„Am Ziel“: Dörte Lyssewskis erster Bernhard
„Ein Monolog ist immer auch ein Dialog mit sich selbst“, ist Dörte Lyssewski überzeugt. Die Schauspielerin spielt in Thomas Bernhards „Am Ziel" die monologisierende Hauptfigur. Es ist ihre erste Rolle in einem Bernhard-Stück.
BÜHNE: Worin liegt der besondere Reiz dieses Stückes?
Dörte Lyssewski: „Am Ziel“ ist ein Konzentrat aus all den Dingen, die Thomas Bernhard umgetrieben haben. Es geht darin unter anderem um einen dramatischen Schriftsteller, der ein Mutter-Tochter-Gespann aus seinem gewohnten Zustand der Aneinanderkettung herauszureißen droht, um das Theater an sich und all die Künstler, die es bevölkern. Darüber hinaus geht es aber auch um die Handwerker, die Kranken, den Tod, die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern, unerwiderte Liebe, Biederkeit, Verlogenheit und gelebte Lüge. Mit der Figur des dramatischen Schriftstellers hat sich Bernhard auch wieder selbst in sein Stück hineingeschrieben.
Sie spielen in diesem von Hassliebe geprägten Gespann die monologisierende Mutter. Was zeichnet diese Figur aus?
Erstmal finde ich es großartig, dass Bernhard in diesem Stück einer Frau den Großteil des Textes in den Mund legt und ihr alle möglichen Positionen zuschreibt. Man erkennt auch viele Betrachtungsweisen des Autors in ihren Ausführungen. Zwar ist ihr Sprechen sehr monologisch, trotzdem ist es immer auch ein Dialog – mit ihrer Tochter, der sie ihre Worte aufbürdet, aber auch mit sich selbst. Wir treffen hier auf eine Frau, die die ganze Welt durch sich durchlässt, mit all ihrer Traurigkeit, Bösartigkeit und Komik. Im ersten Moment ist sie einem unglaublich unsympathisch, dann liebt man sie wieder. Ich hatte beim Lesen, Lernen und Repetieren sehr viel Spaß. Es ist ein großes Geschenk, eine so reiche Figur spielen zu dürfen.
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Muss sie sprechen, um zu existieren?
Wir haben es hier – ganz im Berhard’schen Sinne – schon auch mit dem Drang gegen etwas anzusprechen zu tun, weil es immer Widerstände waren, die Thomas Bernhard als Autor produktiv gemacht haben. Meistens waren es Widerstände, die von Alltäglichkeiten ausgingen – von Begegnungen, Anrufen, Anblicken. Es ist also durchaus eine Form von „Ich rede, also bin ich“, die einem in diesem Stück begegnet.
Ihr Sprechen ist aber auch eine Mischung von Selbstkasteiung und Selbstzerfleischung, die durch das Benennen von Ereignissen aus der Vergangenheit entsteht. Gleichzeitig blitzen immer wieder Momente der Freude durch, weil sie durch das Sprechen in Schwung kommt. Am Ende holt sie jedoch die Sinnlosigkeit, die hinter allem steckt, immer wieder ein. Diese formuliert Bernhard auf so großartige Weise, dass man sich auch selbst zu fragen beginnt, warum Menschen Dinge tun, die eigentlich sinnlos sind. Was ist es das wir machen? „Es ist nichts, absolut nichts“, wie Bernhard schreibt.
Menschen, die behaupten, Bernhard sei nur ein Stänkerer und Verfasser von absurden Suaden gewesen, haben vermutlich noch nie einen seiner Texte gelesen.
Dörte Lyssewski
Trotzdem kommt man nicht umhin, diese Figur verstehen zu wollen. Und beginnt sogar ihr gegenüber Emotionen zu entwickeln …
Thomas Bernhard hat mit „Am Ziel“ einen hochpsychologischen Text geschrieben. Es ist beeindruckend, wie konkret er in diesem Stück ist, obwohl seine Texte so gerne als abstrakt abgetan werden. Menschen, die behaupten, er sei nur ein Stänkerer und Verfasser von absurden Suaden gewesen, haben vermutlich noch nie einen seiner Texte gelesen. Es ist definitiv nicht nur ein Sprechen um des Sprechens willen.
Seit mehr als 30 Jahren fahren Mutter und Tochter in der gewohnten Zweisamkeit an die Küste. Der dramatische Schriftsteller, der aus dem Zweier- ein Dreiergespann macht, wird da schnell zur Bedrohung. Warum?
Ihre seit 20 Jahren bestehende Zweisamkeit mutet fast wie in einem amerikanischen Psychothriller an. Die beiden haben sich aneinander gekettet, ihr Abhängigkeitsverhältnis beruht auf Gegenseitigkeit. Der dramatische Schriftsteller reißt sie nun aus diesem gewohnten Zustand heraus. Außerdem bedeutet ein solches Dreieck immer, dass es Allianzen gibt.
