blanka Rádóczy und Kostüm- und Bühnenbildnerin Andrea Simeon drei Figuren in jene Momente eintauchen, in denen sie Federn gelassen haben. Seit 4. Mai ist „Federn lassen“ im Kosmos Theater zu sehen.
„Du bist fünf / und wirst / in die Pantomimegruppe / geschickt damit du / endlich mal aus dir/ rauskommst / was wäre für den Fall/ dass du in dir drinbleiben /willst dazu sagt / niemand was“, lautet eine Passage aus der Novelle „Federn lassen“ von Regina Dürig, die von Regisseurin Blanka Rádóczy, Dramaturgin Anna Laner und Bühnen- und Kostümbildnerin Andrea Simeon für das Kosmos Theater adaptiert wurde. Wie es zu dieser Konstellation kam? Blanka Rádóczy schaut ihre Freundin und Kollegin schmunzelnd von der Seite. „Ich habe beim Kochen Radio gehört und in einem der Beiträge wurde Regina Dürigs Novelle vorgestellt“, erinnert sich Andrea Simeon an die Geburtsstunde des Projekts.
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Von diesem Moment an brodelte es nicht nur in den Kochtöpfen der Kostüm- und Bühnenbildnerin, sondern auch in ihr und Blanka Rádóczy. „Mich hat der Text sowohl inhaltlich als auch sprachlich sofort angesprochen“, erzählt die Regisseurin. Was anfangs nur ein Gefühl war, entwickelte sich schnell zu einem Gedankenstrom, der sich sehr gut ins Kosmos Theater – als etabliertes Auffangbecken für feministische und queere Themen – leiten ließ.
Weil auch die Autorin ‚Federn lässt‘, habe ich mich dazu eingeladen gefühlt, Dinge aus meinem Leben zu erzählen.
Blanka Rádóczy
Eigene Erinnerungen
Der große Reiz des Textes liegt für die beiden Künstlerinnen in den genauen Beobachtungen alltäglicher Übergriffe, die gleichzeitig aber auch sehr viel Platz für eigene Erinnerungen lassen. In der Probenarbeit äußerte sich das unter anderem dadurch, dass die anfangs noch leeren Räumlichkeiten rasch mit eigenen Erzählungen gefüllt wurden. „Weil auch die Autorin ‚Federn lässt‘, habe ich mich dazu eingeladen gefühlt, Dinge aus meinem Leben zu erzählen. Ich glaube, dass es uns allen so ging. Das war sehr schön, weil auf diese Weise ein intimer, sehr offener Umgang entstanden ist“, sagt Blanka Rádóczy.
Für die in Ungarn geborene Regisseurin ist Gleichberechtigung eines der Schlüsselelemente der gemeinsamen Arbeit. Aus einer Grundidee, die sie in die Produktion mitbringt, entstehen in Zusammenarbeit mit den Spieler*innen unterschiedliche Ansätze, die sie im Anschluss sortiert. „Alle beteiligten Personen sind gleichberechtigt, trotzdem hat jede*r eine spezifische Aufgabe“, bringt es Andrea Simeon daran anknüpfend auf den Punkt. Diesen Ansatz verfolgen die beiden aber nicht nur in der Zusammenarbeit mit ihrem Team, sondern auch formal: Alle Mittel der Inszenierung (Schauspiel, Bühne, Requisiten, Sound) werden gleichberechtigt behandelt.
Zur Person: Blanka Rádóczy
Blanka Rádóczy wurde in Pécs in Ungarn geboren und wuchs dort und in der Schweiz auf. Sie studierte angewandte Kunst an der Universität Wien in der Klasse für Bühnen und Filmgestaltung. Nach dem Abschluss des Studiums folgten drei Jahre selbständige Berufstätigkeit im Bereich Bühnen- und Kostümbild. Anschließend studierte sie Regie für Schauspiel und Musiktheater an der Theaterakademie August Everding. Mit ihrer Bachelorinszenierung „Teorema“ von P.P. Pasolini gewann sie den Publikumspreis beim Körber Studio Junge Regie. Außerdem wurde sie in der „Theater heute“-Kritikerumfrage als beste Nachwuchsregisseurin genannt.
