Cyrano de Bergerac: Die Liebe ist ein seltsames Spiel
Nach „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ inszeniert Lily Sykes am Burgtheater eine Neufassung von „Cyrano de Bergerac“. Franz Pätzold und Lilith Häßle über die Widersprüche in ihren Figuren und die Liebe (oder so).
Eine perfekt auf die Größe des Smartphone-Bildschirms abgestimmte Auge-Hand-Koordination macht es uns heute möglich, das Thema Liebe bequem zwischen Zähneputzen und morgendlicher Schuhauswahl unterzubringen. Ganz im Sinne des Effizienzgedankens haben Dating-Apps zur Verfestigung der Annahme beigetragen, dass ein einziges Bild ausreicht, um sich ein Bild von einem Menschen zu machen. Neu ist die mit Tinder und Co einhergehende Effektivität zwar, nicht aber der dahinterliegende Grundgedanke. Das zeigt auch das 1897 in Paris uraufgeführte Stück „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand.
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In einer vom britischen Dramatiker Martin Crimp adaptierten und von Nils Tabert und Ulrich Blumenbach übersetzten Fassung erlebt der temporeiche Text am 5. Februar im Burgtheater seine deutschsprachige Erstaufführung. Lilith Häßle, seit der Spielzeit 2019/20 Ensemblemitglied am Burgtheater, spielt die immer wieder als außergewöhnlich schön beschriebene Roxane, in welche Titelfigur Cyrano unsterblich verliebt ist. Weil sich Cyrano aufgrund seiner äußeren Erscheinung aber nicht traut, Roxane seine Zuneigung zu gestehen, unterstützt er den gut aussehenden, aber nicht gerade wortgewandten Christian bei seinen Avancen.
Spannung zwischen Sprache und Inhalt
„Überall, wo sie hinkommt, wird nur Roxanes äußeres Erscheinungsbild wahrgenommen. Obwohl sie das total ankotzt, verliebt auch sie sich in einen Mann, an dem sie eigentlich nur das Äußere toll findet. Diese drei Menschen dabei zu beobachten, wie sie herauszufinden versuchen, wie Liebe funktioniert, hat für mich etwas sehr Heutiges“, beschreibt Lilith Häßle ihre Figur und die Konstellation, in der sich diese befindet. Das ist jedoch nicht der einzige Widerspruch, der Roxane eingeschrieben wurde. Durch seine moderne, an Hip-Hop-Rhythmen angelehnte Sprache schafft Martin Crimp ein Spannungsverhältnis zwischen Sprache und Inhalt, in dessen Zentrum Roxane und Cyrano ihre Beziehung zueinander und zu sich selbst ausloten.
„In unserer Fassung arbeiten wir mit einer extrem modernen Sprache, behaupten aber gleichzeitig eine Frauenfigur, die aus einer ganz anderen Gesellschaftsordnung kommt – nämlich jener des 17. Jahrhunderts“, erklärt die in Berlin geborene Schauspielerin. Dadurch ergebe sich ein Spagat, der unglaublich spannend, aber auch herausfordernd ist, fügt sie hinzu. Eine bunte Mischung aus Altem und Neuem verspricht auch das auf der Probebühne im Burgtheater aufgebaute Bühnenbild, vor dem wir uns für unser Gespräch getroffen haben. Die Nachmittagsprobe ist gerade vorbei, das Regieteam bereitet sich auf einen Zoom-Call vor.
Held, Antiheld oder Außenseiter?
Aus Angst davor, auf seine äußere Erscheinung, vor allem auf seine auffallend große Nase, reduziert zu werden, versteckt Cyrano seine Liebe zu Roxane hinter Worten. Er schreibt seitenlange Briefe, die Christian seiner Geliebten als die seinen verkauft. Das Ganze ist eine zwischen den beiden Männern ausgemachte Sache. Nur am Schluss, als es darum geht, dass der Held stets das letzte Wort hat, fehlen Cyrano die passenden Worte. Der Frage, ob der titelgebende Wortkünstler überhaupt ein Held im klassischen Sinn oder doch eher ein Antiheld sei, findet Franz Pätzold aber ohnehin nicht so spannend.