Er wird von der Mutter aber auch deshalb als Bedrohung wahrgenommen, weil sie – wie Bernhard auch – das Künstlertum in Frage stellt. Bernhard hat selbst immer wieder betont, dass er lieber nur mit normalen Menschen zu tun hätte. Als kluger Mensch war er natürlich gerne mit anderen klugen Menschen zusammen, aber mit selbsternannten Intellektuellen wollte er nichts zu tun haben.
Es ist eine unglaubliche Flut an Worten, die Sie zu bewältigen haben. Wie ging es Ihnen beim Textlernen?
Ich war den Sommer über in meinem zweiten Zuhause im Südburgenland und habe während dieser Zeit schon sehr viel Text gelernt und repetiert. Meistens in der Natur, mit freiem Blick auf den Himmel. Das hat großen Spaß gemacht. Darüber hinaus ist Bernhard sowieso ein großer Komödiendichter und ein unglaublich lustiger Autor. Ich finde es schön, dass Matthias Rippert nur behutsame Striche gemacht hat. Er lässt Bernhard Bernhard sein.
Sie waren gleich nach dem Studium im Ensemble von Peter Steins Berliner Schaubühne und tragen daher einen beachtlichen Rucksack an Erfahrungen mit sich herum. Beeinflusst Sie das, wenn es zu neuen Begegnungen – wie nun mit Matthias Rippert – kommt?
In dem Moment, in dem ich mich entschließe, jemandem zu folgen und gemeinsam etwas zu entdecken, ist mir der Background egal. Wenn ich spüre, dass es diese gemeinsame Suche gibt, bin ich dabei. Das Theater lebt ja von neuen Begegnungen – und die sollten, davon bin ich überzeugt, auch zwischen Menschen stattfinden, deren Erfahrungsschatz unterschiedlich groß ist.
Natürlich gibt es diesen Rucksack, aber ich möchte mich auf keinen Fall darauf ausruhen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich mich auf Dinge, die ich früher erlebt habe, verlassen kann. Man kann sie ja nicht zweites Mal genauso anwenden. Als Schauspieler ist man mit Probenbeginn immer ein unbeschriebenes Blatt. Gleichzeitig – und das macht die Sache zu einem vollkommen schizophrenen Zustand – gibt es diesen Erfahrungsschatz, aus dem man sich in Form von Werkzeugen bedient. Damit meine ich, dass man bei gewissen Dingen einen kürzeren Anlauf hat und schneller etwas anbieten kann. Wichtig ist mir, mich nicht unterfordert zu fühlen. Dann implodiere ich. Aber diese Gefahr sehe ich bei diesem Stück schon aufgrund des Textes nicht. (lacht)
Auch dem Publikum kann man ruhig etwas mehr zutrauen, meinten Sie einmal in einem Interview …
Ich finde sogar, dass „zumuten“ in diesem Fall das bessere Wort ist. (lacht)
Wann sind Sie bereit, viel von sich zu geben?
Wenn ich Vertrauen habe. Und dann grundsätzlich. Ohne diesen Anspruch, sollte man eigentlich gar auf die Bühne gehen. Man sieht es sofort, wenn jemand mit sich geizt.
Es ist ein großes Geheimnis, wie es zu einem solchen Zustand kommt – wie es sein kann, dass manche Vorstellungen abheben und andere nicht.
Dörte Lyssewski
Wie groß ist die Bedrohung, die von Routine ausgeht?
Routine ist gefährlich. Man muss sie erkennen, denn es ist ganz normal, dass sie irgendwann einsetzt, weil Wiederholung einfach Routine schafft. Es gibt darüber hinaus auch eine gute Form der Routine, die einem dabei hilft, schneller zu Lösungen zu kommen und frei zu werden. Trotzdem geht es am Ende immer darum, so zu spielen, als sei es das erste Mal und wirklich von Sekunde zu Sekunde an das Schöpferische – an die Erschaffung des Moments – zu denken. Alles andere wäre nicht nur den Spielpartnern, sondern auch dem Publikum gegenüber unfair.
Wann ist für Sie ein Abend gelungen?
Wenn sich etwas mit meinem Spielpartner ereignet hat – dann gehe ich glücklich nach Hause. Wenn ich mir denke, dass es ein Wahnsinn ist, dass diese Sache gerade passiert ist, obwohl man ja in vollem Bewusstsein darüber ist, dass alles auf Verabredungen basiert. Es ist ein großes Geheimnis, wie es zu einem solchen Zustand kommt – wie es sein kann, dass manche Vorstellungen abheben und andere nicht. Aber es ist auch wichtig, dass es so ist, ansonsten würde man es nicht immer wieder versuchen, versuchen, versuchen.
Zur Person: Dörte Lyssewski
Studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und begann ihre Schauspielkarriere an Peter Steins Berliner Schaubühne. Engagements führten sie unter anderem nach Bochum, Zürich und Paris. Seit 2009 gehört sie zum Ensemble des Burgtheaters.