Ein Pool an Ideen
Blanka Rádóczy und Andrea Simeon, die gemeinsam in der Klasse für Bühnen- und Filmgestaltung an der Universität für Angewandte Kunst in Wien studiert haben, sind ein eingespieltes Team. Das kam ihnen auch bei der Gestaltung des Bühnenbildes für „Federn lassen“ zugute. Der leere Pool, der fast die gesamte Bühnenfläche bedeckt, entstand in gemeinsamer Handarbeit. In mehreren Durchgängen wurde gemalt, geklebt und wieder gemalt. „Wenn man diese Dinge selbst macht, entsteht eine ganz andere Form der Zufriedenheit“, sind sich die beiden einig.
Die Idee, das Stück in einem leeren Swimmingpool spielen zu lassen, war sehr schnell da – und resultierte, so Blanka Rádóczy, aus Gedankengängen zum Umgang mit Scham. „Sich von Scham zu befreien, sich waschen und sauber machen zu wollen, ist für mich ein Gefühl, das sich durch den gesamten Text zieht“, erklärt die Regisseurin. Ihre Überlegungen zur dazugehörigen Stimmung brachten Andrea Simeon zu folgender Idee: „Ich habe mich gefragt, in welchem Kontext man sich diese Geschichten erzählt und kam zu dem Schluss, dass man das vielleicht am Ende einer Party tut. Man beginnt Kindheitserinnerungen hervorzukramen und plötzlich führt eines zum anderen.“
In der Realität verankert
Nach ihrem Studium an der Universität für Angewandte Kunst und einigen Jahren als Bühnenbildassistentin und Bühnenbildnerin entschloss sich Blanka Rádóczy Regie zu studieren. Die Verschränkung der beiden Bereiche erlebte sie unter anderem bei Anna Viebrock, der sie in einigen Produktionen assistierte. „Für mich gehören Regie und Bühnenbild eng zusammen“, bringt sie ihre Herangehensweise auf den Punkt. Das äußert sich unter anderem darin, dass der Raum sehr schnell miteinbezogen und besprochen wird. Auch bei „Federn lassen“ war das der Fall. „Als wir uns für den Text entschieden hatten, war nicht die Fassung der nächste Schritt, sondern das Bühnenbild“, erklärt die Regisseurin.
Zur Person: Andrea Simeon
Andrea Simeon ist Bühnen- und Kostümbildnerin und lebt in Wien. Sie studierte Bühnen- und Filmgestaltung an der Universität für angewandte Kunst Wien. Nach dem Studium absolvierte sie Bühnenbild- und Kostümassistenzen u. a. am Teatro Real in Madrid und an der Volksbühne Berlin bei Anna Viebrock. Sie ist freischaffend tätig.
Dass sie zu Beginn eines Projekts meist von einem realistischen Raum ausgehen, der auf der Bühne in eine Abstraktion geführt wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeiten der beiden Künstlerinnen. Auch auf die Kostüme trifft das zu, fügt Andrea Simeon hinzu. „Auf diese Weise bleiben die Personen, die die Texte sprechen, in der Realität verankert, obwohl sie natürlich auch stilisiert sind.“
Wenn nicht darüber gesprochen wird, hat man nichts angestoßen.
Andrea Simeon
Wenn es so etwas wie einen emotionalen Idealzustand gäbe, mit dem die Zuschauer*innen den Theaterabend im Kosmos Theater wieder verlassen, wäre das, so die Bühnen- und Kostümbildnerin, dass man darüber spricht. Denn „wenn nicht darüber gesprochen wird, hat man nichts angestoßen“. Vielleicht wurden aber auch Erinnerungen an Momente geweckt, in denen man selbst Federn gelassen hat. Möglicherweise entdeckt man rückblickend, dass man gar nichts verloren, sondern einfach nur das Federkleid gewechselt hat. „Ich würde mir wünschen, dass das Stück Reflexionsprozesse über die eigene Vergangenheit auslöst. Denn so ging es uns in der Arbeit daran auch“, sagt Blanka Rádóczy, bevor es für die beiden zur Generalprobe geht.