Zur Person: Franz Pätzold
Bereits während seines Studiums an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ spielte der gebürtige Dresdner in zahlreichen Theaterproduktionen mit. In der Spielzeit 2011/12 wurde er ans Münchner Residenztheater engagiert. Mit Martin Kušej wechselte er ans Burgtheater. Für seine Rolle als Dionysos in „Die Bakchen“ wurde er mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet.
Viel mehr interessiert den gebürtigen Dresdner an seiner Figur die Rolle des Außenseiters, der seine Freiheit sucht. „Cyrano ist einer, der sich in dem System, in das er hineingeboren wurde, nicht zu Hause fühlt. Ein großer Held kann er auch deshalb nicht sein, weil er sagt, dass er mit den verbreiteten Begrifflichkeiten von Gut und Böse nichts zu tun haben möchte. Denn sobald er sich daran orientiert, ist er unfrei, und sobald er unfrei ist, kann er nicht mehr schreiben.“
Unbegrenzte Möglichkeiten
Obwohl Cyranos schärfste Klinge nicht die seines Degens ist, sondern die seiner Worte, wird es in Lily Sykes’ Inszenierung für die Spieler*innen auch körperlich anspruchsvoll. „Lilys Inszenierungsweise ist keine, die nur auf Sprache setzt, sondern sehr facettenreich“, bringt es Lilith Häßle auf den Punkt. Das mag auch daher rühren, dass die Wurzeln der 1984 in London geborenen Regisseurin im Clowning liegen. Von 2006 bis 2008 studierte sie beim französischen Meisterclown und Theaterprofessor Philippe Gaulier in Paris.
An der Arbeit mit der Regisseurin und ihrem Team schätzt Franz Pätzold, dass die Spieler*innen dazu ermutigt werden, von unbegrenzten Möglichkeiten auszugehen. „Verschiedene Spielweisen von total übertrieben bis sehr leise haben in ihrer Arbeit Platz. Wir sind permanent auf der Suche nach Freiheit, scheitern daran, finden sie – und scheitern erneut. Das ist schön, weil man dadurch die Angst davor verliert, etwas erfüllen zu müssen, und sich im Idealfall freispielen kann“, fasst der Schauspieler die gemeinsame Probenarbeit zusammen.
Zur Person: Lilith Häßle
Die gebürtige Berlinerin studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart. Nach ihrem Studium war sie am Staatstheater Mainz engagiert, gastierte am Theater im Bauturm in Köln und wurde mit Beginn der Spielzeit 2017/18 Ensemblemitglied am Münchner Residenztheater. Mit der Saison 2019/20 wechselte sie ans Burgtheater.
Wie in der Liebe (oder so)
Lilith Häßle erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Bild, mit dem Lily Sykes gleich zu Beginn der gemeinsamen Arbeit ihre Herangehensweise auf sehr pointierte Weise beschrieben hat: „Sie meinte, dass wir hier sitzen und reden, während sich in unserer Mitte ein riesiger Papierkorb befindet, in den wir die ganze Zeit Dinge hineinschmeißen. Ein paar Ansätze und Ideen bleiben dann übrig, andere nimmt man wieder heraus.“ Wobei an dieser Stelle vielleicht anzumerken ist, dass der englische Begriff „wastepaper basket“ deutlich mehr Strahlkraft hat als sein deutsches Pendant.
Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand
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Sich immer wieder auf neue Regiepositionen, Persönlichkeiten und Konstellationen einzulassen ist ein wichtiger Teil der Theaterarbeit und für Lilith Häßle einer der Hauptfaktoren, warum sie diesen Beruf so mag. Trotzdem darf man, fügt Franz Pätzold hinzu, nicht vergessen, dass die gemeinsame Arbeit manchmal auch von Reibung geprägt ist. „Das ist ja auch das Schöne daran, dass nicht der Konsens einzig richtig ist, sondern auch der Dissens sehr produktiv sein kann.“ Fast wie in der Liebe (oder so).