Cypressenburg: Haarige Sache
Humortechnisch ist Regisseurin Isabelle Redfern gerne dort unterwegs, wo es haarig wird. So auch bei ihrer Inszenierung des Stücks „Cypressenburg“, das lose auf Nestroys „Talisman“ basiert. Zeynep Buyraç spielt eine schrille Künstleragentin.
Talent borrows, genius steals“, schrieb Oscar Wilde einmal und wurde prompt bestohlen. Sein Dichterkollege T. S. Eliot fackelte nicht lange und verwandelte die Aussage in „Talent imitates, genius steals“. In „Cypressenburg“, einem Auftragswerk des Burgtheaters, das sich an Nestroys „Talisman“ abarbeitet, heißt es an einer Stelle selbstreferenziell: „Du darfst alles klauen und weiterentwickeln. Sonst bleibst du doch stehen.“
„Absolute Red Flag!“, könnte man sich jetzt empören, schließlich zählt Nestroy doch zu den Säulenheiligen der österreichischen Theatergeschichte und „Der Talisman“ zu seinen wichtigsten Stücken. Allerdings schreckte auch Nestroy selbst nicht davor zurück, sich fröhlich aus dem Gemischtwarenladen der Literaturgeschichte zu bedienen. Außerdem sei das von Golda Barton geschriebene „Cypressenburg“ ohnehin mehr als eine Überschreibung, hebt Isabelle Redfern hervor. „Im Grunde ist es ein neues Stück“, so die Schauspielerin und Regisseurin, die zuletzt mit ihrer Tschechow-Bearbeitung „Sistas!“ für Furore sorgte. „Wir fanden vor allem die Frage spannend, wie und mit wem man heute eine Geschichte erzählen kann, in der es darum geht, dass jemand aufgrund seines Aussehens ausgegrenzt wird.“
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Empowerment
Obwohl zum Zeitpunkt unseres Gesprächs vieles noch im Entstehen ist, kann eines bereits ohne jeglichen Zweifel festgehalten werden: Es wird lustig, schnell, musikalisch und körperlich. „Schon bei ‚Sistas!‘ fand ich erstaunlich, dass sich der Humor als großartige Möglichkeit herausstellte, dem Publikum die Hand zu reichen“, hält Redfern fest. Statt in der klassischen Täter-Opfer-Dichotomie zu verharren, möchte sie mit ihren Inszenierungen zeigen, dass es niemanden gibt, der frei von Vorurteilen ist. „Für mich ist es wichtig, nicht immer nur über Opfer zu sprechen, sondern eine Form von Empowerment zu schaffen. Und Situationen zu kreieren, in denen es nicht darum geht, jemanden auszulachen, sondern durch das gemeinsame Lachen eigene Vorurteile und Verhaltensweisen zu erkennen.“ Wie viel Überspitzung in Hinblick auf bestimmte Stereotypen und Zuschreibungen möglich ist, wird im Probenprozess immer wieder neu ausgelotet. „Ich hoffe, dass wir schon an den Punkt kommen, wo es brenzlig wird“, so Redfern. Um näher an der Thematik des Stücks zu bleiben, könnte man wohl auch das Adjektiv „haarig“ verwenden.
Alle kriegen ihr Fett ab
„Es ist ein wahnsinnig kluges und lustiges, aber auch ein sehr böses Stück. Auf eine gute Art“, bringt es Burgtheater-Ensemblemitglied Zeynep Buyraç auf den Punkt. Sie spielt die Künstleragentin Ignatia „Cypress“ von Cypressenburg, Urenkelin des Gründers jener Filmsocieté, in der sich die gesamte Geschichte zuträgt. „Eine sehr laute, schrille Wiener Dame“, bringt sie den Charakter ihrer Figur lachend auf den Punkt. Während Cypress versucht, das Drama rund um ihren Star Sal O’Myé zu lösen, gerät Titus Fox, ein nach eigener Definition aufstrebender Arthouse-Filmemacher, in ein Lügengeflecht, das sehr an jenes erinnert, in dem auch die rothaarige Hauptfigur seines Debütfilms steckt. „Am Ende kriegen alle ihr Fett ab“, so die Schauspielerin, die Lachen für einen wichtigen Schlüssel hält, wenn es darum geht, Vorurteile zu benennen und abzubauen. „Erst wenn wir lachen und lockerer werden, haben wir die Möglichkeit, empathisch zu sein und wirklich zuzuhören.“
„Cypressenburg“ ist daher auch ein Abend, der zeigt, dass Themen wie Rassismus, Diversität, Repräsentation und Intersektionalität nicht mit erhobenem Zeigefinger verhandelt werden müssen. „Es ist nicht unsere Aufgabe, den Zuschauer*innen zu erklären, wie sie zu besseren Menschen werden“, findet Zeynep Buyraç klare Worte. Dass sie als gebürtige Türkin bislang kaum zu Castings eingeladen wurde, in denen es darum ging, eine türkischstämmige Schauspielerin zu finden, weil sie „zu wenig türkisch“ aussähe, passe gut zum Stück. „Auf der anderen Seite habe ich aber auch schon gehört, dass ich mit meinem Namen keinen Schnitzler spielen kann“, fügt sie hinzu und setzt nach: „Und damit sind wir wieder mitten im Stück. Denn wer bestimmt, was die Norm und was türkisch, österreichisch oder europäisch ist?“
Die Figuren in „Cypressenburg“ drehen den Spieß letztendlich um, verrät die Schauspielerin mit vorfreudigem Unterton. „Als Cypress suche ich es mir aus, wer ich in welcher Situation sein möchte. Einmal berufe ich mich auf meinen osmanischen Urgroßvater, dann bin ich wieder eine Wiener Dame. Das finde ich großartig.“
Immer wieder darauf angesprochen zu werden, dass sie die erste türkischstämmige Schauspielerin im Burgtheater-Ensemble sei, mache ihr nichts aus. „Wenn es um meinen Beruf geht, hat es für mich keine Bedeutung, welchen Namen ich habe. Ich übe ihn ja nicht mit meinem sogenannten Migrationshintergrund aus. Aber als Migrantin, die nach Wien ausgewandert ist, finde ich es wichtig, über meine Erfahrungen zu sprechen“, so die Schauspielerin.
Und wie war das jetzt nochmals mit Nestroy? Eine mögliche Antwort findet sich im Stück selbst: „So viele gute österreichische Theaterleut’ gibt’s ja augenscheinlich auch nicht. Alle Ausländer hier. Wer soll sich also um den Nestroy kümmern, wenn nicht wir.“ Wer darüber (noch) nicht lachen kann, dem empfehlen wir dringend einen Besuch in der „Filmsocieté Cypressenburg“.