Dort, wo sich getreu der Redewendung eigentlich Fuchs und Hase gute Nacht ­sagen sollten, wünschen sich im Stück „Nur ein Tag“ ein gut durchtrainierter Fuchs und ein zerzaustes Wildschwein einen guten Morgen. Der Tag des ungleichen Paares scheint seinen gewohnten Lauf zu nehmen, bis plötzlich eine kleine Fliege in ihr Leben platzt. Dass es sich dabei um eine Eintagsfliege handelt, kommt nicht von ungefähr. Denn in Martin Baltscheits Theaterstück dreht sich alles um die Frage, ob nicht in einem einzigen Tag auch ein ganzes Leben stecken kann. Und was sich verändert, wenn einem als junge, lebens­bejahende Eintagsfliege unverhofft bewusst wird, was hinter dem lateinischen Sprichwort „Nomen est omen“ eigentlich steckt.

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„Inwiefern verändert sich der Zugang zum eigenen Leben, wenn man plötzlich weiß, wie viel Zeit einem noch bleibt?“, bringt es Anja ­Sczilinski, Regisseurin und Leiterin des Burgtheaterstudios, auf den Punkt. Was vor einigen Jahren in den sozialen Medien mit dem Akronym „YOLO“ zusammen­gefasst wurde („you only live once“), wird hier nicht nur mit einer ­deutlich größeren Anzahl an ­Buchstaben, sondern auch mit einer Fülle an Zwischentönen beschrieben. 

Erinnerung an schöne Momente

Gemeinsam mit ihrem Team und den Schauspieler:innen Maresi Riegner, Lukas Haas und Max Gindorff hat Anja Sczilinski „Nur ein Tag“ für das Burgtheaterstudio erarbeitet, dessen Programm sich vor allem an Kinder, Jugendliche und Familien richtet. „Eigentlich wollten wir ‚Nur ein Tag‘ in der kommenden Spielzeit zeigen, haben es aber aufgrund vieler Verschiebungen vorgezogen – und weil es in der momentanen Situation einfach so gut passt“, erklärt die Regisseurin und Theaterpädagogin, die gemeinsam mit Martin Kušej von München nach Wien wechselte. „Gerade in den vergangenen Monaten haben sich viele Menschen vermehrt mit der Frage beschäftigt, was unser Leben lebenswert macht. Außerdem ist das Thema Tod plötzlich sehr viel näher an uns herangerückt.“

Nach einer kurzen Pause kommt ihr ein Satz aus dem Stück in den Sinn, den sie in diesem Zusammenhang für maßgeblich hält. „Niemand weint über das Leben, deswegen sollte auch niemand über den Tod weinen."

Denn im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen, in denen der Tod als Teil des Lebens gefeiert wird, neigen wir dazu, das Thema auszugrenzen. Dabei wäre der Umgang damit, wie die Regisseurin betont, so viel einfacher, wenn die Erinnerung an besonders schöne gemeinsame Momente im Vordergrund stünde. „Und mit genau diesen schönen Momenten befasst sich das Stück“, so Sczilinski.

Max Gindorff, Lukas Haas und Maresi Riegner in Anja Sczilinskis Inszenierung von „Nur ein Tag“ im Vestibül.

Foto: Niko Havranek

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Echtes Mitfühlen

Um diesen Gedanken erlebbar zu machen, spielt das tierische Trio auf der Bühne sämtliche Gefühlszustände durch. Und wird dafür – dessen kann man sich jetzt schon sicher sein – mit einem vor Emotionen übersprudelnden Publikum belohnt. Stellt man gespieltes Mitgefühl echtem Mitfühlen gegenüber, tendieren Kinder nämlich eindeutig zu Letzterem. Als Teil eines Mediums, das Unmittelbarkeit zu seinen Grundfesten zählt, können sich die Spieler:innen bei Stücken für junges Publikum also auf Reaktionen freuen, die mit mindestens ebenso großer Direktheit wieder zurück auf die Bühne gefeuert werden. Dass diese Freude tatsächlich besteht, kann Anja Sczilinski nur bestätigen.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie eine ganze Gruppe von Kindern mit Franz Pätzold ‚High five‘ machen wollte. Sie haben ihn wiedererkannt, weil sie ihn im Stück ‚Pünktchen und Anton‘ schon einmal gesehen hatten"

Anja Sczilinski

Aber auch umgekehrt kommt es immer wieder zu berührenden ­Sympathiebekundungen, erzählt die Regisseurin. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie eine ganze Gruppe von Kindern mit Franz Pätzold ‚High five‘ machen wollte. Sie haben ihn wiedererkannt, weil sie ihn im Stück ‚Pünktchen und Anton‘ schon einmal gesehen hatten". Aber auch Anja Sczilinski wurde in Schulen schon hin und wieder als „die Frau vom Theater“ identifiziert. „Und auch schon so angesprochen“, fügt sie lachend hinzu. 

In Sibylle Bergs „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ dreht sich alles um eine ganz besondere Freundschaft.

Foto: Niko Havranek

Für aktuelle Themen offen

Momentan kooperiert das Burgtheater­studio mit vierzehn Partnerschulen. Da in der kommenden Spielzeit das ­Akademietheater – neben dem Vestibül und dem Kasino – als Spielstätte dazukommt, können noch weitere Partnerschulen aufgenommen werden. Bei der Zusammenstellung des Spielplans orientiert sich das Burgtheaterstudio einerseits an den Debatten, die das gesamte Haus betreffen, ist aber auch für aktuelle Themen offen. Manchmal kommt es auch vor, dass bereits fix ein­geplante Stücke durch eine Veränderung äußerer Umstände zusätzlich an Aktualität gewinnen.

Der Strudel, in dem die arbeitslosen Eltern der jungen Hauptfigur Lisa stecken, wurde durch ­Corona sehr viel aktueller."

Anja Sczilinski

Bei „Mein ziemlich selt­samer Freund ­Walter“, einem Stück der Autorin Sibylle Berg, war das zum Beispiel so. „Der Strudel, in dem die arbeitslosen Eltern der jungen Hauptfigur Lisa stecken, wurde durch ­Corona sehr viel aktueller. Durch ihren neuen Freund Walter, einen Außerirdischen, bekommt Lisa einen neuen Blick auf schwierige Situationen und Tipps, die sie dazu bringen, sich einmal anders zu verhalten als gewohnt. Dadurch gewinnt sie an Stärke und wird so zu einer guten Leitfigur für alle Zuschauer:innen“, erklärt Sczilinski, die sich als „Frau vom Theater“ schon wieder sehr auf jene Momente freut, in denen sich der Zauber des Theaters in vor Emotionen übersprudelnden Klassenzimmern und Theatersälen bemerkbar macht. 

In dieser Spielzeit wird erstmals auch ein Stück des Burgtheaterstudios im Akademietheater gezeigt.

Foto: Reinhard Werner

Zur Person: Anja Sczilinski

Bevor sie mit Martin Kušej von München nach Wien wechselte, leitete Anja ­Sczilinski das JUNGE RESI, die Kinder- und Jugendtheaterschiene des Münchner Residenztheaters, die sie auch mitaufgebaut hat. 

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Regisseur Richard Panzenböck im Kurzinterview

Alle Informationen zum Burgtheaterstudio auf der Website des Burgtheaters