Ihr Cousin sei wohl Tänzer geworden, um sich mehr Raum zu nehmen, vermutet die Ich-Erzählerin aus Nava Ebrahimis Text „Der Cousin“, mit dem sie 2021 den Bachmannpreis gewann. Sich Raum zu nehmen oder diesen gar für sich einnehmen zu können ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Gleichzeitig geht es auch immer darum, wie viel Raum einem gegeben wird, um innerhalb bestimmter Strukturen jener Mensch sein zu können, der man gerne sein möchte. Vereinfacht gesagt: Es ist ein Geben und ein Nehmen.

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Ausgehend von der Bühnensituation, in der Nava Ebrahimis Erzählung spielt, dreht sich auch die Stückentwicklung „Die Cousinen“ darum, wer welche Rolle verkörpern darf. „Und zwar wortwörtlich“, erklärt Regisseurin Laura N. Junghanns, die gemeinsam mit Nava Ebrahimi und der Dramaturgin Jennifer Weiss an der Inszenierung arbeitet. Sie setzt nach: „In unserem Stück begegnet man drei Schauspielerinnen, die sich bei einem Vorsprechen befinden. Auf Basis dieser Situation beschäftigen wir uns mit Fragen wie: Wer darf für wen sprechen? Aus welcher Position wird eine Geschichte erzählt und für wen? Welche Rolle wird einem zugeschrieben?“

Mit diesen Fragestellungen spielerisch, leichtfüßig und mit einer großen Portion Selbstironie umzugehen sei ihnen ein großes Anliegen, ergänzt Nava Ebrahimi. Wir sitzen in der Factory, der kreativen Schaltzentrale des Volkstheaters, die Proben für „Die Cousinen“ sind gerade angelaufen.

In Bewegung

„Wichtig ist auch, dass wir diese Fragen nicht lösen werden. Vielleicht gelingt es uns aber, unterschiedliche Lösungsansätze anzubieten“, wirft Laura N. Junghanns ein. Die Regisseurin hat im Volkstheater bereits den Monologabend „Der Termin“ mit Lavinia Nowak realisiert. Wie ihre erste Arbeit für das Theater am Arthur-Schnitzler-Platz wird auch die Stückentwicklung „Die Cousinen“ in der Dunkelkammer gezeigt. „Es ist ein unglaublich intimer Raum, das Publikum ist wahnsinnig nah dran. Das hat einen großen Reiz“, so Junghanns.

50 Prozent der Regiearbeit, wie ich sie verstehe, ist Teambuilding.

Laura N. Junghanns, Regisseurin

In der Probenarbeit nähern sie sich gerade dem Gefühl der Bloßstellung an. Die Intimität des Raumes spiele ihnen dabei sehr in die Hände, fügt die Regisseurin hinzu, die für das Projekt temporär von Köln nach Wien übersiedelte. Dass auf ihrem Hals seit kurzem in schwarzer Tinte „In Bewegung“ steht, passt irgendwie. „Über die Vorsprechsituation ergibt sich außerdem die Notwendigkeit eines klaren Adressaten. Diese Rolle übernimmt das Publikum“, sagt sie und setzt sofort lachend nach: „Keine Angst, niemand muss auf die Bühne!“

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Die Cousinen im Volkstheater
Laura N. Junghanns, 1991 geboren, studierte Regie an der Folkwang Universität der Künste. Von 2016 bis 2020 war sie Mitglied der Physical Theatre Company KimchiBrot Connection. Nach zweijähriger Regieassistenz am Schauspiel Dortmund folgten erste eigene Inszenierungen. Seit 2019 kuratiert und moderiert sie zudem die Talk-Reihe „Butler Butch Beyoncé“. „Die Cousinen“ ist ihre zweite Arbeit am Volkstheater.

Foto: Maša Stanić

„Es ist schon paradox, dass dieser Authentizitätsdruck, der ja eigentlich etwas Positives will, mitunter dazu führt, dass man das Gefühl hat, sich entblößen oder eine Form von Ausverkauf mit der eigenen Geschichte betreiben zu müssen, um etwas bieten zu können“, schaltet sich die in Graz lebende Autorin Nava Ebrahimi ein. Obwohl Kunst ja geradezu dafür prädestiniert sei, all die Widersprüche, die man in sich trägt, vereinen und ein Stück weit auch leben zu können, komme gerade in der Kunstwelt das Verlangen nach Etikettierung häufig wieder durch die Hintertür zurück.

„Ich weiß, dass es leichter wäre, mich als deutsch-iranische Autorin zu verkaufen, weil auch in der Buchbranche die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird und aktuelle Aufhänger deshalb hilfreich sind. Andererseits möchte ich mich darauf aber nicht reduzieren lassen, sondern als deutschsprachige Gegenwartsautorin verstanden werden“, bringt es Ebrahimi ohne große Umschweife auf den Punkt. Die Klarheit, die sie in Interviews an den Tag legt, prägt auch ihre Texte. Außerdem sei ihr Schreiben, ergänzt sie, immer auch ein Versuch, sich von Zuschreibungen zu lösen und Macht über die eigene Geschichte zu erlangen.

Die Cousinen im Volkstheater
Nava Ebrahimi ist Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2021. Sie wurde in Teheran geboren, ist in Köln aufgewachsen und seit 2012 in Graz zu Hause. Für ihren Roman „Sechzehn Wörter“ wurde sie mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. 2020 erschien ihr Roman „Das Paradies meines Nachbarn“. Die Stückentwicklung „Die Cousinen“ ist Nava Ebrahimis erste Theaterarbeit.

Foto: Maša Stanić

Ein kleiner Utopieraum

„Die Cousinen“ ist Nava Ebrahimis erste Theaterarbeit. „Eine gute Erfahrung und Abwechslung“, zieht sie ein frühes Resümee. „Auch das schnelle Feedback finde ich toll. Manchmal weiß ich mittags schon, dass die Dinge, die ich morgens geschrieben habe, auf der Bühne gar nicht funktionieren. Oder eben schon.“ Der ständige Abgleich mit den Schauspielerinnen Irem Gökçen, Hasti Molavian und Claudia Sabitzer sei daher sehr wichtig.

Die kollektive Arbeit an den „Cousinen“ entspricht auch zu hundert Prozent dem Theaterverständnis von Laura N. Junghanns. „50 Prozent der Regiearbeit, wie ich sie verstehe, ist Teambuilding“, hält sie fest, und an der Art und Weise, wie sie es sagt, merkt man, dass sie das zu 150 Prozent ernst meint.

Im Idealfall entsteht dabei ein möglichst offener Prozess und vielleicht sogar ein kleiner Utopieraum, „in dem man, je nach Projekt, über politische Verhältnisse sprechen kann und muss“. Außerdem ist es ihr ein großes Anliegen, die engen Strukturen, die am Theater vorherrschen, wie unter anderem die begrenzten Probenzeiten, aufzubrechen. „Wir haben uns schon im Juni 2022 für zwei Workshoptage getroffen, das hat uns einen ganz anderen Probeneinstieg ermöglicht. Ich würde mir wünschen, dass es dafür mehr Zeit und Raum an den Häusern gibt.“

Wieder gilt: Es ist ein Geben und ein Nehmen. Und so abgedroschen diese Phrase auch wirken mag, so wichtig ist das, was dahintersteckt.